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Türkei und USA erwägen "Flugverbotszone" in Syrien

Auch der Medienkrieg geht weiter

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Syrische Journalisten wurden am Wochenende erneut Ziel von Angriffen bewaffneter Gruppen. Am Samstagabend wurde Ali Abbas, Leiter der Internationalen Nachrichtenabteilung bei der Syrischen Arabischen Nachrichtenagentur (SANA) in seiner Wohnung erschossen. Am Freitag war ein vierköpfiges Team des syrischen Fernsehsenders Al-Ikhbariya in dem Ort Tal Mnin unweit des weltweit bekannten Pilgerortes Sednaya entführt worden. In dem Gebiet, etwa 30 km nördlich von Damaskus, gibt es seit Tagen heftige Kämpfe zwischen der regulären syrischen Armee und bewaffneten Aufständischen. Zivilisten haben sich in der syrischen Hauptstadt bei Verwandten und in bezahlbaren Hotels in Sicherheit gebracht. Al-Ikhbariya Reporter arbeiten seit Wochen „eingebettet“ bei den syrischen Streitkräften und haben Berichte aus verschiedenen Vororten von Damaskus, aus Homs und Aleppo gezeigt. Der Sender war Ende Juni von bewaffneten Gruppen überfallen und zerstört worden, sieben Mitarbeiter, darunter drei Reporter wurden dabei ermordet. Die Syrische Journalistenunion forderte internationale Unterstützung für die Freilassung des Fernsehteams, darunter auch eine Frau. Der Sender erklärte in einer Stellungnahme, die Staaten, die die bewaffneten Gruppen unterstützten, seien für das Wohlergehen der Reporter verantwortlich. Für die syrischen Streitkräfte ist das „Einbetten“ von Journalisten ein Novum. Die Berichte der Reporter vermitteln einen wichtigen Einblick in die militärischen Operationen, die die Darstellung der bewaffneten Gruppen und der „Freien Syrischen Armee“ in ein anderes Licht rücken.

Die „eingebettete Kriegsberichterstattung“ von Reportern ist alt, hat aber im Zeitalter der Massenmedien eine hohe Bedeutung. Erstmals wurde sie von den USA und ihren Verbündeten offensiv in Afghanistan und bei der Invasion des Iraks (2003) angewandt. Ziel ist, einem internationalen Publikum an den Bildschirmen die eigene Darstellung eines Waffengangs zu vermitteln. Journalisten werden eigens dafür ausgebildet. In Libyen und nun in Syrien waren Reporter westlicher Medien und der Medien von Katar (Al Jazeera) und Saudi Arabien (Al Arabiya) fast von Anfang an bei bewaffneten Aufständischen „eingebettet“. Ihre Berichte trugen und tragen wesentlich zur Eskalation der Lage bei. In Libyen wurde der staatliche Sender in Tripoli (Ende Juli 2011) durch einen Angriff von NATO-Kampfjets ausgeschaltet.

Katar und Saudi Arabien bewaffneten und finanzieren die Aufständischen und die Medien, die deren Darstellung berichten. USA, Frankreich und Großbritannien liefern Kommunikationstechnologie. Zusätzlich setzen diese Medien „Bürgerjournalisten“ oder Personen ein, die sich als solche ausgeben. Diese machen teilweise unter Lebensgefahr, oft aber auch unter ungeklärten Umständen Aufnahmen, die von den o.g. Sendern als „Beweis“ für das brutale Vorgehen der syrischen Armee und Sicherheitskräfte ausgestrahlt werden. Anfang August berichtete ein junger Mann, wie er für westliche und arabische Nachrichtensender aus dem umkämpften Homs berichtet habe, sich tatsächlich aber im Libanon befand. Er sei gut bezahlt worden. Mohamad Salim Qabbani sprach darüber ausführlich im Syrien Fernsehen, nachdem seine Familie ihn zur Rückkehr bewegen und Straffreiheit für ihn erwirken konnte.

Fast täglich reagieren syrische Medien auf Falschmeldungen aus dem Ausland. Als am Samstag Al Arabiya berichtete, in vielen Teilen von Damaskus seien Kämpfe ausgebrochen, korrigierte das Syrische Fernsehen und der Rundfunk umgehend. Tatsächlich hatten Aufständische an zwei Orten (Tishreen Sportzentrum und Al Marja) Sprengsätze gezündet und anschließend wild um sich geschossen, wie die Autorin unweit des Marja Platzes selber erlebte. Bei einer anschließenden Verfolgungsjagd wurden die Männer festgenommen. Am Wochenende meldeten westliche Medien Angriffe der syrischen Armee auf Flüchtlinge, die nach Jordanien fliehen wollten. Sie beriefen sich dabei auf „Aktivisten“. Syrische Medien berichten seit Wochen, dass die Armee an den Außengrenzen des Landes Waffenschmuggler und Kämpfer stellt, zurücktreibt oder tötet. Zuletzt wurde ein Fahrzeug mit Sprengstoff und Waffen sichergestellt, das das aus Jordanien illegal über die Grenze gekommen war. Fahrer und Beifahrer sagten, sie hätten von jordanischen Salafisten den Auftrag erhalten, in Damaskus Sprengsätze zu zünden.

Sprecher der bewaffneten Aufständischen haben nach ihrem „taktischen Rückzug“ aus Aleppo Munitions- und Waffenmangel beklagt. Die Lager von Waffenhändlern seien so gut wie ausverkauft, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Die Preise für Munition seien in nur zwei Tagen um 70 Prozent gestiegen. Um über die weitere Unterstützung für die bewaffneten Aufständischen zu beraten – die USA spricht von „Opposition“ - traf US-Außenministerin Hillary Clinton am Wochenende mit ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu und ausgewählten Exil-Oppositionellen in Ankara zusammen. Dabei verständigte man sich, die Einrichtung einer „Flugverbotszone“ über Syrien zu prüfen. Ein dafür erforderlicher Militäreinsatz der NATO oder anderer ausländischer nationaler Streitkräfte wird im UN-Sicherheitsrat von Russland, China und anderen Staaten abgelehnt. Die USA und die Türkei wollen nun eine gemeinsame Arbeitsgruppe einrichten, um die Erkenntnisse von Militär und Geheimdiensten zu koordinieren. Türkische Oppositionelle (u.a. Türkische Kommunistische Partei, TKP) hatten vor der US-Botschaft in Ankara gegen die türkische Politik zu Syrien und gegen die US-Einmischung protestiert. In Sprechchören und auf Transparenten forderten sie die US-Außenministerin auf, sie solle in die USA verschwinden und die Al-Khaida-Kämpfer, die an der türkisch-syrischen Grenze im Einsatz seien, mitnehmen.

* Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien unter dem Titel "Reporter als Ziele" am Montag, 13. August in der "jungen Welt"


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