"Wer einen Stellvertreterkrieg auf syrischem Boden führen lassen will, begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
Eine Stellungnahme des FORUMS FRIEDENSETHIK in der Evangelischen Landeskirche in Baden zur drohenden Kriegsgefahr im Nahen Osten
Im Wortlaut:
FFE FORUM FRIEDENSETHIK in der Evangelischen Landeskirche in Baden:
Erklärung des FFE-Leitungskreises* zur Lage im Nahen und Mittleren Osten
Immer lauter dröhnen die Kriegstrommeln, die uns auf einen Krieg gegen den Iran vorbereiten sollen,
ein Unternehmen mit absehbar verheerenden Folgen. Die Medien verbreiten unkritisch ein
Bild, das immer schärfere Sanktionen gegen den Iran sowie eine mögliche Gewaltaktion Israels
und der USA, in die auch Deutschland hineingezogen werden könnte, als unausweichlich erscheinen
lässt.
Zweifelsohne steht es schlecht um die Menschenrechte im Iran; das Machtstreben und die aggressive
Rhetorik des Teheraner Regimes fördern den Frieden nicht. Eines wird allerdings völlig außer
Acht gelassen: Der Iran ist seit 1952 ständige Zielscheibe amerikanischer Aggressionen gewesen,
beginnend mit dem CIA-inszenierten Putsch gegen die demokratische Regierung Mossadeq. Seit
dem Sturz der Schah-Diktatur (1979) versuchen die USA mit vielfältigem Druck, der die Entwicklung
der iranischen Wirtschaft, aber auch der demokratischen Zivilgesellschaft behindert, erneut
einen Regimewechsel herbeizuführen. Der Iran hat mehrfach angeboten, in umfassenden Gesprächen
alle Streitpunkte zwischen beiden Regierungen zu klären. Die USA sind nie darauf eingegangen.
Bei den bisherigen Verhandlungen wurden die Sorgen Israels und des Westens angesichts
einer möglichen Atombombe des Irans thematisiert, die Ängste des Iran angesichts der Bedrohung
durch die real existierenden israelischen und amerikanischen Atombomben kamen nie auf die Tagesordnung.
Bis heute gibt es immer noch keine belastbaren Beweise dafür, dass der Iran wirklich
an einem militärischen Atomprogramm arbeitet. Dieser Meinung ist sogar General Martin Dempsey,
höchster Offizier der US-Army.
Alles spricht dafür: Es geht dem Westen nicht vorrangig um Menschenrechte und Israels Sicherheit;
es geht um hegemoniale Macht in einer Region mit den größten Öl- und Gasreserven der
Welt.
In diesem Kontext ist auch die Syrien-Politik des Westens zu sehen. Zwar muss auch nach unserer
Meinung das diktatorische Assad-Regime abgelöst werden. Eine Zivilgesellschaft, die demokratische
Reformen durchsetzen will, verdient unsere Unterstützung, und das Leiden der Menschen
in Syrien muss ein Ende haben. Aber dem Westen geht es eher darum, durch den Sturz des
Assad-Regimes die Position des mit ihm verbündeten Iran entscheidend zu schwächen. Er hat
nämlich keinen ernsthaften Versuch unternommen, durch Verhandlungen die Situation zu entschärfen
und mit friedlichen Mitteln den demokratischen Wandel zu fördern. Aus dem Glashaus
von Guantanamo wirft man mit immer größeren Steinen nach dem syrischen Diktator. Der Westen
hat sehr früh durch seine Politik den gewaltbereiten Teil des syrischen Widerstandes ermutigt. Er
ist jetzt auf dem besten Wege, durch die heimliche Lieferung von Waffen und Nachrichtentechnik,
den Bürgerprotest in einen Bürgerkrieg zu verwandeln. Dabei werden mittlerweile auch religiöse
Machtkämpfe ausgetragen, und islamistische Söldner versuchen, die Entwicklungen in ihrem Interesse
zu steuern.
Hinter ihnen stehen teilweise auch die reaktionären Regime der Golfregion und Saudi-Arabiens,
die ihrerseits hauptsächlich daran interessiert sind, durch den Sturz des mit dem Iran verbündeten
syrischen Assad-Regimes Teheran als Konkurrenten um die regionale Vormachtstellung entscheidend
zu schwächen. Es ist mehr als absurd, dass ausgerechnet Regierungen, die im eigenen
Land demokratische Aufstände niederschlagen und mit ihrem Geld eine derzeit geschwächte arabische
Liga dominieren, sich als Wahrer der Menschenrechte aufführen.
Alle westlichen Interventionen in solchen Krisengebieten haben in den vergangenen Jahren nie die
versprochene Wende zum Besseren für die Menschen erbracht. In Afghanistan, dem Irak und
neuerlich in Libyen haben sie ein blutiges Chaos hinterlassen. Deswegen ist es der Gipfel der Unvernunft, im syrischen Bürgerkrieg einfach eine Partei gegen die Regierung zu unterstützen, ohne
genau zu wissen, für wen man da Partei ergreift. Weder ein verwüstetes Syrien, noch ein zerstörter
Iran werden im übrigen Israel sicherer machen. In einem Meer von Hass kann auch ein militärisch
überlegenes Israel nicht überleben. Verhandlungen in einem Rahmen, der die legitimen Interessen
aller Akteure berücksichtigt, sind auch jetzt die einzige Lösung. Die auswärtigen Mächte
müssen aufhören, blinde kurzsichtige Interessenpolitik zu betreiben. Wer um solcher Interessen
willen einen Stellvertreterkrieg auf syrischem Boden führen lassen will oder in Kauf nimmt, begeht
ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Wir treten damit für ein sehr schwieriges Projekt ein. Aber die Alternative wäre fortgesetzter Krieg.
Amerikanische Politiker denken bereits über die Zerschlagung Pakistans nach. Eine derartige gewaltgestützte
Interessenpolitik dürfte in der übernächsten Runde auf eine Konfrontation mit den
Atommächten Russland und China hinauslaufen, die die Zivilisation insgesamt gefährdet. Nur in
einer Sicherheitspartnerschaft, auch mit Russland und China, lässt sich vor Ort ein friedlicher politischer
Wandel bewerkstelligen und ein finaler Konflikt vermeiden. Aus diesem Grund lehnen wir
es auch ab, die Entfremdung zwischen Ost und West zu vertiefen durch eine heuchlerische Kritik
am Veto Chinas und Russlands gegen die letzte Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrates,
heuchlerisch, weil sie außer Acht lässt, wie oft die USA mit ihrem Veto immer wieder Israel im UNSicherheitsrat
davor bewahrt haben, von der Völkergemeinschaft zur Rechenschaft gezogen zu
werden. Wir erinnern auch daran: Der israelische Angriff auf Gaza vom Januar 2009, in seinen
verheerenden Konsequenzen für die dortigen Menschen allem vergleichbar, was man dem syrischen
Regime jetzt zu recht oder zu unrecht vorwirft, hat die westliche Politik kalt gelassen. Nur
wenn das Recht mit einerlei Maß angewandt wird, lässt sich das Recht der Macht durch die Macht
des Rechtes ersetzen. Darum wird es auch ohne eine den Palästinensern Recht verschaffende
Lösung des Palästina-Problems keinen Frieden im Nahen Osten geben.
Aus all dem ergeben sich etwa folgende politische Forderungen:
-
die Unterstützung des Internationalen Roten Kreuzes, das kurzzeitige Waffenstillstände verlangt,
die humanitäre Hilfe ermöglichen,
- eine umfassende Nahost-Friedenskonferenz nach dem Vorbild der KSZE,
- die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten, wie von der UNO gefordert,
- das Unterlassen aller Drohgebärden (nach der UN-Charta ist schon die Drohung mit Gewalt
völkerrechtswidrig),
- die Weigerung der Bundesregierung, sich an kriegerischen Aktionen zu beteiligen,
- gemeinsam mit Russland und China Verhandlungen zum demokratischen Wandel in Syrien begleiten
(Vorbild: die Überwindung der Apartheid in Südafrika),
- den Wunsch des Irans nach umfassenden Friedensverhandlungen mit den USA unterstützen.
Angesichts der militärischen und medialen Macht, die jetzt mobilisiert wird, um eine verhängnisvolle
Politik durchzusetzen, sind Ohnmachtsgefühle verständlich. Denken wir trotzdem nicht zu gering
von unseren Möglichkeiten. Die Jahreslosung gilt auch hier: „Meine Kraft ist in den Schwachen
mächtig“ (2. Korinther 12,9).
In diesem Sinne regen wir folgende Aktionen an:
-
Friedensgebete mit thematischem Schwerpunkt,
- in unserer Bildungsarbeit aufklären und alternative Informationen zugänglich machen,
- Leserbriefe schreiben,
- an Mahnwachen und Demonstrationen teilnehmen oder sie organisieren,
- auf kirchenleitende und politische Gremien einwirken, in dieser kritischen Stunde konkret das
Wort für einen gerechten Frieden zu ergreifen.
Es bleibt dabei: Nur der Friede ist der Weg zum Frieden. Die Gebote des Evangeliums sind heute
auch Gebote der politischen Vernunft, die sich am menschenwürdigen Überleben in der Weltgemeinschaft
orientiert.
Karlsruhe, 27. Februar 2012
* Dem Leitungskreis des FFE gehören an: Dietrich Becker-Hinrichs, Dr. Dirk-M. Harmsen, Bettina Ott, Dr. Wilhelm Wille, Dietrich Zeilinger
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