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Nützt ein Embargo dem syrischen Volk?

EU beschloss weitere Sanktionen

Von Karin Leukefeld *

Die EU hat ein Ölembargo gegen Syrien verhängt. Das verkündete der Rat der Europäischen Union am Freitag (2. Sept.) auf seiner Internetseite. Damit reagiere die Union auf die anhaltenden Repressionen gegen Oppositionelle in Syrien, sagten Diplomaten in Brüssel.

Der offiziellen Erklärung zufolge betrifft die Entscheidung Öl und andere Ölprodukte. Außerdem wurden vier weitere Vertreter der Regierung in Damaskus sowie drei weitere Unternehmen mit Einreiseverboten sowie Vermögenssperren belegt. Der niederländische Außenminister Uri Rosenthal sagte am Freitag am Rande eines Treffens der EU-Außenminister im polnischen Sopot, die Sanktionen »werden das Regime direkt in seinem Herzen treffen«. Dadurch werde die syrische Regierung weiter »unter Druck gesetzt«.

Die Entscheidungen werden von der syrischen Opposition durchaus nicht einhellig begrüßt. Als »falschen Weg« bezeichnete Haytham Manna, Sprecher der Arabischen Menschenrechtskommission, derartige Sanktionen im Gespräch mit der Autorin. Kuba sei »das beste Beispiel dafür, dass Sanktionen ein Regime nicht stürzen können«, sagte er. Auch Saddam Hussein habe »13 Jahre mit Sanktionen weiter regiert«. Nur Sanktionen gegen Personen könnten akzeptiert werden, »nicht aber gegen unser Land«.

Samir Aita, Chefredakteur der arabischen Ausgabe von »Le Monde Diplomatique«, fragt ebenfalls, ob niemand aus den Erfahrungen mit Irak gelernt habe. »Haben 13 Jahre Sanktionen das Regime gestürzt? Nein, sie haben die Gesellschaft zerstört.« Noch sei die syrische Gesellschaft stark und habe sich nicht in einen Bürgerkrieg ziehen lassen. »Wenn die Europäer und die USA Sanktionen verhängen und das Volk in Armut stürzen, wenn der wirtschaftliche Verfall voranschreitet, könnte die Situation eines Tages außer Kontrolle geraten.«

Nach Ansicht des irakischen Ölexperten Walid Khadduri wird sich ein Ölembargo »zweifelsohne nachteilig für die Bevölkerung auswirken«. Fraglich sei, warum die USA Öl-Sanktionen verhängt haben, obwohl sie seit Anfang 2009 überhaupt kein Rohöl und auch 2011 nur knapp 10 000 Barrel Heizöl aus Syrien gekauft haben. Die nationale Wirtschaft würde durch ein Ölembargo Schaden nehmen, warnte Khadduri in der arabischen Tageszeitung »Al Hayat«. Die syrische Ölindustrie fördere mit 155 000 Barrel pro Tag nur wenig, 1995 seien es noch 600 000 Barrel täglich gewesen. Ein Embargo werde internationale Ölfirmen und Investoren aus dem Land vertreiben. Syrien versuche derzeit, seine Förderkapazitäten zu vergrößern, und habe Erkundungsaufträge ausgeschrieben. Da westliche Firmen das Land nun verlassen müssten, könnten die Aufträge eventuell an russische, chinesische oder andere Firmen gehen. Unter einem embargobedingten Verfall der Ölindustrie würden sowohl einheimische Privatabnehmer als auch kleine Firmen, Landwirtschaft und Industrie leiden.

Syriens Öl

Syrien verkauft bisher rund 95 Prozent seiner Ölexporte in die Staaten der EU. Umgekehrt stellen die Lieferungen aus dem Land nur einen kleinen Teil der EU-Importe. Nach Angaben der EU-Kommission kamen aus Syrien im Jahr 2010 lediglich 1,5 Prozent der EU-Ölimporte.

Unter den EU-Staaten ist Deutschland demnach mit 34 Prozent der Menge der größte Abnehmer syrischen Öls. Dahinter folgen Italien und Frankreich mit 31,5 Prozent beziehungsweise 11,1 Prozent. Die Öllieferungen in die EU machen bis zu ein Drittel der Staatseinnahmen in Damaskus aus.

Für Neuverträge soll das Embargo EU-Diplomaten zufolge ab Sonnabend (3. Sept.) gelten, für geschlossene Verträge erst ab 15. November. Dem Vernehmen nach hatte Italien die Verzögerung gefordert. Kurz vor dem 15. November laufe ein Liefervertrag des italienischen Konzerns ENI mit Syrien aus.
AFP/ND



* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2011


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