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Anschlag auf Eisenbahn

Syrien: Aufständische attackieren Verbindungswege zwischen Aleppo im Norden und Damaskus. Am Sonntag verabschiedetes Gesetz erlaubt Parteineugründungen

Von Karin Leukefeld *

Bei einem Anschlag auf die Eisenbahnlinie Aleppo–Damaskus ist am Wochenende der Lokführer getötet worden, 16 Fahrgäste wurden zum Teil schwer verletzt. Etwa elf Kilometer vor Homs sei der Zug unmittelbar vor einer Brücke aus den Schienen gesprungen, erläuterte Bahndirektor George Al-Mokabari am Sonntag (24. Juli) im syrischen Fernsehen. Ein Verbindungsstück sei entfernt und die Schienen manipuliert worden. Die Lokomotive sei vom Rest des Zuges getrennt worden und in Flammen aufgegangen. Acht von elf Waggons seien entgleist, an Bord waren 485 Fahrgäste. Der entstandene Schaden wird auf etwa sechs Millionen US-Dollar geschätzt. Die Bahn gilt in Syrien als eines der sichersten Verkehrsmittel und ist nicht zuletzt wegen der niedrigen Fahrpreise sehr beliebt.

Seit Wochen versuchen unbekannte Aufständische, mit Waffengewalt die Verbindungswege zwischen Aleppo im Norden und der syrischen Hauptstadt Damaskus zu stören. Sowohl militärische als auch zivile Fahrzeuge und Busse werden Ziel von Angriffen. Ein Händler, der sein im Norden geerntetes Obst auch in Damaskus verkauft, berichtete, er lasse seine Lastwagen einen weiten Umweg über Palmyra im Osten des Landes fahren, um Überfällen zu entgehen.

Demonstrationen für und gegen die Regierung halten weiter an, am Wochenende wurden viele Oppositionelle festgenommen. Angehörige berichteten, sie rechneten mit einer raschen Freilassung, die Gerichte seien aber völlig überfordert.

Die syrische Regierung zeigt sich derweil fest entschlossen, den Reformprozeß voranzubringen. Am Sonntag wurde ein Parteiengesetz verabschiedet. Vorbild seien ähnliche Gesetze aus anderen Ländern, sagte Informationsminister Adnan Mahmoud. Über die Webseite Tasharukia seien zudem Zehntausende Vorschläge von der Bevölkerung eingebracht worden. In 40 Paragraphen werden Gründung, Mitgliedschaft und Finanzierung einer Partei geregelt. Die Mindestmitgliedszahl beträgt 1000 Personen. Über die Anerkennung einer Partei entscheidet ein Komitee im Justizministerium, das sich innerhalb von 60 Tagen entscheiden und eine Ablehnung begründen muß. Nicht erlaubt sind die religiöse, berufsbezogene oder ethnische Orientierung einer Partei. Sippen- oder regionale Zugehörigkeit werden als Programm ebensowenig akzeptiert, wie geschlechtliche oder rassistische Diskriminierung. Jede Partei ist der verfassungsmäßigen Grundordnung verpflichtet.

Kritiker verweisen auf Artikel 8 der Verfassung, in dem die »führende Rolle der Baath-Partei« in Politik und Gesellschaft verankert ist. Vizepräsident Faruk Al-Shara sagte dazu am Freitag vor Journalisten, man wolle innerhalb von drei Monaten eine neue Verfassung verabschieden. Die Streichung von Paragraph 8 sollte kein Problem sein. Die Absage an religiöse Parteiprogramme bezieht sich auf die in Syrien verbotene Muslimbruderschaft. Die Türkei, deren Regierungspartei AKP ebenfalls der sunnitischen Muslimbruderschaft angehört, fordert deren Zulassung in Syrien auch als Partei.

Damaskus versucht derweil den enormen wirtschaftlichen Verlust der vergangenen Monate auszugleichen. Derzeit befindet sich der syrische Minister für Öl und Mineralressourcen in Teheran, um eine Ausweitung der bilateralen Kooperation im Bereich von Öl und Erdgas zu besprechen. Bei dem Besuch ist auch die Unterzeichnung eines trilateralen Abkommens zwischen Iran, Irak und Syrien über den Bau einer Gaspipeline zum Mittelmeer vorgesehen.

* Aus: junge Welt, 26. Juli 2011


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