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Opposition will sich neu strukturieren

Syrische Oppositionelle beraten in Doha über "Exilregierung"

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Den dritten Tag in Folge haben sich Hunderte syrische Oppositionelle in Doha, der Hauptstadt von Katar, versammelt. Ziel des Treffens, das vom Emir von Katar, Scheich Hamid bin Khalife Al-Thani, ausgerichtet wird, ist eine Neustrukturierung des Syrischen Nationalrates (SNR). Das Gremium war vor wenigen Tagen von US-Außenministerin Hillary Clinton als »ineffektiv« kritisiert und als nicht repräsentativ für die syrische Opposition bezeichnet worden.

Innersyrische Organisationen wie der Nationale Koordinationsrat für demokratischen Wandel in Syrien (NCC) oder die Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen« wurden im Vorfeld des Treffens in Doha ausdrücklich ausgeschlossen. Beide Gruppen treten für einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen ein. Sie lehnen die Bewaffnung der Opposition, ausländische Einmischung und Militärintervention ab.

Die USA treten für eine neue Dachorganisation ein, die den Namen »Syrische Nationale Initiative« tragen und 50 Mitglieder haben soll. Dem SNR sollen Berichten zufolge 15 Sitze eingeräumt werden. Nach dem Willen der USA sollen auch die bewaffneten Kämpfer aus Syrien in dem zukünftigen Gremium eine gewichtige Rolle spielen.

Am Dienstag wurde bekannt, daß 13 neue Gruppen mit insgesamt 200 Personen in den SNR aufgenommen werden sollen. Die Zahl der SNR-Mitglieder soll von 313 auf 220 reduziert werden, um 200 weitere aufzunehmen, sagte SNR-Sprecher Ahmet Kamel in Doha.

Der ehemalige syrische Abgeordnete und Textilkaufmann Riad Seif soll nach dem Willen der USA offenbar eine führende Rolle bei der Bildung einer »Exilregierung« spielen, die aus dem Treffen hervorgehen könnte. Seif, der als Oppositioneller inhaftiert war und erst im Herbst 2011 entlassen wurde, ist in Syrien populär. Er plane »eine Art Regierung aus Technokraten«, sagte Seif Journalisten. Er verstehe seine Initiative als »Ergänzung«, nicht als »Ersatz« zum SNR. Seif hatte sich mit Gleichgesinnten zuvor in Amman auf den Vorschlag geeinigt. Zu der Gruppe von Seif gehören die ehemalige SNR-Sprecherin Bassma Kudmani, der ehemalige syrische Ministerpräsident Riad Hidschab, der im August Syrien verließ, Ali Sadreddin Bayanuni von der Muslimbruderschaft sowie kurdische und Stammesvertreter. Das Treffen in Doha endet am Donnerstag.

Ägypten will erneut die vier Regionalmächte im Mittleren Osten zusammenbringen, um den Krieg in Syrien zu beenden. Dazu gehören die drei Gegenspieler des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad – die Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien sowie der Iran, der Syrien politisch, wirtschaftlich und militärisch verbunden ist. Bereits zweimal waren Diplomaten der vier Staaten zusammengetroffen, ein weiteres Treffen wurde von Saudi-Arabien boykottiert.

Moskau unterstütze die Initiative des ägyptischen Präsidenten Mursi, sagte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow am Montag in Kairo, wo er mit seinem Amtskollegen Kamel Amr gesprochen hatte. Die beste Grundlage für ein Ende der Gewalt in Syrien sei die Genfer Vereinbarung. Am 30. Juni hatten sich unter Vermittlung des vorherigen Syrien-Beauftragten der UNO, Kofi Annan, die Außenminister aller Vetomächte auf eine Übergangslösung geeinigt, wonach das Land von einer Übergangsregierung aus Opposition und dem aktuellen Kabinett geführt werden solle. Unmittelbar nach dem Treffen verhinderten die USA, Großbritannien und Frankreich eine Initiative Rußlands, die Vereinbarung zu einer UN-Sicherheitsratsresolution zu machen. Annans Nachfolger, Lakhdar Brahimi, erklärte am Montag, daß die Genfer Vereinbarung in eine UN-Sicherheitsratsresolution übernommen werden sollte, um das Blutvergießen in Syrien zu beenden.

In Damaskus wurde am Dienstag der Bruder des Parlamentspräsidenten, Mohammed Osama Al-Laham, ermordet. Der Agraringenieur war auf dem Weg zur Arbeit, als bewaffnete Kräfte in Midan das Feuer auf seinen Wagen eröffneten. Al-Laham war sofort tot. Wissenschaftler, Ärzte, Professoren und Fachkräfte werden gezielt von bewaffneten Aufständischen getötet.

In der entmilitarisierten Zone auf dem Golan gingen die Kämpfe weiter. Dabei wurden bisher mindestens zwei Zivilisten in Beerjama getötet. Ein dritter Mann, der seinen Vater evakuieren wollte, wurde ebenfalls im Kreuzfeuer erschossen. Die israelische Armee meldete am Montag den Einschlag eines Geschosses auf dem von Israel besetzten Golan. Ein Militärfahrzeug sei beschädigt worden, hieß es. Man gehe davon aus, daß das Geschoß nicht gegen Israel gerichtet gewesen sei.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 07. November 2012

Karin Leukefeld

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum Programm des Kongresses




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