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Intensive Verhandlungen in Genf

Kerry lobt Atmosphäre bei Gesprächen mit Lawrow über Syriens Chemiewaffen

Von Marc Engelhardt, Genf *

Die USA und Russland halten ungeachtet ihrer Differenzen im Syrien-Konflikt an einer Friedenskonferenz fest. Eine Vereinbarung über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen würde die Chancen für die Konferenz erhöhen, erklärten die Außenminister beider Länder am Freitag in Genf.

Wer daran gezweifelt hatte, dass der Frieden in Syrien bei den US-amerikanisch-russischen Verhandlungen in Genf allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt, wurde am Freitag von den beiden Hauptpersonen eines Besseren belehrt.

»Der Hauptgrund unseres Treffens ist die Initiative zur Kontrolle und Zerstörung von Syriens Chemiewaffen«, stellte US-Außenminister John Kerry bei einer kurzen Pressekonferenz im Völkerbundpalast klar. Ähnlich äußerte sich sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow.

Kerry lobte die konstruktive Atmosphäre der Gespräche, Lawrow hob Kerrys persönliches Engagement hervor. Beide dankten dem UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi für seine Initiative einer zweiten Genfer Friedenskonferenz für Syrien. Doch über die könne man erst sprechen, wenn man die Hausaufgaben erledigt habe, so Kerry. »Wir werden uns am Rande der UN-Vollversammlung treffen um zu entscheiden, ob ein Datum für eine solche Konferenz festgelegt werden kann.« Grundlage dafür sei, daran ließ Kerry keinen Zweifel, die Einigung in Sachen syrische Chemiewaffen. Brahimi, der am Vorabend noch die Hoffnung geäußert hatte, man werde hoffentlich schon früher über einen Friedensprozess für Syrien sprechen, konnte nicht mehr tun, als höflich zu lächeln.

Über Syriens Chemiewaffen wurde den Rest des Tages hinter verschlossenen Türen im nahen Hotel Intercontinental verhandelt. Beide Seiten, Russland und die USA, sind mit Chemiewaffenexperten nach Genf gekommen. Sie sollen ausloten, wie realistisch es ist, Syriens Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu bringen.

Kurz nach seiner Ankunft am Donnerstagabend hatte Lawrow bereits den Ablauf skizziert, wie er ihn sich vorstellt: Nach dem Beitritt Syriens zur Internationalen Chemiewaffen-Konvention müssten die Bestände offengelegt werden. Experten der UN hätten danach deren Kontrolle zu übernehmen und die Chemiewaffen schließlich zu zerstören. Das Sekretariat der Chemiewaffenkonvention in Den Haag hat den Eingang eines Antrags auf eine Mitgliedschaft Syriens inzwischen bestätigt; wenn die Unterlagen vollständig sind, wäre Syrien der 190. Un- terzeichnerstaat der Konvention. Experten zweifeln allerdings daran, dass es mitten im Bürgerkrieg möglich sein wird, Syriens Chemiewaffen zu kontrollieren, geschweige denn zu zerstören.

Eine Expertenkommission, die die Lage im Auftrag des UN-Menschenrechtsrats untersucht, legte ebenfalls am Freitag in Genf einen Bericht vor, in dem die syrische Armee bezichtigt wird, gezielt Hospitäler anzugreifen und mutmaßlichen Oppositionsunterstützern den Zugang zu medizinischer Hilfe zu verweigern. In einem Brief rief der Präsident des Menschenrechtsrats, Remigiusz Henczel, die Minister Kerry und Lawrow deshalb auf, sich für einen Zugang der UN-Experten nach Syrien einzusetzen, um vor Ort Menschenrechtsverletzungen untersuchen zu können.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 14. September 2013


"Ein absolut richtiger Schritt"

Jabbour: Damaskus handelt bei Abgabe der Chemiewaffen verantwortungsvoll

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Die syrische Führung will sich schon vor einem offiziellen Beitritt zur internationalen Chemiewaffenkonvention an deren Vorgaben halten. Das war am Freitag in Damaskus die Nachricht des Tages. Präsident Assad habe den Antrag selbst unterzeichnet.

Die jüngsten Entwicklungen stimmten ihn optimistisch, sagt Prof. George Jabbour in Damaskus. Seit im März erste Berichte über Angriffe mit chemischen Substanzen bei Aleppo bekannt geworden waren, habe er darüber nachgedacht, wie die syrische Regierung verantwortungsvoll mit dieser Gefahr umgehen könne. Weil er aber kein politisches Amt mehr inne habe, habe er mit Kollegen der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen versucht, eine öffentliche Diskussion darüber anzustoßen. Es sei »eine Verpflichtung für jeden Staat«, in der Frage von Massenvernichtungswaffen mit den Vereinten Nationen zu kooperieren, fährt der frühere Präsidentenberater und ehemalige Parlamentsabgeordnete fort. Dem Chemiewaffenabkommen beizutreten, hält Jabbour für »absolut richtig«.

2003 sei vor dem Irakkrieg von verschiedenen Staaten und ehemaligen UN-Offiziellen, auch von Syrien, für einen Mittleren Osten frei von Massenvernichtungswaffen geworben worden – ohne Erfolg, erinnert Jabbour. Die jetzige Entscheidung der Regierung werde in Syrien und außerhalb unterschiedlich interpretiert. Einige meinten, es sei ein Zeichen von Schwäche, Baschar al-Assad habe dem Druck aus den USA nachgegeben. Andere meinten, es sei ein Ausweg für Obama gewesen, der mit seinen Kriegsplänen gegen Syrien in eine Sackgasse geraten sei.

Die Deklarierung der chemischen Waffen würde Syrien militärisch schwächen, sagen wieder andere. Es gibt aber auch die Meinung, es werde die syrischen Streitkräfte stärken, weil die konventionellen und hochmodernen Waffensysteme nicht betroffen seien. Jabbour selbst bescheinigt der syrischen Regierung, einen »exemplarischen Schritt hin zum Frieden in der Region« gemacht zu haben. Jetzt sollten sich die Großmächte auf die Genf-II-Konferenz konzentrieren, um einer politischen Lösung in Syrien endlich näher zu kommen.

Nabil M., ein pensionierter Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums, unterstützt die Entscheidung der Regierung von »ganzem Herzen«. Niemand wolle heute mehr solche Waffen, auch Syrien nicht. Selbst in den 70er Kriegen mit Israel habe die syrische Armee chemische Waffen nie eingesetzt. »Wir haben diese Waffen, um gegen die israelischen Atomwaffen ein Gleichgewicht herzustellen«, sagt er. »Warum wird internationaler Druck nur auf Syrien und nicht auch auf Israel ausgeübt?«

Die Erklärung von Assad, in der Frage der chemischen Waffenbestände nur dann zu kooperieren, wenn die USA nicht weiter mit einem Militärschlag drohten, hält der Agraringenieur für richtig. Kein Verständnis zeigte Nabils Bruder Hussam über einige Regierungsgegner in seinem Verwandten- und Freundeskreis, die gegen die internationale Kontrolle der syrischen Chemiewaffenbestände seien. Sie seien »verärgert und schockiert«, dass die USA nicht angegriffen hätten, und »nun werfen sie der Regierung vor, die Kontrolle über syrische Waffen abzugeben.« Der griechisch-orthodoxe Patriarch der Kirche von Antiochien, Gregorius III. Laham, begrüßt im Gespräch mit der Autorin in Damaskus den Schritt der Regierung ebenfalls.

Das Ausbleiben eines US-Angriffs bedeute kein Ende des »schmutzigen Krieges« in Syrien, hatte der griechisch-orthodoxe Priester Botros Beschara am Mittwoch bei einem Friedensgebet in Sweida gesagt. Die Gemeinden der Kirchen von Sweida, Horan und Qunaitra beteten in einem gemeinsamen Gottesdienst für Frieden in ganz Syrien .

** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. September 2013


Syriens Ja zur Konvention

Vernichtung der C-Waffen wird schwierig

Von Olaf Standke ***


Damaskus will der Chemiewaffenkonvention beitreten, und Moskau hat einen Vorschlag für den Abbau der Arsenale gemacht, der mit den USA in Genf verhandelt wird.

Die erste Stufe des russischen Vier-Punkte-Plans zur Liquidierung der chemischen Kampfstoffe Syriens hat das Regime in Damaskus genommen: In einem Schreiben an die Vereinten Nationen erklärte die Regierung nun offiziell, dass man sich der C-Waffen-Konvention anschließen und deren Verpflichtungen auch schon vor dem Beitritt einhalten werde. Ein entsprechendes Dekret soll Präsident Baschar al-Assad unterschrieben haben. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßte den Schritt und hofft, dass er US-Außenminister John Kerry und dessen russischen Kollegen Sergej Lawrow bei den Verhandlungen in Genf zu einer »raschen Einigung ermutigen« werde. In New York muss nun erst einmal geprüft werden, ob der Antrag vollständig sei, so ein UN-Sprecher. Nach der formellen Mitgliedschaft hätte Syrien gemäß der Konvention 30 Tage Zeit, Auskunft über seine Bestände zu geben.

Der völkerrechtliche Vertrag verbietet die Entwicklung und Herstellung, den Besitz, die Verbreitung und den Einsatz von Chemiewaffen. Er wurde 1993 von der Genfer Abrüstungskonferenz verabschiedet und trat 1997 in Kraft. Inzwischen haben 189 Staaten die Konvention ratifiziert. Neben Syrien hatten bislang auch Angola, Ägypten, Nordkorea und Südsudan das Abkommen nicht unterzeichnet. Myanmar und Israel, das jetzt erneut grundsätzliche Zweifel an seiner Wirksamkeit äußerte, haben die Konvention zwar signiert, aber noch nicht ratifiziert.

Die USA verlangten bei den Syrien-Verhandlungen mit Russland eine rasche Vernichtung aller Chemiewaffen des Regimes in Damaskus. Doch nicht nur der ehemalige UN-Waffeninspekteur Hans Blix befürchtet, dass die Kontrolle und Zerstörung der Arsenale äußerst schwierig und langwierig sein dürfte. Anders als bei seiner früheren Mission in Irak tobe in Syrien nach wie vor ein Bürgerkrieg. Die Bereitschaft zur Offenlegung bedeute noch lange nicht, dass die UN-Inspektoren auch alles finden werden. Wie das »Wall Street Journal« jetzt unter Berufung auf US-Regierungsvertreter berichtete, soll eine geheime syrische Militäreinheit Teile der Giftgasarsenals im Land an mindestens 50 verschiedene Orte verteilt haben, um den USA einen Militärschlag zu erschweren. Nach Schätzung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen verfügt Damaskus über 1000 Tonnen Kampfstoffe, darunter Sarin, Senfgas und das Nervengas VX.

Zudem sei weiter ungeklärt, ob auch die syrischen Rebellen über Giftgas verfügten, betont Hans Blix. Machthaber Baschar al-Assad könnte »ebenso verlangen, dass die Inspektoren auch bei den Rebellen nach chemischen Waffen suchen«. Laut türkischen Presseberichten vom Freitag sollen islamistische Gruppen versucht haben, über die Türkei an Ausgangsstoffe für den Nervenkampfstoff Sarin zu gelangen. Ein Staatsanwalt in Adana habe gegen einen bereits im Mai festgenommenen Verdächtigen nun eine entsprechende Anklageschrift fertiggestellt. Der 35-jährige Syrer soll versucht haben, die Chemikalien für die Al-Nusra-Front sowie die Rebellengruppe Ahrar al-Scham zu beschaffen. Frankreichs Außenminister Laurent Fabius rechnet damit, dass der Bericht der UN-Inspekteure über den Assad vorgeworfenen Chemiewaffeneinsatz am 21. August »wahrscheinlich am Montag« veröffentlicht wird. Westliche Diplomaten in New York erwarten, dass sie die Vorwürfe der USA bestätigen.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. September 2013


Realistische Chance

Von Olaf Standke ****

Eine Lösung des Chemiewaffen-Problems mache jeden Militärschlag gegen Syrien »unnötig«. Das hofft nicht nur der russische Außenminister Sergej Lawrow. Doch die Angelegenheit ist kompliziert, wie die Genfer Verhandlungen mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry zeigen. Der forderte jetzt eine rasche Vernichtung aller Kampfstoffe des Assad-Regimes – und sollte doch am besten wissen, dass die Liquidierung dieser schrecklichen Massenvernichtungswaffen ein komplexer, langfristiger und nicht zuletzt teurer Prozess ist.

So wird es wohl noch bis mindestens 2023 dauern, bevor die Vereinigten Staaten den Verpflichtungen aus der 1997 in Kraft getretenen C-Waffen-Konvention genüge getan und ihre eigenen Arsenale vollständig vernichtet haben. Dabei sollte diese Aufgabe eigentlich nach zehn Jahren und mit Fristverlängerung spätestens im Vorjahr erfüllt gewesen sein. Und das ganz ohne militärische Auseinandersetzungen. Deshalb ist in Syrien nicht nur ein schnelles, sondern auch ein realistisches Vorgehen erforderlich, selbst wenn die Kampfstoffmenge deutlich geringer ist. So schwierig sich wahrscheinlich schon ihre Erfassung unter Bürgerkriegsbedingungen gestalten wird, so wichtig wäre es, wenn auch nur Teilbestände außer Land gebracht werden könnten. Das aber erfordert die Einbeziehung des Assad-Regimes wie seiner Gegner im Lande. Durch militärische Angriffe von außen jedenfalls lassen sich weder die Arsenale beseitigen noch der Bürgerkrieg beenden.

**** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. September 2013 (Kommentar)


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