Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Dialogbereit

Teile der syrischen Opposition wollen mit Präsident Assad Übergang verhandeln. Gespräche an Erfüllung von Forderungen geknüpft

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der 27. Juni 2011 war ein »historischer Tag« für die syrische Opposition. Da konnte sie zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Baath-Partei im Jahr 1963 zu einer offiziellen Versammlung zusammenkommen. Michel Kilo hofft, daß »es auch ein historischer Tag für Syrien wird«. Kilo ist einer der bekanntesten Oppositionsführer im Land. Er gehört zu dem Kreis von Schriftstellern, Journalisten, Anwälten und Professoren, die sich derzeit vor Interviewanfragen der ausländischen Presse kaum retten können. Seit Jahren fordern sie mehr Bürgerrechte und Freiheiten vom syrischen Regime, viele sind dafür bereits ins Gefängnis gegangen. Kilo ist überzeugt, daß es der Druck der Straße war, der das Treffen Ende Juni in Damaskus ermöglicht hat. Der Forderungskatalog, der anschließend veröffentlicht wurde, soll die Anliegen der syrischen Massendemonstrationen widerspiegeln, für sie sprechen, das will man nicht, so Kilo im jW-Gespräch. Das dringendste Anliegen sei, daß endlich Schluß mit der »militärischen Antwort« auf die Proteste ist und sich Armee und Sicherheitskräfte in die Kasernen zurückziehen. Nur in einem gewaltfreien Klima lasse sich der Übergang diskutieren, heißt es in dem Papier.

Auch alle Gefangenen, die im Zusammenhang mit den Protesten der vergangenen Wochen festgenommen wurden, sollen freikommen. Eine unabhängige Untersuchung müsse zudem die Verantwortlichen für die vielen zivilen und militärischen Toten ausfindig machen, alle Medien sollen Zugang zu den Brennpunkten der Proteste erhalten.

Wenn die Regierung um Baschar Al-Assad diese »vertrauensbildenden Maßnahmen« umsetze, sei man zu einem Dialog bereit, um den politischen Übergang in Syrien zu vereinbaren, sagte Kilo. Die Regierung hat schon den kommenden Sonntag als Termin vorgeschlagen, doch vermutlich wird es eine Woche später werden. Zunächst wollen die Oppositionellen mit Vertretern von 18 syrischen Parteien diskutieren, die halb- und illegal im Land gearbeitet haben.

Protest gegen den Dialog kommt von Teilen der Jugend, die den sofortigen Rücktritt des Präsidenten und den Sturz des Regimes fordern. Sie organisieren sich nach eigenen Angaben über Internetplattformen, Blogs und Facebook. Die Jugendbewegung schiebe Syrien in die Moderne, erklärte Michel Kilo. Die meisten jungen Menschen seien zwar arbeitslos, doch gut gebildet, das gelte für die Städte und für das Land. Dennoch ist mancherorts eine deutlich religiöse Ausrichtung der Proteste nicht zu übersehen. So berichten Anwohner eines Damaszener Vorortes, daß bei den abendlichen Protestrunden die Rufe nach Allah nicht zu überhören seien. In manchen Fällen marschierten am Ende der Züge Frauen mit Gesichtsschleier. In Grenzstädten des Landes, wie Daraa, Tel Kalach und Dschisr as-Schughur kann das Agieren bewaffneter Kräfte nicht geleugnet werden. Auch ausländische Einmischung ist nicht ausgeschlossen, das syrische Regime hat wegen seiner Haltung im Nahostkonflikt mächtige Feinde.

Im »Kampf um die Herzen und Köpfe« ihrer Bevölkerung legt Syriens Regierung dieser Tage eine ungeahnte Geschwindigkeit an den Tag, berichten Journalisten, die seit Ende Mai an einem neuen Mediengesetz arbeiten. Eigentlich hatte man ihnen zwei Monate Zeit gegeben, doch nun wurde der erste Entwurf bereits am Montag abgeliefert. Das Dialogkomitee des Kabinetts habe Druck gemacht, sagt Waddah Abd Rabbo, Chefredakteur der privaten Tageszeitung Al Watan gegenüber junge Welt. »Das neue Mediengesetz steht bei dem ersten nationalen Dialogtreffen mit der Opposition auf der Tagesordnung.«

* Aus: junge Welt, 5. Juli 2011


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage