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Die Ruhe nach dem "Damaskus-Vulkan"

Trotz steigender Opferzahlen - die syrische Hauptstadt ist zu alter Geschäftigkeit zurückgekehrt

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

In Damaskus, so berichteten Nachrichtenagenturen wie dpa aus der syrischen Hauptstadt, attackierten die Aufständischen am Dienstag nach eigenen Angaben Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte. Dabei setzten sie automatische Waffen und Panzerfäuste ein. Das ist für fast jeden in der Stadt zu hören.

»Oh, das war aber ein großer Schlag.« Einen Moment hält eine Gruppe Damaszener Freunde in ihrer Diskussion inne, während sich diese besondere Stille über Damaskus legt, die jeder Detonation, jeder Explosion folgt. Als hielte die Stadt kurz den Atem an, scheinen die Menschen auf weitere Schläge oder Gewehrfeuer zu warten, wie das vor wenigen Tagen noch der Fall war. Wenn weder das eine noch das andere sich einstellt, nimmt der Alltag wieder seinen Rhythmus auf.

Der Freundeskreis, der die Autorin zu seiner Diskussion eingeladen hat, überlegt, wo die Detonation gewesen sein und was sie verursacht haben könnte. Die Meinungen gehen weit auseinander. Das Militär schieße vom Kassioun, dem Hausberg von Damaskus, über die Stadt hinaus Raketen in einen der Vororte, sagt einer. Andere meinen, dass Sicherheitskräfte Sprengsätze kontrolliert zur Explosion gebracht haben könnten. Einer mutmaßt die Explosion einer Autobombe, dann wieder meint jemand, es könne auch der Angriff von Aufständischen mit einem Granatwerfer sein oder, so eine junge Frau, das Militär werfe aus einem Hubschrauber Lärmbomben ab, »um die Menschen einzuschüchtern«.

Zwei Wochen nach dem Sturm auf Damaskus, der »Operation Damaskus-Vulkan«, mit der Rebellen die Stadt einnehmen und »befreien« wollten, hat die syrische Metropole äußerlich ihre alte Geschäftigkeit wiedergefunden. Die Straßen sind voller Autos, Fußgänger erledigen Geschäfte, die Verkehrspolizisten sind ebenso zurückgekehrt wie die Straßenkehrer, die mit Besen und Handkarren ihre Runden drehen. Lange Schlangen vor den Bankautomaten weisen auf das Monatsende hin, an dem die Syrer ihre Gehälter und Pensionen erhalten.

Doch die Menschen sind nervös, müde und bedrückt über die Ereignisse in ihrem Land. Die Zerstörung, unweigerliche Folge der militärischen Eskalation, die Vertreibung Tausender aus ihren Vierteln, die vielen Toten auf allen Seiten ... Täglich verlassen etwa 60 Särge das Militärkrankenhaus »Tischrin«, berichtet ein ausländischer Gesprächspartner, der in Damaskus lebt. Die Zahl der Opfer unter Militär- und Sicherheitskräften ist inzwischen so hoch, dass die Medien nicht mehr - wie noch vor einigen Wochen - täglich die Namen der Toten bekannt geben.

Doch es gibt auch Lichtblicke. In der Zentrale der Polizei von Damaskus, die während des »Damaskus-Vulkans« Ziel eines Angriffs von Aufständischen geworden war, werden 133 Personen freigelassen. Sie hatten sich in Damaskus, im Umland der Hauptstadt, in Homs und Idlib zwar zunächst bewaffnet, später aber der Armee gestellt.

Der neue Minister für Versöhnung, Ali Haidar, lud in Homs Vertreter verschiedener Gruppen zum Iftar-Essen ein, dem abendlichen Fastenbrechen während des Ramadans. In Rukn Eddin wiederum gelang es angesehenen Leuten dieses Damaszener Viertels, junge Leute zu überzeugen, die Waffen, die sie von der »Freien Syrischen Armee« erhalten hatten, bei der Polizei abzugeben.

Die Damaszener Freunde sind ratlos angesichts der Militarisierung ihrer »Revolution«. »Vielleicht können wir in der nächsten Phase etwas Nützliches tun«, meint eine Teilnehmerin vorsichtig. Jetzt sei den Menschen, die Gewalt ablehnten, alles aus den Händen genommen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 1. August 2012


In Aleppo verschanzt

Syrien: Bewaffnete Söldner halten dicht besiedelte Wohnviertel weiter besetzt. Anhaltende heftige Gefechte mit Einheiten der regulären Armee

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Auch am Dienstag lieferten sich Aufständische in und um Aleppo mit Einheiten der syrischen Armee weiterhin erbitterte Kämpfe. Während die beiden Ortsteile Salaheddin und Hamdaniye im Südwesten der Stadt weitgehend von den regulären Streitkräften eingenommen werden konnten, waren Kontrollpunkte an der Hauptverbindungsstraße zwischen Aleppo und der türkischen Grenze, im Norden der Stadt, offenbar weiterhin heftig umkämpft. Auch aus dem Nordosten der Stadt wurden Kampfhandlungen gemeldet.

Ein namentlich nicht genannter Sprecher der Aufständischen dementierte erneut gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Kontrolle des Ortsteils Saleheddin verloren zu haben. Man plane »Viertel für Viertel in die Innenstadt vorzudringen«, das sei nur »eine Frage von Tagen, nicht von Wochen«. Reporter, die mit den bewaffneten Aufständischen unterwegs waren, berichteten gleichwohl von schweren Verlusten bei den Kämpfern. Syrische Medien meldeten unter Berufung auf offizielle Militärquellen, daß mindestens acht kleine Lieferwagen, die mit Schnellfeuergewehren oder Anti-Panzer-Raketen bestückt waren, von der Armee zerstört worden seien. Mindestens zwei Dutzend der bewaffneten Aufständischen – »bewaffnete Terroristen« werden sie in Syrien offiziell genannt – seien getötet worden. Ein Lastwagen mit Sprengstoff, der sich offenbar auf dem Weg nach Aleppo befand, wurde beschlagnahmt. An der Grenze zum Libanon sollen die Grenztruppen nach offiziellen Angaben Aufständische daran gehindert haben, illegal ins Land einzusickern. In Homs fand die Armee nach einer umfangreichchen Militäroperation weite Tunnelsysteme, durch die die Aufständischen offenbar ihren Nachschub organisiert hatten.

Berichte über einen angeblichen Panzerangriff der syrischen Armee auf den Konvoi von General Babacar Gaye, den neuen militärischen Leiter der UN-Beobachtermission in Syrien, stellten sich als falsch heraus. Verschiedene Medien hatten unter Berufung auf UN-Generalsekretär Ban Ki Moon von einem Angriff in der Provinz Homs berichtet. Bei der Pressekonferenz in Damaskus, bei der der General über seinen Besuch in Homs und Al-Rastan berichtet hatte, erschien dieser gleichwohl unversehrt. Tatsächlich war der Konvoi offenbar unter Kleingewehrfeuer geraten, als er durch ein von den bewaffneten Aufständischen kontrolliertes Gebiet gefahren war.

Von syrischer Seite ging die Suche nach einer politischen Lösung trotz der militärischen Eskalation weiter. Das syrische Außenministerium wandte sich mit zwei gleichlautenden Schreiben an den UN-Sicherheitsrat sowie an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und wies darauf hin, daß bewaffnete Gruppen bei ihren Angriffen auf die Zivilbevölkerung und deren Eigentum sowie gegen öffentliche Einrichtungen in Damaskus und Aleppo schweren Schaden angerichtet hätten. Die »terroristischen Söldner«, die von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei offen unterstützt würden, seien in großer Zahl in Aleppo eingedrungen und hätten dicht besiedelte Wohnviertel besetzt. Ihr illegales Eindringen nach Syrien werde von der Türkei ermöglicht.

Das Außenministerium wies darauf hin, daß man sich am 8. Juli mit dem UN-Sonderbeauftragten Kofi Annan auf die Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans und die Genfer Vereinbarung verständigt habe, die die Bildung einer Übergangsregierung vorsieht. Das Vorgehen der »terroristischen Gruppen« und ihrer Unterstützer machten das jedoch unmöglich. Mehrmals hätten diese den Sechs-Punkte-Plan abgelehnt, ebenso wie die Vereinbarung von Genf. Das Ministerium kritisierte ausdrücklich die Regierungen in Ankara, Doha, Riad, Washington, Paris, London und Berlin, die zu den Attacken der Aufständischen schwiegen. Die Staaten im UN-Sicherheitsrat müßten die bewaffneten Gruppen zum Rückzug aus syrischen Städten und zur Einstellung von »terroristischen Aktionen« auffordern, heißt es in dem Schreiben. Auch die Staaten hinter diesen Söldnergruppen solle der UN-Sicherheitsrat auffordern, ihre Unterstützung einzustellen. Damaskus fühle sich weiterhin dem einstimmig vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan und der Vereinbarung von Genf verpflichtet.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 1. August 2012


Telefonat "besorgter Demokraten"

USA und Türkei für beschleunigten Übergang in Syrien ohne Assad ***

Die USA und die Türkei wollen den »Abgang« des Präsidenten Syriens, Baschar Al-Assad, und den politischen Übergang in dem Land »beschleunigen«. Es müsse auf die »legitimen Forderungen des syrischen Volkes« eingegangen werden, erklärte das Weiße Haus am Montag (Ortszeit) nach einem Telefonat zwischen US-Präsident Barack Obama und dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan. Beide Staaten wollten »in engem Kontakt« bleiben, um über Wege zu beraten, wie ein »demokratischer Übergang in ­Syrien« gefördert werden könne. Demnach äußerten beide Politiker bei dem Gespräch ihre »zunehmende Beunruhigung über die gnadenlosen Angriffe des syrischen Regimes gegen sein eigenes Volk, zuletzt in Aleppo«. Obama und Erdogan kamen zudem überein, die Hilfe für die steigende Zahl von Flüchtlingen zu koordinieren. Obama würdigte die »Großzügigkeit« der Türkei, die bisher 44000 Flüchtlinge aus Syrien aufnahm. Unterdessen haben sich Regierungstruppen und Rebellen am Dienstag in der syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo den elften Tag in Folge heftige Gefechte geliefert. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind bereits 200000 Menschen vor der Gewalt dort geflohen.

Nach einem angeblichen Angriff der syrischen Streitkräfte auf einen Konvoi der internationalen Beobachter hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erneut zu einem sofortigen Ende des Blutvergießens im Land aufgerufen. Er sei tief besorgt, daß Damaskus jede Art von schwerem Gerät einsetze, darunter Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber und schwere Waffen, sagte Ban am Montag in New York. »Dies ist eine inakzeptable Situation. Jeden Tag werden mehr als 100 Menschen getötet«, erklärte er. Mehr als zwei Millionen Menschen seien von der Gewalt betroffen.

Nach Agenturangaben sollen sich zwölf weitere syrische Offiziere in die Türkei abgesetzt haben. In London habe ein Diplomat Damaskus den Rücken gekehrt. (AFP/dapd/jW)

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 1. August 2012


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