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China für Gewaltstopp

Syrien: Pekings stellvertretender Außenminister zu Gesprächen in Damaskus. Tote bei Trauerzügen und Demonstrationen. Gezielte Morde an Offiziellen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Während eines Besuchs des stellvertretenden chinesischen Außenministers Zhai Jun am Wochenende in Damaskus, ist es am Freitag und Samstag (17. u. 18. Feb.) bei Demonstrationen und Trauerzügen im Westen der syrischen Hauptstadt zu Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften gekommen.

Zhai Jun war am Freitag zunächst mit seinem Amtskollegen Feisal Mekdad zusammengetroffen und hatte betont, die internationale Gemeinschaft müsse Syriens Souveränität respektieren. China und Syrien hätten über Möglichkeiten beraten, ihre Zusammenarbeit in »dieser schwierigen Phase in Syrien« zu verstärken. Die Volksrepublik tritt – wie Rußland und andere blockfreie Staaten – für einen Dialog zwischen Regierung und Opposition ein. Nach einem Gespräch mit Präsident Baschar Al-Assad am Samstag sagte Zhai Jun vor Journalisten in Damaskus, sowohl die Regierung als auch Gruppen der Opposition und bewaffnete Kräfte im Land müßten »Gewalttaten umgehend einstellen«. Er begrüßte das für den 26. Februar geplante Referendum über eine neue Verfassung, das »im Interesse des syrischen Volkes« sei. Nur in einem stabilen Land könne Syrien umfassende Reformen angehen. China sei »extrem besorgt« über die Eskalation der Krise und hoffe, daß die bevorstehenden Parlamentswahlen friedlich verlaufen würden. Unbestätigten Berichten zufolge traf sich Zhai Jun auch mit Vertretern der innersyrischen Opposition.

Demonstrationen

Im Westen von Damaskus, in dem Ortsteil Alt Mezzeh, kam es am Wochenende zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften. Nach dem Trauergottesdienst für drei Jugendliche, die am Donnerstag vermutlich bei Protesten erschossen worden waren, folgte am Freitag eine Menge von »mehr als 10000 Menschen«, wie ein Augenzeuge berichtete, den Särgen von der Großen Moschee zum Friedhof. Als die frühere syrische Nationalfahne (aus der Zeit der französischen Besatzung und des Unabhängigkeitskampfes 1946) gehoben und regierungsfeindliche Parolen gerufen wurden, fielen Schüsse. Fünf Menschen wurden getötet. Zu dem Trauergottesdienst für diese fünf Personen am Samstag seien »auffällig viele Frauen« zur großen Moschee gekommen, berichtete der Augenzeuge. Bei Verhandlungen zwischen Sicherheitskräften und den Organisatoren des Trauerzuges habe man sich geeinigt, keine politischen Parolen zu rufen, sondern lediglich die Särge zum Friedhof zu begleiten. Dennoch wiederholte sich das Geschehen vom Vortag – unter der erwähnten Fahne wurden, regierungsfeindliche Parolen gerufen – und wieder fielen Schüsse. Eine Person wurde getötet, eine Frau sei verletzt worden.

Die Mobilisierung zu den Protesten erfolge über Jugendliche, die sich per E-Mail, Facebook und andere Chatforen im Internet verständigten, erfuhr die Autorin bei Recherchen. Der Aufruf werde dann von Haus zu Haus verbreitet. Nach Angaben der Lokalen Koordinierungskomitees (LCC) soll es in Damaskus am Freitag 49 Demonstrationen gegeben haben. Auf der Facebookseite »Syrische Revolution 2011«, die von der syrischen Muslimbruderschaft im schwedischen Exil betrieben wird, hieß es am Samstag: »Das Blut der Märtyrer ruft euch zum Ungehorsam auf«.

Bewaffnete Gruppen

Am Wochenende berichtete die syrische staatliche Nachrichtenagentur SANA erneut von gezielten Morden an Offiziellen. In Aleppo wurde ein Mitglied des Stadtrats ermordet, in ­Idlib töteten Bewaffnete am Sonntag einen ranghohen Staatsanwalt und einen Richter. Die Täter hätten das Feuer auf ihr Auto eröffnet, auch der Fahrer sei erschossen worden. In Idlib kämpfen Beobachtern zufolge unterschiedliche bewaffnete Gruppen gegen die syrischen Streitkräfte und teilweise auch gegeneinander um Einfluß. Neben der »Freien Syrischen Armee«, die aus ihrem Hinterland in der Türkei operiert, agieren dort kriminelle Gruppen, Söldner und eingeschleuste salafistische Kämpfer. In Homs gingen die Kämpfe zwischen bewaffneten Aufständischen und syrischen Streitkräften weiter. Die Armee versucht seit mehr als zwei Wochen, das von bewaffneten Aufständischen kontrollierte Viertel Baba Amr einzunehmen.

Das syrische Innenministerium gab derweil die Zahl der Stimmberechtigten, die am kommenden Sonntag bei einem Referendum über die neue Verfassung abstimmen können, mit 14 Millionen bekannt. Rund 13800 Wahllokale werden landesweit eingerichtet. In Gesprächen vor Ort äußerten sich viele Syrer skeptisch. Auch wenn die neue Verfassung bedeutend besser als die vorherige sei, sei das Procedere nicht in Ordnung, sagte ein Gesprächspartner. Die anhaltende Gewalt im Land werde zur Nichtteilnahme der Regierungskritiker führen.

Mit Ägypten hat derweil ein weiteres arabisches Land seinen Botschafter vorerst aus Damaskus abgezogen. Auch die Schweiz teilte die Schließung ihrer Vertretung in Damaskus mit.

* Aus: junge Welt, 20. Februar 2012

Dokumentiert: Der syrische Bürgerkrieg

Der Publizist Jürgen Todenhöfer, früherer CDU-Politiker und Burda-Manager, veröffentlichte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Artikel unter dem Titel: »Die syrische Tragödie«. Darin heißt es u.a.:

(...) Auch die syrische Revolution hätte meine uneingeschränkte Sympathie, wenn sie gewaltfrei geblieben wäre und nicht vom Westen finanziert würde. Doch nach dem Sturz Ben Alis und Mubaraks hat sich viel geändert. Gewaltlosigkeit war plötzlich nicht mehr gefragt. Und seit Libyen waren die Aufstände keine rein arabischen mehr. Der Westen, der die Entwicklung in Tunis und Kairo verschlafen hatte, mischte plötzlich kräftig mit. Er hatte erkannt, daß er vieles, was er durch Kriege nicht erreicht hatte, durch eine listige Beteiligung an den Aufständen realisieren konnte. Vor allem das alte Ziel der amerikanischen Neokonservativen: einen durchgängig proamerikanischen Nahen Osten. (...) Priorität hat die Korrektur der fatalen Ergebnisse des Irak-Kriegs, den »leider« Iran, Amerikas Hauptfeind in der Region, gewonnen hat. Irans Einfluß erstreckt sich seither über Irak, Syrien und den Libanon bis tief in die schiitischen Gebiete Saudi-Arabiens hinein. Ausgerechnet George W. Bush hat Iran in diese Vormachtstellung gebombt. Assads Sturz bietet die historische Chance, dieses strategische Eigentor zu korrigieren.

Schon wenige Tage nach Beginn der syrischen Unruhen gelangten über Katar moderne Waffen in die Hände der Rebellen. Gleichzeitig begann eine gigantische Medienkampagne gegen das Syrien Assads. (...) Jede zweite Meldung, die ich während meines vierwöchigen Aufenthalts in Syrien überprüfte, war falsch. Das ändert nichts am Widerstandsrecht der Syrer gegen Diktatur, an ihrem Recht auf Demokratie. (...) Wenn der im Westen ausgebildete Assad derselben Meinung ist, muß er sich an die Spitze der Demokratiebewegung stellen. Was aber ist, wenn Assad genau das versucht? Was, wenn der Volksaufstand in Syrien, anders als der in Tunesien, Ägypten und Libyen, gar kein klassischer Volksaufstand ist, sondern ein Aufstand starker lokaler Gruppen, dem mindestens ebenso starke Pro-Assad-Gruppen gegenüberstehen, die auch Demokratie wollen, aber mit Assad? (...) In dieser Auseinandersetzung zwischen Pro- und Anti-Assad-Gruppen mischen die Vereinigten Staaten von Anfang an offensiv mit. (...) Die klügsten Vorschläge hat Rußland gemacht. Es hat die Konfliktparteien nach Moskau zum Dialog eingeladen. Nie hätte ich mir träumen lassen, daß ich einmal russische Außenpolitik westlicher Politik vorziehen könnte. Syrien braucht diesen Dialog der verfeindeten Gruppen so dringend. Nur so läßt sich das Blutvergießen beenden. (...)

Zitate nach: jW, 20. Februar 2012




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