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Setzten die Rebellen Giftgas ein?

UNO-Ermittler: "Nicht beweiskräftige" Indizien für Chemiewaffen in Syrien

Von Roland Etzel *

UNO-Ermittler haben in Syrien Belege für den Einsatz von Giftgas gefunden. Wie und vor allem von wem, ist nicht zweifelsfrei bewiesen. Indizien weisen jetzt auf Regierungsgegner. Unterdessen wurden Opferzahlen des israelischen Luftangriffs vom Sonntag auf Damaskus bekannt.

Der Vorwurf, die syrischen Regierungstruppen hätten bei ihrem Kampf gegen Regimegegner Giftgas eingesetzt, ist bereits ein paar Wochen alt. Rebellenvertreter im Ausland behaupten, sie hätten dafür Beweise, können aber keine vorlegen. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad weist die Beschuldigung, Giftgas eingesetzt zu haben, vehement zurück, verweigert aber umfassende Inspektionen.

UNO-Ermittler haben sich dennoch damit beschäftigt und nun erste Untersuchungsergebnisse veröffentlicht. Dies übernahm die einstige Anklägerin im Haager Jugoslawien-Tribunal, Carla del Ponte, und was sie mitteilte, spricht in der Tendenz für eine Täterschaft von Regierungsgegnern.

»Nach Zeugenaussagen, die wir gesammelt haben, haben die Rebellen chemische Waffen eingesetzt, Sarin-Gas«, sagte die Schweizer Juristin laut AFP in der Nacht zum Montag dem Schweizer Rundfunk. Del Ponte äußerte die Vermutung, dass der Giftgaseinsatz auf »ausländische Kämpfer« zurückzuführen sei, die auf der Seite der Opposition stünden. Sie begründete ihre Schuldvermutung auch mit der Art der Behandlung der Opfer. Weil die UNO-Ermittler von Assad nicht die verlangte volle Freizügigkeit für Untersuchungen in Syrien zugesichert bekamen, hatten sie ganz auf eine Einreise nach Syrien verzichtet. Dafür befragten sie auf anderem Wege medizinisches Personal vor Ort sowie Flüchtlinge.

Angesichts der möglichen politischen Konsequenzen schwächte del Ponte am Montag ihre Aussagen etwas ab und stufte sie im Fernsehen als »nicht beweiskräftig« ein. Der Nationalrat, die Dachorganisation des syrischen Exils in Istanbul, äußerte sich zu keiner der Aussagen del Pontes.

Die russische Regierung machte deutlich, dass sie in jedem Falle gegen eine Militärintervention sei. US-Präsident Barack Obama hatte einen Chemiewaffenangriff in der Vergangenheit als »rote Linie« für ein mögliches militärisches Eingreifen der USA in den Bürgerkrieg bezeichnet.

Zu dem sonntäglichen israelischen Luftangriff auf Syrien äußerte sich das offizielle Damaskus auch am Montag nicht. Die genannten Opferzahlen sind weiterhin nur Schätzungen von außen. Die sogenannte Beobachtungsstelle für Menschenrechte London erklärte laut AFP am Montag, bei dem Bombardement seien 42 syrische Soldaten getötet worden.

Während international die Sorge wächst, Israel könne so einen weiteren Nahostkrieg nähergerückt haben, behauptete die Tel Aviver Zeitung »Jediot Ahronot«, es gebe einen geheimen Brief der israelischen Regierung an Assad, in dem diese versichert, »dass Israel nicht die Absicht hat, sich in den Bürgerkrieg in Syrien einzumischen«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. Mai 2013


Falsche Spuren?

Von Roland Etzel **

Noch ist nichts endgültig geklärt. Wahrscheinlich wird sogar nie definitiv zu beweisen sein, welche syrische Kriegspartei mit dem Giftgas Sarin hantierte. Die Motivlage aber ist eindeutig. Die gestern von den UN-Ermittlern veröffentlichten Untersuchungsergebnisse verstärken den naheliegenden Verdacht, dass die vermeintlichen Opfer auf Seiten der Regierungsgegner Täter waren und eine falsche Spur legen wollten. Es sollte wohl einen Sturm der Empörung über die Assad-Regierung geben, möglichst mündend in eine Invasion nach dem Beispiel Libyens.

Und so schlimm es ist, dass verantwortungslose Abenteurer möglicherweise an einem kriegerischen Dominoeffekt für Syrien bastelten - die gute Nachricht daran lautet: Es kommt dazu zumindest jetzt nicht. Als Bush junior US-Präsident war, gab dessen Administration bei Bedarf selbst die Produktion von Kriegslügen in Auftrag. Gemeinsam mit Freund Blair erfand man 2003 irakische Massenvernichtungswaffen, um einen Kriegsvorwand zu haben.

Bush-Nachfolger Obama hat zwar auch »rote Linien« aufgezeichnet, bei deren Überschreitung, etwa durch den Einsatz von Giftgas, er ein Eingreifen (gegen Assad) in Betracht zieht. Doch er drängt sich nicht danach, obwohl eine merkwürdige Koalition aus hauseigenen Republikanern, französischer Links- und israelischer Rechtsregierung immer lauter danach ruft. Und niemand äußert sich zu der Frage, was gelten soll, wenn »die andere Seite« über die »rote Linie« tritt.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. Mai 2013 (Kommentar)


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