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Chemiewaffen aus Libyen

Syrien: Beobachter warnen vor Einsatz nicht-konventioneller Waffen durch Aufständische

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der iranische Nachrichtensender Al-Alam hat am Freitag berichtet, daß mit einer Bewaffnung von syrischen Aufständischen mit chemischen Waffen aus dem libyschen Arsenal gerechnet werden müsse. Bei Razzien der regulären Streitkräfte in eingenommenen Stützpunkten der Rebellen waren in den vergangenen Wochen neben Waffen und Kommunikationsgeräten auch Gasmasken sichergestellt worden. Der jordanische König Abdullah II. hatte vor wenigen Tagen gewarnt, daß das nicht-konventionelle Waffenarsenal der syrischen Armee von ausländischen Truppen geschützt werden müsse, sollte der syrische Staat außer Kontrolle geraten. In Damaskus haben mehrere Beobachter gegenüber jW die Befürchtung geäußert, daß Warnungen vor einem möglichen Einsatz solcher Waffen ein Hinweis darauf sein könnte, daß vom Ausland möglicherweise ein solcher Waffeneinsatz geplant würde, um das dann der syrischen Führung in die Schuhe zu schieben. »Armee und Regierung würden diese Waffen nie einsetzen«, zeigte sich ein Mann überzeugt. Das Militär gehe gezielt vor und werde kein international geächtetes Kriegsgerät einsetzen, sagte er gegenüber jW.

Ein von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International veröffentlichtes Satellitenbild soll das brutale Vorgehen der syrischen Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung dokumentieren. Das vermutlich aus militärischen Quellen stammende Bild zeigt den Ort Anadan in der Provinz Aleppo, der tagelang Schauplatz heftiger Kämpfe war. Die gelb markierten Stellen auf dem Bild sollen ai zufolge Einschläge von Granaten der Armee zeigen. Sollte es stimmen, daß die markierten Stellen Granattreffer zeigen, kann einerseits festgestellt werden, daß das Gebiet massiv unter Artilleriebeschuß gewesen sein muß. Andererseits ist deutlich zu sehen, daß die gelben Punkte so gut wie ausschließlich in unbewohnten, freien Gebieten – vermutlich landwirtschaftliche Flächen – zu sehen sind. Der eigentliche Ort Anadan weist so gut wie keine gelben Punkte auf.

Internationale Hilfsorganisationen bereiten sich derweil weiter auf ihren Einsatz in Syrien vor. Am Mittwoch traf der stellvertretende syrische Außenminister Feisal Mekdad in Damaskus mit Delegierten verschiedener UN-Organisationen im Land zusammen und betonte, die Regierung habe sich verpflichtet, alles zu tun, um den von den Kämpfen vertriebenen Menschen zu helfen. Zerstörte Gebäude sollten so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden, Betroffene enthielten eine Entschädigung, die Instandsetzung zerstörter Infrastruktur, Strom- und Wasserversorgung sowie die Wiederherstellung von Straßen hätten höchste Priorität, sagte Mekdad. Die Regierung habe für die Arbeit ein Koordinierungsteam eingerichtet.

Im Ibn-Al-Haitham-Park in Damaskus, im Osten der Stadt, haben sich in den letzten drei Wochen immer mehr Familien aus den umkämpften Außenbezirken häuslich niedergelassen. Zunächst hätten die aus Tadamoun oder Hadj Al-Aswat Stammenden in einer Schule in der Nähe Unterkunft gefunden. Dann seien sie in den Park umgezogen, der mit Toiletten für Männer und Frauen, Schatten spendenden Bäumen, Springbrunnen und Seen in der Sommerhitze angenehmeren Aufenthalt bot. »Wir alle versorgen sie mit Essen und Wasser, doch sie brauchen wieder ein festes Dach über dem Kopf und sollten zurückkehren«, sagt eine Anwohnerin. Das allerdings sei schwierig, räumt die Frau ein. »Ihre Häuser wurden bei den Kämpfen vermutlich zerstört.«

Unterdessen wurde bekannt, daß der frühere algerische Außenminister Lakdar Brahimi voraussichtlich die Nachfolge des UN-Sondergesandten für Syrien, Kofi Annan, antreten wird. Am 16. August läuft das aktuelle Mandat der UN-Beobachtermission aus. Am gleichen Tag wird von einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates eine Entscheidung über die Zukunft der Mission erwartet. Dem in der arabischen Welt angesehenen Diplomaten Brahimi war es 1990 nach langwierigen Verhandlungen gelungen, den libanesischen Bürgerkrieg zu beenden. Zweimal war der 78jährige UN-Sonderbeauftragter in Afghanistan, auch in Haiti und Südafrika war er für die UN im Einsatz.

* Aus: junge Welt, Samstag, 11. August 2012


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