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Was geschieht mit den syrischen Chemiewaffen?

Alle wollen sie weg haben - aber niemand will sie vernichten. Merkel: "Man wird sich hier in den internationalen Verbund einordnen"


Es ging ein Aufatmen durch die Welt, als Syrien im September d.J. seine Bereitschaft erklärte, der Chemiewaffen-Konvention beizutreten und sich von allen Chemiewaffen zu trennen. Eine Kommission der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) will bis Mitte Dezember einen Plan zur vollständigen Vernichtung der Waffen vorlegen. Bisher allerdings haben sich alle Staaten, die gefragt wurden, geweigert, die Vernichtung der Chemiewaffen im eigenen Land vorzunehmen.
Im Folgenden ein Artikel aus dem "neuen deutschland", Berichte der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti sowie die abschlägige Erklärung der Bundesregierung im Wortlaut.



Chemiewaffen-Entsorger gesucht

Widersprüchliches zur Vernichtung syrischer Kampfstoffe auch aus Merkels Kanzleramt

Von René Heilig *


Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen wird zum Problem. Alle bislang angefragten Länder haben abgelehnt, die Waffen auf ihrem Territorium zu vernichten. Und Deutschland eiert herum.

Nach dem Einsatz chemischer Waffen Ende August in Vororten der syrischen Hauptstadt – dessen Urheber nicht zweifelsfrei festgestellt ist – setzte der Westen dem Machthaber Bachar-al-Assad ein Ultimatum: Vernichtung der Kampfstoffe oder Krieg.

Assad lenkte rasch ein, beantragte die Aufnahme seines Landes in den Kreis derer, die ein C-Waffenverbot akzeptieren und erfüllte auch sonst vorbildlich alle Vorgaben. Inspekteure der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) zerstörten bis Ende Oktober alle Produktionsstätten und stellten über 1000 Tonnen Kampfstoffe sicher. Die müssen nun bis zum Frühjahr 2014 beseitigt werden, verlangt die OPCW.

Völlig unklar ist, wie und vor allem wo das geschehen könnte. Albanien und Belgien haben eine Zerstörung der Waffen auf ihrem Territorium abgelehnt. Wie stellt sich Deutschland dem Problem? Christoph Heusgen, Abteilungsleiter im Kanzleramt und so etwas wie das außenpolitische Gehirn der Staatschefin, hatte am Dienstag in der Konrad-Adenauer-Stiftung gesagt, Berlin stehe zu seiner Verantwortung und es gebe deutsche Unternehmen, »wo man etwas machen kann«. Es sei »gar nicht ausgeschlossen«, dass Deutschland einen Beitrag leistet.

Das ließ Experten aufhorchen und Journalisten in der Bundespressekonferenz nachfragen. Dort sagte Regierungssprecher Steffen Seibert jedoch: »Es gibt keinen Kurswechsel. Die Bundesregierung hat von Anfang an ihre Bereitschaft erklärt, logistisch wie finanziell an der Vernichtung der syrischen C-Waffen mitzuwirken, weil uns das ein wichtiges Anliegen ist, wie es der gesamte Weltgemeinschaft ein wichtiges Anliegen ist.« Dann sagte Seibert aber: »Die Vorstellung, dass die syrischen C-Waffen in Deutschland vernichtet werden, ist allerdings für die Bundesregierung nicht denkbar.«

Angesichts der Masse, die zu vernichten ist, wäre der Aufbau einer Anlage vor Ort sicher eine gute Option. Auch weil die gefährlichen Stoffe dann nicht quer durch das syrische Kriegsgebiet und um die halbe Erde transportiert werden müssten. Solche Anlagen werden in Deutschland nach höchstem Standard produziert. Doch in der vorgegebenen Zeit sind Bau und Betrieb solcher – ortsfesten wie mobilen – Anlagen nicht zu schaffen. Eine weitere Möglichkeit wäre die Vernichtung in Russland. Das ist vermutlich vor allem eine Frage entsprechender Anträge, Verträge und der Bezahlung.

Aus den USA kommen derweil Überlegungen, zumindest Teile des syrischen Arsenals auf einem Schiff oder einer schwimmenden Plattform zu vernichten. Das ist technisch machbar. Sowohl die USA als auch Japan haben auf diese Weise solche gefährlichen Massenvernichtungswaffen beseitigt: die USA in den 1990er Jahren auf einem Pazifik-Atoll und Japan 2004 bis 2006 vor dem Hafen Kanda. Dabei hat es sich um weitaus geringere Kampfstoffmengen gehandelt.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 23. November 2013


Syriens Chemiewaffen: Vernichtung auf hoher See? **

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) will bis zum 17. Dezember einen Plan zur Vernichtung des syrischen Giftgases erstellen, schreibt die „Nesawissimaja Gaseta“ am Donnerstag.

Wo die Chemiewaffen entsorgt werden, steht allerdings noch nicht fest.

Wie OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcü sagte, sollen in dem Plan die Zuständigkeiten aller beteiligten Seiten, die Entsorgungsfristen und die Kosten stehen.

Auch Belgien hat sich geweigert, die syrischen Giftstoffe zu vernichten. Verteidigungsminister Pieter De Crem begründete diese Entscheidung mit logistischen Schwierigkeiten beim Transport der Giftstoffe aus dem fernen Syrien. Zuvor hatten die USA große Hoffnungen auf Belgien gesetzt, weil es bereits Erfahrungen bei der Entsorgung von Kampfstoffen aus der Zeiten des Ersten Weltkriegs hat.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle unterstützte Brüssels Stellung und gab zu verstehen, dass Deutschland Experten und Anlagen zur Verfügung stellen, die Giftstoffe wegen des langen Transportwegs von Syrien aber nicht entsorgen könne.

OPCW-Experten erwägen derweil die Entsorgung der Chemiewaffen auf hoher See. Nach Angaben der „New York Times“ haben die USA zwei Varianten vorgeschlagen. Die Giftstoffe könnten an Bord eines Schiffes in eigens eingerichteten Öfen vernichtet werden. Dieses System könnte im Laufe von 75 Tagen errichtet werden. Damit könnten die Giftstoffe in weniger als 60 Tagen vernichtet werden. Diese Variante sieht keine Beteiligung von US-Unternehmen vor, aber Washington könnte dafür Schiffe und Flugzeuge zur Verfügung stellen, um die Chemiewaffen-Zerstörung auf dem Meer zu schützen.

Die zweite Variante sieht den Einsatz eines vom Pentagon entwickelten mobilen Hydrolyse-Systems vor. Es kann innerhalb von zehn Tagen aufgebaut werden. Die Giftstoffe könnten neutralisiert werden, indem sie mit Wasser und anderen Substanzen vermischt und erhitzt werden. Die „New York Times“ präzisierte allerdings nicht, wie die Abfallprodukte bei der Vernichtung der Chemiewaffen entsorgt werden könnten.

Der Redakteur der Zeitung „Nesawissimoje wojennoje obosrenije“ („Unabhängige Militärrevue“), Viktor Litowkin, verwies darauf, dass die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 150 000 Tonnen deutsche Kampfstoffe in der Nordsee entsorgt hatten, was jedoch dazu geführt habe, dass sich viele Menschen mit schwer belasteten Fischen aus diesem Gebiet vergiftet hätten.

Das seit vielen Jahren bekannte Verfahren zur Verbrennung der Giftstoffe ist dem Experten zufolge zu „barbarisch“. Die USA haben auf diese Weise die in den frühen 1990er-Jahren aus Deutschland ausgeführten Chemiewaffen auf ihrem Johnston-Atoll im Pazifischen Ozean (nahe Hawaii) vernichtet. Die dortige Verbrennungsanlage stehe aber seit Jahren still.

Im Grunde könne Washington die Anlage reaktivieren, fuhr Litowkin fort. Mobile Anlagen zur Chemiewaffenvernichtung seien jedoch effizienter, aber teurer. „Abrüstung ist nun einmal auch ein Geschäft“, stellte der Experte fest.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Donnerstag, 21. November 2013; http://de.ria.ru


OPCW: Syrische Chemiewaffen können auf See vernichtet werden ***

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hat bestätigt, dass die syrischen Kampfstoffe und die Chemikalien für die Produktion von C-Waffen in internationalen Gewässern entsorgt werden können, meldet AFP am Mittwoch (20. Nov.).

Nach der Weigerung mehrerer Länder, die syrischen C-Waffen-Bestände auf ihren Territorien zu vernichten, haben die USA bekannt gegeben, einen Plan erstellt zu haben, dies auf einem Spezialschiff in internationalen Gewässern zu tun.

„Diese Möglichkeit wird schon seit einiger Zeit erwogen. Es handelt sich dabei um eine der möglichen Lösungen, die von den Mitgliedsländern der Organisation diskutiert werden“, teilte der OPCW-Mitarbeiter Christian Chartier AFP mit.

Die OPCW hatte einen detaillierten Zeitplan für die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen verabschiedet. Er sieht vor, dass alle Stoffe (ausgenommen Isopropanol), die für die Produktion von Chemiewaffen verwendet werden können, bis zum 5. Februar 2014 aus Syrien abtransportiert werden.

Nach Angaben der Organisation sind nach dem jetzigen Stand mehr als 60 Prozent der nicht schussfertigen Munition in Syrien vernichtet worden. Der Rest soll spätestens bis zum 31. Januar 2014 beseitigt werden.

Laut Medienberichten bemühen sich die USA weiter darum, ein Land zu finden, das bereit wäre, mehr als 1000 Tonnen Chemiewaffen und deren Komponenten, die von Damaskus offengelegt wurden, auf seinem Territorium zu vernichten.

*** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Mittwoch, 20. November 2013; http://de.ria.ru


Albanien macht Rückzieher bei Giftgas-Vernichtung ****

Die geplante Vernichtung der syrischen Chemiewaffen steht auf der Kippe, schreibt die Zeitung „Kommersant“ am Montag.

Albanien hat im letzten Moment sein Angebot, die syrischen Chemiewaffen auf seinem Territorium zu vernichten, zurückgezogen. Laut Experten wird es schwer werden einen Ersatz für Albanien zu finden.

Die Entsorgung der syrischen Chemiewaffen in Albanien galt bereits als beschlossene Sache. Am Freitag verkündete der erst seit wenigen Monaten regierende Premier Edi Rama jedoch überraschend, dass Albanien nicht in der Lage sei, die Giftstoffe zu vernichten.

Tirana bringt die USA mit seinem Beschluss in die Bredouille. Mit Albanien als Entsorger der syrischen Chemiewaffen wurden große Hoffnungen verbunden. Von 2004 bis 2007 entsorgte Albanien mehr als 16 Tonnen Senfgas.

In Albanien wuchs nun allerdings der Widerstand gegen die Vernichtung des syrischen Giftgases. Am Freitag beantragte die Opposition eine Volksabstimmung. Landesweit kam es zu Protestaktionen gegen die Entsorgung der Chemiewaffen.Am Freitag sollte festgelegt werden, in welchem Land die 1300 Tonnen Giftgas aus Syrien vernichtet werden. Die Chemiewaffen sollten bis zum 5. Februar aus Syrien ausgeführt und bis zum 30. Juni 2014 entsorgt werden.

„Bis zum Jahresende ist noch Zeit, ein Land zu finden. Doch es ist sehr zweifelhaft, dass Belgien und Frankreich, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dies akzeptieren. Technisch möglich sei dies beispielsweise noch in Libyen. Doch dort ist die Läge äußerst instabil“, so die russische Chemiewaffen-Expertin Natalja Kalinina.

**** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Montag, 18. November 2013; http://de.ria.ru


Norwegischer Antrittsbesuch: Keine Chemiewaffen-Vernichtung in Deutschland

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Zerstörung syrischer Chemiewaffen auf deutschem Boden abgelehnt. Das sagte sie beim Antrittsbesuch der norwegischen Premierministerin Erna Solberg in Berlin. Dabei lobte Merkel auch die engen Beziehungen beider Länder.

"Wir haben durchaus technische Fähigkeiten und auch Fähigkeiten bei der Vernichtung von Chemiewaffen", sagte Merkel im Bundeskanzleramt. "Wir werden allerdings in Deutschland keine Chemiewaffen vernichten, sondern man wird sich hier in den internationalen Verbund einordnen." Deutschland hat allerdings schon mehrfach finanzielle, logistische und technische Hilfe bei der Zerstörung der syrischen Chemiewaffen angeboten. Solberg schloss eine Vernichtung der Waffen in Norwegen ebenfalls aus, bot aber logistische Unterstützung für deren Transport an.

Enge Zusammenarbeit in Energiefragen

Beide Regierungschefinnen lobten die engen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Norwegen und Deutschland. Die Bundeskanzlerin hob hervor, dass besonders in der Energiepolitik die Zusammenarbeit intensiviert werden solle. "Das norwegische Gas spielt eine große Rolle in Deutschland und natürlich die Seekabel, die mögliche Speicherkapazitäten für deutsche Erneuerbare Energien darstellen könnten", sagte Merkel.

Es sei gut, dass in Deutschland über eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verhandelt werde, bei der auch die Zukunft der Energiekapazitäten eine Rolle spielen werde, so die Kanzlerin. "Denn Berechenbarkeit und Planbarkeit sind natürlich für eventuelle norwegische Investitionen in diesem Bereich wichtig."

Solberg sagte, dass Norwegen dazu beitragen wolle, den Energiemarkt in Europa weiterzuentwickeln - "sowohl mit norwegischem Gas als auch mit norwegischer Wasserkraft".

Großes Interesse an starkem Europa

Auch das Verhältnis Norwegens zur Europäischen Union insgesamt war Thema des Gesprächs. Die Bundeskanzlerin zeigte sich "sehr erfreut" darüber, dass die neue norwegische Regierung sehr intensiv an den Beziehungen zur EU arbeiten werde. Es liege im norwegischen und deutschen Interesse, "dass sich die gesamte Wirtschaft in der Eurozone und in Europa möglichst schnell wieder kräftigt, denn Norwegen und Deutschland exportieren sehr stark". Solberg bezeichnete Deutschland als den wichtigsten strategischen Partner Norwegens in Europa.

In Bezug auf die Entwicklungszusammenarbeit hob Merkel die gemeinsamen Projekte Norwegens und Deutschlands hervor. "Auch bei der Entwicklung der Millenniumsziele nach 2015 werden Norwegen und Deutschland in sehr engem Kontakt bleiben", so die Kanzlerin.

Quelle: Newsletter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, 20. November 2013




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