"Bedeutungslose" Informationen
Israelischer General relativiert Hysterie über syrische Chemiewaffen *
Die syrische Regierung kontrolliert laut einem ranghohen Vertreter des israelischen Verteidigungsministeriums nach wie vor das komplette Arsenal chemischer Waffen im Land.
Jerusalem/Damaskus (Agenturen/nd). Zwar kämpfe die Führung um Präsident Baschar al-Assad ums Überleben, doch habe sie die »totale Kontrolle« über Chemie- und Massenvernichtungswaffen, sagte Amos Gilad am Dienstag im israelischen Rundfunk. Befürchtungen, Chemiewaffen könnten in die Hände der radikalislamischen Hisbollah in Libanon geraten sein, zerstreute der General der Reserve. »Nach unseren Informationen besitzt die Hisbollah keine chemischen Waffen aus Syrien, und es wurden auch keine Chemiewaffen an terroristische Organisationen wie Al Qaida geliefert«, sagte Gilad. Die Israelis forderte er auf, sich keine Sorgen über »bedeutungslose« Informationen zu machen. »Die Bürger Israels können ruhig bleiben, sie müssen weder ihren Lebensstil ändern noch in Panik verfallen und irgendwelchen dramatischen Nachrichten Gehör schenken«, sagte Gilad.
Israels Generalstabschef Benny Ganz schloss sich am selben Tag der Einschätzung an, dass Damaskus momentan noch volle Kontrolle über das Chemiewaffenarsenal besitzt. Allerdings schränkte er ein, es sei jedoch möglich, dass Syrien diese Waffen gegen die eigenen Bürger einsetzen oder an die libanesische Hisbollah weitergeben könnte. Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman sagte am Dienstag in Brüssel, Israel sei zum Krieg bereit, sollten chemische Kampfmittel in die Hände der islamistischen Hisbollah gelangen.
Am Montag hatte das syrische Außenministerium erklärt, die Chemiewaffen würden nicht im Inneren eingesetzt und seien zur Abwehr von Angriffen aus dem Ausland entwickelt worden. Das war von westlichen Politikern als Drohung gewertet worden. Daraufhin schob Syrien am Dienstag eine Klarstellung nach und erklärte, man würde Chemiewaffen auch nicht gegen Israel richten.
Berichte der oppositionellen »Freien Syrischen Armee« vom Dienstag, dass die Regierung Chemiewaffen an grenznahe Flughäfen habe verlegen lassen, konnten nicht verifiziert werden.
Angeblich sind Teile der Opposition zu einer Übergangsregierung unter einem Vertrauten von Präsident Assad bereit. »Wir sind mit einem Rückzug Assads und der Übertragung seiner Aufgaben an eine der Persönlichkeiten des Regimes einverstanden«, sagte ein Sprecher des Syrischen Nationalrates am Dienstag AFP. Laut einer späteren Meldung sagte hingegen eine Sprecherin: »Es bestand nie die Frage einer Regierung der nationalen Einheit unter Führung eines Mitglieds des Regimes.«
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 25. Juli 2012
Rebellen, Deserteure oder eine Armee?
In Syrien wird nach »libyschem Modell« gekämpft, der Westen schickt Waffen und Ausbilder
Von René Heilig **
Die sogenannte Freie Syrische Armee
wird stärker. Ist sie aber in der Lage,
das Regime von Baschar al-Assad militärisch
zu stürzen?
Ihrer Majestät Elitesoldaten helfen
den libyschen Rebellen bei der
Jagd auf Diktator Gaddafi. Das berichteten
der »Daily Telegraph«
und die »Times« vor rund einem
Jahr. Sie wollten aus dem britischen
Verteidigungsministerium
erfahren haben, dass Soldaten des
»22. Special Air Service Regiment«
(SAS) seit Wochen auf Seiten der
Aufständischen anzutreffen sind
und sie trainieren. Sie trügen
halbmilitärische Kleidung und die
gleichen Waffen wie die Rebellen.
Am Wochenende war – diesmal
im »Daily Express« – Ähnliches zu
lesen: Ehemalige SAS-Soldaten
bilden in Irak syrische Kämpfer in
militärischer Taktik und im Umgang
mit Waffen- und Kommunikationssystemen
aus. Die Rede ist
von »Gruppen aus 50 Rebellen«,
die von zwei nicht näher bezeichneten
privaten Sicherheitsfirmen
trainiert werden. Unterrichtung in
»Taktiken, Techniken und Verfahren
« stünden auf dem Programm,
was immer damit gemeint ist. Einige
dieser Jungs seien Ladenbesitzer
und Lehrer, die alles verloren
haben, sagte einer der Drillmeister
und hoffte, dass es helfen
wird, wenn er ihnen beibringt, wie
man Deckung sucht, schießt und
nicht von Heckenschützen entdeckt
wird.
Mehr als 300 Rebellen sollen so
bereits in Irak nahe der syrischen
Grenze ausgebildet worden sein.
Von Briten. Das macht Sinn, denn
vieles in der regulären syrischen
Armee läuft traditionell nach britischem
Reglement.
Natürlich sind die westlichen
Staaten nicht direkt engagiert.
Auch nicht die USA. Die, so schrieb
die »Washington Post« unlängst,
beraten lediglich Saudi-Arabien
und Katar dabei, welche Rebellenmilizen
mit Waffen beliefert werden
und welche nicht. Das zeigt:
Man hat aus Libyen gelernt, wo
man auch Leute ausgerüstet hat,
die als Terroristen auf den Fahndungslisten
der US-Geheimdienste
standen.
Auffällig ist, dass die westlichen
Militärs nur ungern die
Kraftmeierei der Freien Syrischen
Armee übernehmen. Denn die gibt
es nur als Propagandamittel. Auch
die Zahlen von 40 000 oder mehr
Kämpfern sind übertrieben. Bislang
fehlen Belege, dass ganze
Truppenteile geschlossen überlaufen.
Dass 22 syrische Generale
in die Türkei geflohen sind, beweist
nur zweierlei. Erstens, dass
es in Assads Armee zu viele Protegés
gibt und zweitens, dass viele
von denen auch nicht mehr daran
glauben, dass sich der derzeitige
Herrscher noch lange halten
wird.
Tatsächlich operieren in Syrien
– recht erfolgreich – verschiedene
oppositionelle Milizen ohne einheitliches
Kommando und gemeinsames
politisches Ziel. Inzwischen
soll es vier Militärräte geben,
die sich als Koordinatoren der Attacken
verstehen. Einig sind sie
nur in der Absicht, das Assad-Regime
zu stürzen. Ausgerüstet sind
sie zweckmäßig mit leichten Waffen,
Kalaschnikows und Panzerbüchsen.
Sie stammen vor allem
aus Irak, Libanon und Libyen. Mobilität
erreichen die Kleinverbände
durch Motorräder und Pick Ups,
auf denen Maschinenkanonen
montiert sind. Einige Kämpfer sind
geübt im Einsatz von sogenannten
Improvised Explosive Devices.
Derartige Sprengfallen kennt man
aus Irak und Afghanistan.
Wie in Libyen versucht man
derzeit einen Küstenstreifen zu
kontrollieren und Bastionen in
Städten zu erringen, so in Qusair,
Homs, Hama, Idlib, Aleppo und
natürlich in der Metropole Damaskus.
An der türkischen Grenze
wollen sie eine Zone einrichten,
über die der Nachschub mit Mann
und Material laufen kann. Von
diesen Positionen könnte man den
Rest des Landes aufrollen. Dass die
Kämpfer als Bewahrer der Menschenrechte
gerade gegenüber den
von ihnen gefangenen Feinden
auftreten, hat man bislang nicht
gehört. Eher das Gegenteil.
Es liegt im Interessen insbesondere
der heimlichen westlichen
Unterstützer, die verschiedenen
Kampfgruppen unter eine Führung
zu bekommen, der sich dann auch
möglichst große Teile der regulären
Armee anschließen. Denn nach
dem absehbaren Sturz Assads
kann wohl nur die Armee verhindern,
dass das Land in religiösen
und ethnischen Scharmützeln aufgerieben
wird. Sie allein wäre in
der Lage, den Machtzuwachs militanter
Islamisten zu bremsen, bevor
sie eine neue antiisraelische
Front aufmachen können. Ob das
gelingt, ist fraglich, Chaos dagegen
wahrscheinlich. Daher hält die
britische Armee auch 600 Soldaten
bereit, um britische Staatsbürger
über das benachbarte Libanon zu
evakuieren.
Russland hält gleichfalls Flotteneinheiten
für Manöver im Mittelmeer
bereit. Auf drei Landungsschiffen
seien Marineinfanteristen
eingeschifft, heißt es, um im Falle
des Falls von der Marinebasis
Tartus russische Bürger aus Syrien
evakuieren zu können.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 25. Juli 2012
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