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Sponeck: Inspekteure müssen ihre Arbeit in Syrien machen dürfen

UNO-Koordinator spricht sich für Überprüfung der Giftgasvorwürfe vor Ort aus - Interview im Deutschlandfunk


Hans Christof von Sponeck im Gespräch mit Friedbert Meurer *

Die syrische Regierung werde beweisen wollen, dass das Giftgas von außen hereingetragen worden sei, sagt Hans-Christof Graf von Sponeck. Daher müssten nun Spezialisten im Land die betroffenen Orte untersuchen. Bis dahin sei alles Spekulation, ergänzt der ehemaliger UNO-Koordinator im Irak.

Friedbert Meurer: Das Besondere also ist, die UNO hat eine Gruppe von Inspekteuren nach Syrien geschickt, deren Aufgabe es auch ist, nachzuprüfen, ob im syrischen Bürgerkrieg Giftgas gegen die Zivilbevölkerung oder gegen die jeweils andere Seite eingesetzt wurde. Die Gruppe ist im Moment in Damaskus, nur wenige Kilometer vom mutmaßlichen Geschehen entfernt, aber sie darf nicht nach Irbin reisen und sich das vor Ort anschauen. Hans-Christof von Sponeck hat als Diplomat 39 Jahre lang für die Vereinten Nationen gearbeitet, hat das Hilfsprogramm Öl für Nahrungsmittel koordiniert, bis er aus Protest gegen die Sanktionspolitik des UNO-Sicherheitsrats seinen Rücktritt damals einreichte. Also jemand, der die Strukturen der UNO sehr gut kennt. Guten Tag, Graf von Sponeck!

Hans-Christof Graf von Sponeck: Guten Tag, Herr Meurer.

Meurer: Nach dem, was wir bisher wissen - war das ein Giftgasangriff?

von Sponeck: Ich glaube, ich lasse mich nicht verlocken, da also eine klare Antwort zu geben. Das Einzige, was überzeugend ist, sind zurzeit die entsetzlichen Bilder, die tatsächlich um die Welt gehen. Und daraus resultiert für mich nur eins, und das ist, dass die syrische Regierung sich bereit erklärt, dem Team, was im Lande ist, dem UNO-Team wirklich einen uneingeschränkten Zugang an diesen Ort zu gewähren. Es geht nicht nur Khan-al-Assal, das war der ursprüngliche Grund für die Reise dorthin, aber es geht jetzt um diese neue Katastrophe. Und wenn die syrische Regierung Interesse hat, Personen und Gruppen und Regierungen dafür zu gewinnen, dass die Beweise schmählich sind, klein sind, die darauf hinweisen, dass es die Regierung gewesen ist, dann müssen sie jetzt die Entschlossenheit zeigen und dem UNO-Team den Zugang an diesen Ort gewähren.

Meurer: Was ist denn, wenn das Regime von Assad sagt, Nein, wir bleiben dabei, die UNO-Inspekteure dürfen zu den drei Plätzen, die ausgemacht sind, aber nicht nach Irbin?

von Sponeck: Dann werden sie eben auch erwarten müssen, dass die Verschwörungstheorien immer ungünstiger für die syrische Regierung sein werden, denn das führt dazu, dass man dann Zweifel hat, ob die Antwort anders sein kann als die, die wir zurzeit aus Israel hören.

Meurer: Wenn die syrische Armee wirklich Giftgas eingesetzt hat, warum sollte sie eine Inspektion dann erlauben?

von Sponeck: Warum würde die syrische Regierung, wenn da nicht eine Massenpathologie entstanden ist im Laufe der schwierigen Zeit, warum würde eine Regierung in dem Zeitpunkt, in dem ein UNO-Team am Ort ist, so etwas tun?

Meurer: Wer hat eigentlich dafür gesorgt, dass die Regeln für die Inspektoren so eng gefasst worden sind. Die syrische Regierung oder ist das sozusagen in der bekannten Gemengelage im UNO-Sicherheitsrat so definiert worden?

von Sponeck: Das ist vielleicht ein Cocktail, der sich zusammensetzt aus Positionen, die im UNO-Sicherheitsrat von der P2-Gruppe, das sind Russen, Chinesen, vertreten wird, zusammen mit der Assad-Regierung - aber Sinn macht das doch nicht. Sinn macht doch nur, dass man jetzt die Türen öffnet, den Zugang ermöglicht und damit eben die Anklagen neutralisieren kann, die schon von vornherein, sofort, als es geschehen war, eben zu dem Entschluss kamen oder der Schlussfolgerung kamen, dass es hier sich um ein Vergehen der syrischen Regierung handelt. Erinnert mich sehr an den Irak, so wurde da auch damals argumentiert, ohne dass man Beweise hatte. Ich glaube, die Welt wird nicht vergessen den 5. Februar 2003, als Colin Powell vor die Weltgemeinschaft trat und Beweise lieferte, die zum Schluss gar keine waren. Es wird also von allen Seiten die Unwahrheit herangezogen als Gehilfe, und das wird, glaube ich, das würde der syrischen Regierung nicht helfen.

Meurer: Sehen Sie auch eine Parallele, Graf von Sponeck, zum Irak, als damals in den 1990er-Jahren das große Katz- und Mausspiel mit den UNO-Inspekteuren stattfand. Die wurden mal hierhin, mal dahin geführt, und irgendwie hat man immer den Eindruck, da wurde schon dafür gesorgt, dass sie das sehen, was sie sehen sollen und das nicht sehen, was sie nicht sehen sollen.

von Sponeck: Ja, das war so. Ohne Frage war das so. Aber am Anfang. Später ist es ganz anders geworden. Der Irak war das durchröntgteste Land auf unserer Welt. Da wusste man seit 1995, wie es wirklich aussah, und dass qualitativ der Irak abgerüstet war. In Syrien ist es doch ganz anders. Die syrische Regierung versucht zu beweisen, dass das alles von draußen hereingetragen worden ist. Man kann auch von der anderen Seite der Grenze einen Satelliten mit Giftgas hinüberschicken. Beweise gibt es keine. Und ich glaube, das Allerwichtigste ist jetzt, dass die Spezialisten unter der Leitung eines bekannten schwedischen Professors jetzt die Möglichkeit haben, an die Orte, an den Ort, Vorort von Damaskus zu kommen, ihre professionelle Arbeit zu machen, diese abzuliefern, und dann wissen wir mehr. Alles jetzt im Augenblick, was wir jetzt zu hören und zu lesen bekommen, sind Spekulationen, die der ganzen Sache nicht helfen.

Meurer: Wenn die Spezialisten vor Ort dürfen, nach Irbin, lässt sich das Ihrer Kenntnis nach zweifelsfrei vor Ort dann feststellen?

von Sponeck: Sie wissen, wie das mit Carla Ponti und ihrer Aussage und dann dem Widerspruch gewesen ist. Ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet, und deswegen kann ich auch nicht sagen, wie möglich das alles ist. Aber die Grundaussage, ich glaube, die ist nach wie vor die Einzige, die man jetzt machen kann. Die Forderung nach einer Untersuchung, und danach weiß man dann mehr. Zurzeit hilft es nicht, darüber nachzudenken, ob es das sein könnte oder ob es Giftgas ist, ob es andere toxische Sachen sind, ob es Chemiewaffen waren - wer weiß das?

Meurer: Die Inspekteure dürfen ja an drei Orte, noch nicht nach Irbin. Aber, was auch vereinbart worden ist mit dem UNO-Sicherheitsrat, sie dürfen nicht hinterher sagen, wer es gewesen ist. Wer ist denn auf diese Idee gekommen?

von Sponeck: [lacht] Das - ich glaube, man will das dem Sicherheitsrat, dann der P5-Gruppe besonders, den permanenten Mitgliedern überlassen, zu sagen, wer es war. Ich glaube, die Angst vor der weitergehenden Spekulation steckt in allen Knochen, ob es die Chinesen oder die Russen sind oder dir Franzosen, Engländer und Amerikaner, jeder ist vorsichtig, weil natürlich eine klare Aussage und das ist nicht die Aufgabe des Teams. Das Team ist dazu da, festzustellen, was geschehen ist, was geschehen sein könnte. So klar, wie sie das ergründen können. Und die Aussage ist eine politische Aussage, die dann im Sicherheitsrat gemacht werden muss.

Meurer: Hans-Christof Graf von Sponeck, ehemaliger UNO-Koordinator im Irak, zu den Berichten und Videos über den Einsatz von Giftgas im Vorort der syrischen Hauptstadt Damaskus, in Irbin. Graf von Sponeck, besten Dank und auf Wiederhören!

von Sponeck: Alles Gute!

* Quelle: Deutschlandfunk, 22. August 2013; http://www.dradio.de


Meldungen der Russischen nachrichtenagentur RIA Novosti:

Russlands Außenamt: Syrische Opposition behindert Ermittlungen zu C-Waffen-Einsatz (23.08.2013)

Einer Ermittlung zum mutmaßlichen Einsatz chemischer Waffen in Syrien steht laut Russlands Außenamt die Haltung der syrischen Opposition im Wege, die sich nicht bereit erklärt, die Sicherheit der UN-Experten auf den von den Regimegegnern kontrollierten Gebieten zu gewährleisten.

„Dies behindert unmittelbar eine objektive Prüfung der Behauptungen über mögliche Fälle des Einsatzes chemischer Waffen in Syrien, wozu eine ganze Reihe von Ländern aufruft und was die russische Seite befürwortet“, heißt es in einer Erklärung auf der Website des russischen Außenamtes am Freitag.


Pentagon verlegt US-Kriegsschiffe im Mittelmeer in Richtung Syrien (24.08.2013

Die US-Kriegsschiffe, die derzeit im Mittelmeer kreuzen, werden in Richtung Syrien verlegt – für den Fall, dass beschlossen wird, die Marine für die Lösung des Syrien-Problems einzusetzen, so Pentagon-Chef Chuck Hagel.

„Das Verteidigungsministerium bietet dem Präsidenten Handlungsvarianten für verschiedene Szenarien, und dies macht eine Verlegung von Kräften und Mitteln erforderlich“, wird der Minister von der „Washington Post“ zitiert.

Zugleich präzisierte Hagel nicht, welche konkreten Schritte die Marine derzeit unternimmt.

Zuvor hatte Reuters mit Hinweis auf einen Pentagon-Sprecher mitgeteilt, dass der Zerstörer Mahan, der das Mittelmeer hätte verlassen und nach Virginia zurückkehren sollen, vorerst im Mittelmeer bleibe. Zugleich betonte der Sprecher, dass die Marine keine Befehle zur Vorbereitung auf eine Militäroperation erhalten habe.

Am Mittwoch hatten mehrere Medien über einen massiven C-Waffen-Einsatz durch syrische Regierungstruppen in der Nähe von Damaskus berichtet. Laut diesen Angaben sind dabei mehr als 600 Menschen ums Leben gekommen.

Die Koalition der nationalen Opposition Syriens behauptete, die Zahl der Opfer könnte auf 1 300 steigen. Die Regierung und das Militärkommando Syriens dementierten diese Informationen.


„Ärzte ohne Grenzen“: 355 Tote durch C-Waffenattacke bei Damaskus (25.08.2013)

Durch die Chemiewaffen-Attacke am 21. August bei Damaskus sind nach den jüngsten Angaben der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ rund 3600 Menschen betroffen worden, 355 von ihnen starben, meldet Reuters.

Die „Ärzte ohne Grenzen“ haben nach eigenen Angaben rund 7000 Ampullen mit Atropin, das als Gegengift verwendet wird, nach Syrien geschickt.

Am Mittwoch hatten Medien unter Verweis auf Aktivisten berichtet, dass östlich von Damaskus chemische Waffen eingesetzt worden seien. Die syrische Regierung und die bewaffnete Opposition, die sich seit fast zweieinhalb Jahren blutige Gefechte liefern, beschuldigen sich gegenseitig, hinter der Attacke zu stehen.

Das syrische Staatsfernsehen informierte am Samstag, die Armee habe in Jobar, ein Vorort von Damaskus, ein von Regimegegnern eingerichtetes Lager mit Kampfstoffen und Gegengiften entdeckt.


Gerüchte über Militäreinsatz: Syrien warnt USA vor „Großbrand“ in ganz Nahost (25.08.2013)

Nach Chemiewaffen-Vorwürfen warnt die syrische Regierung die USA vor einer militärischen Einmischung in den seit fast zweieinhalb Jahren andauernden Konflikt. Eine Intervention würde nur noch mehr Gewalt in der Region nach sich ziehen, heißt es aus Damaskus.

„Ein militärisches Eingreifen der USA würde sehr schwere Folgen haben“, sagte der syrische Informationsminister Omran al-Soabi am Sonntag nach Angaben der Agentur Reuters. Es würde ein „Feuerball“ entstehen, der nicht nur Syrien, sondern den ganzen Nahen Osten in Flammen setzen würde.




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