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"Idee ohne Grundlage" - Friedensplan für Syrien ist offenbar eine Chimäre

UN-Menschenrechtskommissarin drängt auf Intervention - Brahimi sieht Chancen für Dialog

Von Karin Leukefeld *

Die Vereinten Nationen senden gemischte Signale zum Krieg in Syrien aus. Der von der UNO ernannte Vermittler Lakhdar Brahimi sprach nach einem Treffen mit den Generalsekretär der Arabischen Liga von Chancen für einen Dialog zwischen Regierung und Opposition. Gespräche könnten an einem Standort der Vereinen Nationen stattfinden, sagte der algerische Diplomat in Kairo. Die Führung in Damaskus solle eine für die syrische Opposition akzeptable Delegation entsenden. Ein solches Treffen müsse von den arabischen Staaten und der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden.

Zuvor hatte die UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay eindringlich zu einem sofortigen Handeln im Syrien-Konflikt aufgerufen und eine Militärintervention ins Gespräch gebracht. In einem Interview mit dem britischen Fernsehsender "Channel 4" sagte Pillay, auch Friedenstruppen könnten entsandt und der Internationale Strafgerichtshof eingeschaltet werden. Pillay warf dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und dessen Sicherheitskräften Kriegsverbrechen vor.

Ähnlich äußerte sich die Syrische Nationale Koalition (für die Kräfte von Revolution und Opposition) nach einem Treffen in Kairo (am vergangenen Freitag, 15.2.). Laut einer Erklärung forderte die Koalition Russland und Iran auf, jede Unterstützung für den amtierenden syrischen Präsidenten Bashar al-Assad aufzugeben. An Assad festzuhalten bedeute „die Region in einen konfessionellen Konflikt“ zu stoßen, hieß es an die Adresse des Iran in Punkt 7 einer 8 Punkte umfassenden Erklärung. In Punkt 2 heißt es, Bashar al-Assad und die Führung der Sicherheitskräfte, „die für die derzeitige Zerstörung des Landes“ verantwortlich seien, „sind nicht Teil des politischen Prozesses und müssen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden“. Die „Freunde Syriens“ müssten einsehen, dass nur „mit der Unterstützung der syrischen Koalition und des Obersten Militärkommandos“ die Stabilität in der Region und der Erhalt staatlicher Institutionen gewährleistet werden könnten.

Die Nationale Koalition und ein „Oberstes Militärkommando“, das theoretisch der Koalition unterstellt sein soll, wurde auf Initiative von USA und den Golfstaaten Anfang November 2012 in Doha und Riad ins Leben gerufen. Die Koalition wird – wie zuvor schon der Syrische Nationalrat (SNR) - von islamistischen Gruppen und der Muslim Bruderschaft dominiert. Das „Oberste Militärkommando“ wurde von den USA, Frankreich, Türkei, Saudi Arabien und Katar mit handverlesenen Kommandanten der bewaffneten syrischen Aufständischen (in Antalya, Türkei) gebildet.

Die tatsächliche Führung bei den bewaffneten Aufständischen in Syrien liegt allerdings in den Gewehrläufen einer Syrischen Islamischen Front, der auch Al Khaida-Gruppen, wie die Jubhat al-Nusra angehören. Sie sind im Wesentlichen für Angriffe auf Vororte von Aleppo und Damaskus, auf militärische und zivile Flughäfen, auf Militäranlagen und zivile Infrastruktur der Strom-, Wasser- und Ölversorgung verantwortlich. Am Wochenende wurde bekannt, dass islamistische Kämpfer in dem Ort Maaret al-Numan (Provinz Idlib) einer Statue des Dichters aus der Abbasiden Zeit, Abu al-Alaa al-Maari, den Kopf abgeschlagen und die Statue mit Kugeln durchsiebt haben. Der Dichter war in dem Ort 973 geboren worden. Ebenfalls in der Provinz Idlib entführten Kämpfer einen Bus, der mit 48 Fahrgästen – Frauen und Kinder - auf dem Weg nach Damaskus war. In Azaz, einem nördlich von Aleppo gelegenen Grenzort zur Türkei, halten Islamisten seit Mai 2012 noch neun libanesische Pilger gefangen. Zwei Pilger waren vor einigen Monaten frei gelassen worden.

Das syrische Außenministerium hat sich am Wochenende beim Generalsekretär der Vereinten Nationen und beim UNO-Sicherheitsrat über die anhaltende Destabiliserung Syriens durch die türkische Regierung beschwert. Die Türkei habe ihr „Territorium in ein Aufmarschgebiet“ verwandelt, wo „bewaffnete terroristische Gruppen, vor allem Al Khaida und Jabhat al-Nusra beherbergt, ausgebildet, finanziert, bewaffnet und nach Syrien geschmuggelt werden“, heißt es in dem Schreiben, das auszugsweise von der syrischen Nachrichtenagentur SANA veröffentlicht wurde. In aller Offenheit unterstütze und rechtfertige Ankara deren „Morden und die systematische Zerstörung von öffentlicher und privater Infrastruktur“ in Syrien. Das Verhalten der türkischen Regierung verletzte internationales Recht und alle Regeln zwischenstaatlicher und nachbarschaftlicher Beziehungen. Die internationale Gemeinschaft sei aufgefordert, Druck auf die türkische Regierung auszuüben, damit sie „ihre Versuche, Syrien zu spalten“ aufgebe. Ausdrücklich wurde in dem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Kritik sich gegen die türkische Regierung, nicht gegen die Türken an sich richte. Syrien respektiere das türkische Volk, dem es in Freundschaft verbunden sei.

Ein vor wenigen Tagen bekannt gewordener „Friedensplan“ für Syrien scheint sich derweil als Chimäre zu entpuppen. Sowohl die Autoren des Plans als auch die politischen Schritte, die der Plan erfordern würde, seien völlig im Unklaren, meinte ein Gesprächspartner, der gut über die Arbeit des UNO-Sondervermittlers Lakhdar Brahimi informiert ist und namentlich nicht genannt werden möchte. Abgesehen davon, dass erklärt werden müsse, aus welchen gesellschaftlichen Gruppen ein angeblich zu wählender Senat sich zusammenstellen solle, müsse klar sein, wer wann wie und wo wählt und von wem gewählt werden könne. Beide Seiten müssten zustimmen und man brauche man einen Waffenstillstand, nicht umgekehrt, wie der Plan es angeblich vorsehe. Vermutlich handele es sich um eine von interessierter Seite hochgespielte „Idee“ ohne Grundlage. Sawsan Zakzak, Frauenrechtsaktivistin aus Damaskus wunderte sich (im Gespräch mit der Autorin) insbesondere über die angeblich vorgesehenen 20 Kommissionen, die über verschiedene politische und gesellschaftliche Bereiche entscheiden sollten. Eine Kommission sei zum Beispiel für „religiöse Männer“ vorgesehen, meinte Zakzak. „Wer in Syrien fordert oder braucht so eine Kommission?!“

* Dieser Artikel erscheint - gekürzt - unter dem Titel "UNO sieht Dialogchance in Syrien" am 18. Februar 2013 im "neuen deutschland".


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