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Angst vor Bürgerkrieg

Attentat in Syrien, Großdemonstration in Libanon: Wachsende Spannungen vor drittem Todestag von Premier Rafik Hariri am heutigen Donnerstag

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Seit Tagen beschäftigt große Teile der libanesischen Bevölkerung eine bange Frage: Wie wird der heutige Donnerstag (14. Februar) ablaufen? Anläßlich des dritten Jahrestages des Mordes am ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri hat die Regierung zu Massenaktionen aufgerufen. Sie können eine weitere dramatische Zuspitzung der innenpolitischen Kontroverse mit sich bringen. Und: Spätestens seit bei den Protesten gegen Strommangel Ende Januar acht Personen durch Unbekannte sowie durch libanesische Soldaten getötet wurden, ist die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg weiter gestiegen. Zusätzliche Nahrung erhielt diese am Mittwoch, als bekannt wurde, daß am Abend zuvor in Damaskus Imad Mughnijeh, ein führendes Hisbollah-Mitglied, durch die Explosion einer Autobombe getötet worden war.

Mughnijeh war seit Jahren untergetaucht, soll selbst an Anschlägen beteiligt gewesen sein und stand auf der Fahndungsliste der US-Bundespolizei FBI ganz oben: 25 Millionen Dollar (17 Millionen Euro) waren auf seine Ergreifung ausgesetzt -- genausoviel wie auf Bin Laden. Die Hisbollah erklärte in ihrem Fernsehsender, einer der großen Führer des islamischen Widerstands im Libanon sei von Israelis zum Märtyrer gemacht worden. Er sei einer der Väter der Befreiung und des glorreichen Siegs im Juli-Krieg gewesen, hieß es mit Bezug auf Israels Angriffe gegen den Libanon im Sommer 2006. Über die Hintergründe des Attentats von Mughnijeh wurde nichts mitgeteilt.

Nun wollen heute in Beirut Hariris Sohn Saad und dessen westlich orientierte Politfreunde im Regierungsbündnis (Phalangisten, Sozialistische Fortschrittspartei, Freie Libanesische Armee und Zukunftspartei) den Jahrestag des Hariri-Mords zu einer »Manifestation für Demokratie, Souveränität und Unabhängigkeit« des Libanon machen. Sie rufen ihre Anhänger zu einer Großkundgebung in Beirut auf. Geradezu haßerfüllt mobilisiert Walid Dschumblat, Führer der Sozialistischen Fortschrittspartei, dafür seine Anhängerschaft. In seiner Residenz in den Chouf-Bergen drohte Dschumblat der Opposition: »Wenn ihr Chaos wollt, begrüßen wir das Chaos. Wenn ihr Krieg wollt, begrüßen wir den Krieg. Vielleicht müssen wir alles niederbrennen, aber unsere Existenz, unsere Ehre, unser Überleben und Libanon sind wichtiger.«

Der frühere Arbeitsminister der Hisbollah, Trad Hamadeh, verwies angesichts solcher Tiraden auf die Prinzipien der Opposition, der es um nationale Einheit, Frieden und Stabilität gehe. Das Regierungsbündnis müsse »einen vernünftigeren Ton« finden. »Wenn man mit Krieg droht, kann man kein Land aufbauen.« Ibrahim Kanaan, Abgeordneter des oppositionellen »Blocks für Wechsel und Reformen«, fragte in einem Fernseh-interview: »Will Dschumblat einen Krieg anzetteln? Ist das eine Rede, mit der man die Libanesen eint?« Die zugespitzte Situation beschrieb Usama Safa vom Libanesischen Zentrum für Politische Studien: »Wir leben in einer politischen Eiszeit, sie töten sich gegenseitig in den Medien«.

Folglich war es auch keine Überraschung, daß vor kurzem bereits zum vierzehnten Mal der Termin der Präsidentschaftswahlen im Libanon verschoben wurde. Die eigentlich zum Wochenbeginn vorgesehene Wahl soll nun am 26. Februar stattfinden. Amr Moussa, dem es im Auftrag der Arabischen Liga immerhin gelungen war, die verfeindeten Lager -- Saad Hariri und Amin Gemayel für das Regierungsbündnis und Michel Aoun für die Opposition -- für vier Stunden an einen Tisch zu bringen, mußte unverrichteter Dinge wieder abreisen. Dabei habe eine Einigung in greifbarer Nähe gelegen, berichteten Beobachter.

Nachdem Hariri für die Ministerposten einer neuen Regierung eine Quotierung von 10:10:10 vorgeschlagen hatte -- zehn Minister für das Regierungsbündnis, zehn für die Opposition und zehn vom Präsidenten ernannte --, hatte Aoun für die Opposition dem zugestimmt. Hariri allerdings zog sich unter dem Vorwand, sich doch »noch einmal besprechen« zu müssen, von seinem selbst eingebrachten Vorschlag wieder zurück. Der Kompromiß war geplatzt. Moussa kritisierte indes den provokanten Verhandlungsstil der politischen Gegner. Sie hätten sich in einer Weise beschimpft, die »die Grenzen des Anstands überschreitet«, so Moussa. Die scharfe Rhetorik müsse aufhören.

Besonders bekannt für seine Ausfälle gegen die Opposition ist Walid Dschumblat. Als vor wenigen Tagen Aoun von der oppositionellen Freien Patriotischen Bewegung (FPM) und Hassan Nasrallah (Hisbollah) anläßlich ihres vor zwei Jahren vereinbarten »Dokuments der Verständigung« eine mehrstündige Fernsehdiskussion führten, diffamierte Dschumblat das christlich-muslimische Bündnis als Trauerromanze à la Romeo und Julia. Die Libanesen seien kurz vor dem Valentinstag von dieser »blinden Liebesaffäre«, die das Land in den Abgrund treibe, sicher beeindruckt gewesen, mokierte sich Dschumblat.

Nasrallah und Aoun hatten auf ihr Bündnis als »Modell eines libanesischen nationalen Dialogs« verwiesen. Der gegenseitige Respekt und die Vereinbarungen hätten dem Libanon bisher einen blutigen Bürgerkrieg erspart.

* Aus: junge Welt, 14. Februar 2008

Aktuelle Meldungen

Hunderttausende zu Gedenkveranstaltungen in Beirut

Gedenkveranstaltungen der beiden rivalisierenden Lager im Libanon haben am Donnerstag (14. Februar) hunderttausende Menschen angezogen. Schiiten strömten zur Beisetzung des tags zuvor in Syrien bei einem Bombenanschlag getöteten Hisbollah-Kommandeurs Imad Mughnijeh, während sich zur gleichen Zeit prowestlich orientierte Demonstranten in Beirut versammelten, um an den vor drei Jahren ermordeten früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri zu erinnern.

Um gewaltsame Ausschreitungen zwischen beiden Seiten zu verhindern, wurden tausende Soldaten in der libanesischen Hauptstadt stationiert und wichtige Straßen gesperrt. An der Gedenkveranstaltung auf dem Märtyrerplatz nahmen nach Angaben von Hariris Sohn Saad 1,5 Millionen Menschen teil. Saad Hariri griff die syrische Regierung scharf an, nicht aber die Hisbollah, offenbar aus Rücksicht auf die Trauerfeier. Der Drusenführer und scharfe Hisbollah-Kritiker Walid Dschumblatt sagte in einer Rede, die Regierung werde Bemühungen der Opposition nicht unterliegen, den Libanon dem vom Iran und Syrien repräsentierten Bösen auszuliefern. Dschumblatt warf Syrien vor, Mughnijeh getötet zu haben.

Tausende Anhänger der Hisbollah versammelten sich im Süden der Hauptstadt am Sarg von Mughnijeh. Für die Trauerzeremonie reiste auch der iranische Außenminister Manutschehr Mottaki an und verlas eine Beileidsbezeugung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Begleitet von seinem libanesischen Kollegen Fausi Salluch kondolierte Mottaki Mughnijehs Angehörigen und nahm auch selbst Trauerbekundungen entgegen. In Teheran bezeichnete das geistliche Oberhaupt des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, Mughnijehs Leben und Tod als «Legende, die Nationen erwecke».

Der frühere Sicherheitschef der Organisation gehörte zu den weltweit meistgesuchten Terroristen. Er wurde am Dienstagabend bei einem Bombenanschlag in Damaskus getötet. Mughnijeh sei ein Märtyrer, dessen Märtyrertod eine Ehre sei, hieß es.

(AFP, 14. Februar 2008)

Nasrallah droht Israel Vergeltung an

Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hat Israel am Donnerstag für die Tötung des Kommandeurs Imad Mughnijeh verantwortlich gemacht und Vergeltung angekündigt. Israelische Einrichtungen im Ausland würden ins Visier genommen, erklärte er. In einer Videobotschaft an die Trauernden in Beirut warf Nasrallah Israel vor, die Grenzen mit der Ermordung Mughnijehs in Syrien überschritten zu haben.

Israel habe Mughnijeh «außerhalb des natürlichen Schlachtfelds» getötet. «Mit diesem Mord, seinem Zeitpunkt, Ort und Methode - Zionisten, wenn ihr diese Art offenen Krieges wollt, lasst die ganze Welt zuhören: Lasst diesen Krieg eröffnet sein.» Wie alle Menschen habe die Hisbollah das Recht, sich zu verteidigen.

Nasrallah hält sich aus Furcht vor einem Attentat Israels seit 2006 versteckt. Er trat seit dem Krieg Israels gegen die Hisbollah nur drei Mal öffentlich auf.

(AP, 14. Februar 2008)




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