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Geringe Erwartungen

UN-Vermittler Brahimi zu Gesprächen in Syrien eingetroffen. Iran und Saudi-Arabien ringen um regionalen Einfluß

Von Karin Leukefeld *

Der syrische Außenminister Walid Muallem hat dem neuen Syrienbeauftragten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, die volle Bereitschaft zur Zusammenarbeit zugesichert. Die beiden Diplomaten waren am Donnerstag in Damaskus zu einem ersten Treffen zusammengekommen, für Freitag war ein Gespräch zwischen Brahimi und dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad vorgesehen. Brahimi hatte zu Beginn seines Besuchs in Damaskus vor »zu großen Erwartungen« gewarnt. Die Situation verschlimmere sich, sagte er in Kairo vor seiner Abreise nach Damaskus. »Sollte sich die Lage weiter verschlechtern, bedroht das nicht nur Syrien, sondern die direkten und entfernteren Nachbarstaaten.«

Der Vorgänger Brahimis, der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan, hatte seine sechsmonatige Amtszeit als Vermittler nicht verlängert. Wichtige regionale Akteure – insbesondere die Türkei, Katar und Saudi-Arabien – hatten Annan Gespräche über den von ihm vorgeschlagenen Sechs-Punkte-Plan verweigert. Alle drei Staaten sind erklärte Gegner der syrischen Regierung und unterstützen den bewaffneten Aufstand in Syrien.

Auf Einladung Ägyptens hatten sich in dieser Woche erstmals Vertreter der Türkei, Saudi-Arabiens und des Iran in Kairo getroffen, um über die Lage in Syrien zu sprechen. Dieses »Syrien-Quartett«, das auf eine Initiative des ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi zurückgeht, soll ein »Ende der Gewalt und den Beginn eines politischen Prozesses« in Syrien vorbereiten. Grundlage bleibt der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan, als nächster Schritt ist ein Treffen auf Außenministerebene geplant. Bereits im August hatte der saudische König Abdullah mit der Einladung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zu einer »Konferenz der islamischen Einheit« nach Mekka ein erstes Einlenken signalisiert. Sollte eine regionale Einigung dieser Staaten über das säkulare multireligiöse Syrien Erfolg haben, wäre diese deutlich islamisch geprägt. Gleichzeitig würde das die Position des neuen ägyptischen Präsidenten Mursi erheblich stärken.

Die Türkei, Saudi-Arabien und – etwas zurückhaltender – Ägypten unterstützen den Aufstand gegen die syrische Führung. Teheran dagegen ist seit 1979 ein enger Verbündeter von Damaskus und hat wiederholt deutlich gemacht, daß es nicht bereit ist, seine Position aufzugeben. Saudi-Arabien und Iran fechten zudem seit bald zehn Jahren einen heftigen Kampf um die regionale Vorherrschaft aus. Iran hatte – zum Ärger Saudi-Arabiens – durch die US-geführte Invasion im Irak im Jahr 2003 seinen Einfluß erheblich ausweiten können. Da Iran ein schiitisch-muslimischer Religionsstaat ist und das von dogmatischen sunnitisch-muslimischen Wahabiten geführte Saudi-Arabien sich als Hüter der islamischen Stätten Mekka und Medina sieht, wird der Kampf um die regionale und geostrategische Vorherrschaft im Westen zunehmend als sunnitisch-schiitischer Konflikt charakterisiert.

Für Teheran dürfte es Beobachtern zufolge vor allem darum gehen, eine Iran-freundliche Regierung in Damaskus zu erhalten. Der pragmatische Weg dahin führt für Teheran über einen Waffenstillstand, Stopp der Waffenlieferungen an die Aufständischen und Verhandlungen mit Kräften der Opposition.

Am 23. September soll in Damaskus eine Konferenz der syrischen Opposition unter dem Motto »Die syrische Heimat retten« stattfinden. Rußland hat seinen Einfluß in Damaskus geltend gemacht, um einen sicheren Verlauf zu garantieren. Der stellvertretende russische Außenminister und Sy-rienbeauftragte von Präsident Wladimir Putin, Michail Bogdanow, kritisierte im Gespräch mit der libanesischen Tageszeitung As Safir die mangelnde Bereitschaft des Westens, das gemeinsam vereinbarte Abkommen von Genf vom Juni umzusetzen. Dieses sei ein »grundlegendes Dokument und legt detailliert dar, wie der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan unterstützt werden kann«, sagte Bogdanow. Weitere Sanktionen nach Kapitel 7 der UN-Charta, wie sie von westlichen Staaten gegen die syrische Regierung gefordert würden, seien darin nicht vorgesehen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 15. September 2012


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