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Viel grauer Stahl im Mittelmeer

Gigantischer Flottenaufmarsch vor Syriens Küste – und mitten drin schwimmt das Ohr des BND, die "Oker"

Von René Heilig *

Die Lage in und um Syrien verschärft sich. Nicht nur propagandistisch. Die US-Stabschefs sollen für Obamas »begrenzen Militärschlag« rund 50 Ziele bestätigt haben, und im Mittelmeer wimmelt es nur so von Kriegsschiffen verschiedener Nationen.

Das wird kein Krieg, Syriens Präsident Baschar al-Assad bekommt nur ein paar Ohrfeigen. Diesen Eindruck versucht die Obama-Regierung zu erwecken, um die Welt und die eigenen gar nicht kampfentschlossenen Bürger zu beruhigen. Gleiches gilt für die zu erwartenden Kosten: »Die Summe ist zu diesem Zeitpunkt nicht außergewöhnlich«, meinte der US-Marinechef Admiral Jonathan Greenert am Donnerstag und sekundierte dabei Verteidigungsminister Chuck Hagel, der tags zuvor dem Repräsentantenhaus erklärt hatte, dass die Kosten im Bereich von »mehreren zehn Millionen Dollar« liegen würden.

Geplant ist der Einsatz von Cruise Missiles. Die »Tomahawk«-Flügelraketen sind so erprobt wie präzise. Man wird sie vor allem von Flugzeugen und Schiffen gegen Kommandostellen der syrischen Armee und deren Flugplätze abfeuern, um damit – durchaus bürgerkriegsentscheidend – fragile Nachschubknoten zu zerstören.

Erstmals ist die Rede vom Einsatz französischer Jets. Frankreich ist mit Aufklärungsflugzeugen und Schiffen vor Syriens Küste. Bereits am 29. August nahm der Zerstörer »Chevalier Paul« aus Toulon Ostkurs auf. Der Flugzeugträger »Charles de Gaulle« – so hieß es zu Wochenbeginn – sei »voll einsatzbereit« und könne mit den anderen Einheiten »binnen 48 Stunden auslaufen«. Auch einige Aufklärungsschiffe der französischen Marine sind nicht mehr an ihren heimischen Liegeplätzen.

US-Präsident Barack Obama kann jeden »Willigen« gebrauchen, nachdem die britischen Verbündeten von der Fahne gegangen sind. Die britische Royal Navy ist dennoch präsent. Mangels Mitmachmöglichkeit führt man mit einem Hubschrauberträger, einem Docklandungsschiff und zwei Fregatten die amphibische Übung »Albanian Lion« durch. Wo Londons mit »Tomahawk« bewaffnetes Atom-U-Boot liegt, ist ebenso unklar wie die Lage der Unterwasser-Raketenträger der USA. Ihre Präsenz dagegen zeigen fünf Zerstörer der »Arleigh Burke«-Klasse. Jeder hat bis zu 40 Marschflugkörper an Bord. Eine gewaltige Schlagkraft vereint der Verband des US-Flugzeugträgers »Nimitz«, der sich jedoch wie alle anderen grauen Angreifer außerhalb der Reichweite moderner syrischer Anti-Schiff-Raketen befindet.

Rom hat einen Zerstörer und eine Fregatte ausgesandt. Offiziell sollen sie den in Libanon stationierten 1174 italienischen UNIFIL-Soldaten Beistand leisten. Auch die Türkei hat Einheiten auslaufen lassen. Mit einigen übt die deutsche Fregatte »Sachsen«. Offiziell soll sie sich – so wie der Tender »Mosel« – bereit halten, um Deutsche evakuieren zu können.

Die beiden als UNIFIL-Boote deklarierten deutschen Schnellboote »Frettchen« und »Wiesel« sehen zu, nicht in das Getümmel der Kriegsschiffe zu geraten. Denn natürlich sind auch russische Einheiten vor Ort. Um Moskaus Mittelmeergeschwader und Teile der Schwarzmeerflotte wird nicht zuletzt von der NATO ein großes Verwirrspiel betrieben. Immer wieder dichtet man Kriegsschiffe der Nord- und der Pazifikflotte hinzu, die sich jedoch in weit entfernten Regionen aufhalten. Sicher scheint zu sein, dass Zerstörer der »Udaloy«-Klasse sowie Landungsschiffe vor Syrien sind. Gestern hat ein weiteres russisches Aufklärungsschiff den Bosporus passiert. Die mit BND-Spezialisten bemannte deutsche »Oker« wird also Gesellschaft bekommen.

Das Spionageschiff der Deutschen Marine hat – laut Aussage des BND-Präsidenten Gerhard Schindler – ein Telefongespräch eines Hisbollah-Mannes abgehört, das die Verantwortung des Assad-Regimes für den Giftgasangriff vom 21. August bestätigt haben soll.

Was immer da aufgefangen wurde – ein Beweis ist das natürlich nicht. Wie einfach und glaubwürdig man solche Gespräche »gestalten« kann, lässt sich in »Geheimakte Mossad« (C. Bertelsmann 1994) nachlesen. Dort beschreibt der ehemalige Agent des israelischen Mossad Victor Ostrovsky ein System namens »Trojaner«. Dabei handelt es sich um eine Art Relaisstation, die von Spezialeinheiten in Feindesland installiert wird, um fremden Ohren passende Informationen samt echten Peildaten zu bieten.

Der »Trojaner« wird vom Mossad mit Daten gefüttert, die er dann in die Welt entlässt. Wie leicht Verschlüsselungen zu knacken – also auch nachzuahmen sind –, belegt derzeit der NSA-Skandal. Ostrovsky schreibt, das System habe in Libyen so perfekt funktioniert, dass die USA einhundertsechzig Bomber zu einem »begrenzten Militärschlag« ausgeschickt haben. Das war 1986. Seither dürfte sicher nicht nur der Mossad an der Verfeinerung solcher Systeme gearbeitet haben.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 7. September 2013


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