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Geisterflotte und mehr im Mittelmeer

BND bereitet für Obama den G20-Gipfel und einen Angriff auf Syrien vor

Von René Heilig *

Montag im Verteidigungsausschuss. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, war auf Betreiben der Grünen eingeladen worden, um Wissen über die Situation in Syrien auszubreiten. Schindler nutzte den vertraulichen Termin offenbar geschickt, um rechtzeitig vor dem G20-Gipfel Schützenhilfe für die Angriffsabsichten der US-Regierung zu leisten.

So wie Frankreich, das zufällig gleichfalls am Montag einen Geheimdienstbericht zum Kampfstoffeinsatz am 21. August in Vororten der syrischen Hauptstadt vorgelegt hat, sieht der BND die Verantwortung für das grausame Sterben von 1400 Menschen bei Präsident Baschar al-Assad.

Was bietet der BND als Beweise? Zunächst eine Plausibilitätsanalyse. Das Assad-Regime verfüge über Sarin und sei geübt im Mischen des Kampfstoffes. Verschossen wurde der vermutlich mit 107-Millimeter-Raketen. Bei vorangegangenen drei Angriffen habe man eine verdünnte Mischung verwandt, deshalb sei die Anzahl der Opfer bislang begrenzt gewesen. Möglicherweise habe man nun, um den Rebellen-Druck – bis zu 20000 sollen in die Hauptstadt eingesickert sein – zu mindern, die Hardcore-Variante gewählt. So die »mitteleuropäische Sicht«.

Das klingt wie eine Light-Fassung der US-Erkenntnisse. Möglicherweise war es so – oder ganz anders. Die Mehrfachstarter, aus denen Assads Truppen die Sarin-Raketen verschossen haben sollen, sind »Wegwerfware«. Weltweit. Sie wurden von verschiedenen Staaten gebaut und in Afrika, am Golf, in Libanon und mehrfach von beiden Seiten in Syrien eingesetzt. Sogar der NATO-Staat Türkei verfügt über solche Waffen.

Doch der BND bietet noch mehr. Schindler berichtete über ein abgefangenes Telefongespräch. Ein hochrangiger Mann der libanesischen Hisbollah-Miliz, die einen Gutteil von Assads Häuserkampftruppe stellt, habe mit der iranischen Botschaft gesprochen. Dabei habe er geäußert, dass dem Regime die Nerven durchgegangen seien. Der Befehl zum Kampfstoffeinsatz sei, so der Anrufer, ein großer Fehler gewesen.

Was weiß man über die Personen am Telefon, was über die Art und Weise, wie das Gespräch abgefangen wurde? War die Information ein »Beifang« auf dem vor Syrien liegenden Flottendienstboot »Oker«? Hat der Hisbollah-Mann ein Satellitentelefon benutzt und ist in die heftig umstrittene BND-Abhörfalle bei Bad Aibingen geraten?

Schindler ist geübt im Quellenschutz. Doch er muss sich relativ sicher sein, dass diese Information belastbar ist, denn schon einmal hat der BND den USA eine Kriegsbegründung quasi auf dem Tablett serviert. Ein unbedeutender irakischer Ingenieur namens Rafed Aljanabi (Deckname »Curveball«) hatte sich beim BND gemeldet und sich mit Saddam Husseins angeblichen mobilen Bio-Waffen-Labors wichtig gemacht. Die Lüge passte in die Irak-Angriffsabsicht der damaligen US-Regierung Bush. Der BND überstellte seinen Informanten – wie es heißt »mit Bauchschmerzen« – an die CIA. Die baute ihn zum Kronzeugen für die Notwendigkeit auf, verteilte dessen Aussagen auf einem G-20-Gipfel und der UNO-Vollversammlung.

Schindler wäre des Wahnsinns fette Beute, würde er erneut mit Lügen auf den Markt gehen, die einen Militärschlag rechtfertigen. Sicher ist, dass die Information, die offenbar nicht wie so oft über israelische Kanäle zum BND gelangt ist, an Wert gewinnen wird. Syrien und der angekündigte Militärschlag werden ein beherrschendes »Randthema« auf dem G20-Gipfel sein, der am Donnerstag und Freitag in St. Petersburg stattfindet.

»Was glauben Sie, wem der russische Präsident Putin mehr glaubt – den US-Diensten oder dem deutschen BND?« Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom meint: »Obama braucht keine militärische Unterstützung, er braucht politische Rechtfertigung. Während sich der NATO-Generalsekretär Rasmussen um die Rekrutierung der ›Willigen‹ kümmert, bieten Frankreich und Deutschland Obama Argumentationshilfe.«

Neben solchen Beihilfen zum Krieg gibt es auch andere, die nicht so schnell auszumachen sind. So das Gerede von der Sinnlosigkeit eines von Obama angekündigten begrenzten Militärschlages.

So eine präzise Attacke macht sehr wohl Sinn. Mit ein paar Dutzend Cruise Missiles lassen sich Assads Luftstützpunkte ausschalten. Das verhindert weitere, für die Aufständischen besonders gefährlichen Luftangriffe. Zum anderen aber wäre damit die gesamte Logistik der Assad-Truppen zerstört. Denn der Nachschub für die Truppen wird – da die Landwege weitgehend von Anti-Assad-Truppen belagert werden – durch die Luft herangeschafft. Bleibt der aus, sitzen die Soldaten des Regimes relativ wehrlos in kleinen Kesseln. Assads Ende wäre nah.

Gestern meldeten russische Radaranlagen zwei Raketenstarts im Mittelmeer. Es handelte es sich »nur« israelische Zielkörper. Sie belegen aber auch: Zerstörer der 6. US-Flotte proben den Angriff.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. September 2013


Es riecht nach Schröder

Merkel und der Krieg

Von René Heilig **


Beim Wahlduell mit Peer Steinbrück und in der letzten Bundestagsdebatte vor der Wahl bekräftigte Kanzlerin Angela Merkel, dass sie einen Militärschlag gegen das syrische Regime ablehnt. Ausnahme: Es gibt ein UN-Mandat. Oder eines von NATO oder EU. Abgesehen von der völkerrechtlich bedenklichen Sicht – das alles erinnert an die Wahlkampfsituation 2002, in der SPD-Kandidat Gerhard Schröder sich angeblich dem Irak-Krieg verweigerte. Doch die deutsche Unterstützung für Bushs Krieg war gewaltig.

Um derartiges nicht noch einmal zu erleben, hat die Opposition Vorschläge unterbreitet. Linksfraktionschef Gregor Gysi schlug beispielsweise gestern den anderen Fraktionen vor, sofort einen Rückzug der Bundeswehr-Soldaten und Patriot-Raketen aus der Türkei zu beschließen. Im Zusammenhang mit dem von den USA beabsichtigten völkerrechtswidrigen Militärschlag gegen Syrien und dessen Unterstützung durch die Türkei hätten sich die Grundlagen des Parlamentsmandats grundlegend geändert.

Angesichts der Erfahrungen aus dem Irak-Krieg hat der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele nun nachdrücklich gefragt, wie viele Mitarbeiter und nachrichtendienstliche Verbindungspersonen der BND in Syrien hat, die sich an der Erfassung möglicher Ziele beteiligen. Zugleich will er wissen, ob die Regierung – gemäß ihrer Zusage, sich an Militäraktionen nicht zu beteiligen, auch alle Bundeswehrangehörigen aus den NATO-Luftgefechtsständen – etwa dem CAOC 6 im türkischen Eski Sahir oder dem CAOC 7 im griechischen Larisa – zurückziehen wird.

Es ist zu hoffen, dass die Antwort nicht von den Ereignissen überholt wird.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. September 2013 (Kommentar)


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