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Aufklärung unerwünscht

BND mischt im Krieg gegen Syrien mit: Bundesregierung schweigt, SPD winkt ab, Grüne wollen im Geheimen beraten

Von Rüdiger Göbel *

Deutschland ist Kriegspartei in Syrien: Der Bundesnachrichtendienst (BND) und ein deutsches Marineschiff im Mittelmeer helfen laut einem Medienbericht den Aufständischen mit Informationen bei der Kriegführung (siehe jW vom 20. August). Ein Mandat des Bundestages für die Kriegsbeihilfe zum »Regime change« in Damaskus gibt es nicht – die meisten im Bundestag vertretenen Parteien finden die Übergehung des Parlaments offensichtlich nicht weiter schlimm. Zur Erinnerung: Bild am Sonntag war informiert worden, daß ein Schiff der deutschen Kriegsmarine mit »modernster Spionagetechnik« des BND vor der syrischen Küste kreuzt. Die etwa 40 Spezialisten des Kommandos »Strategische Aufklärung« an Bord der »Oker« sollen bis zu 600 Kilometer tief in Syrien etwa Truppenbewegungen beobachten können. Darüber hinaus sind BND-Agenten im türkischen NATO-Stützpunkt Incirlik bei Adana stationiert, von wo sie Telefonate und Funkverkehr aus Syrien abhören. Gesammelte Informationen gelangen laut BamS – indirekt – an die syrischen Aufständische.

Die Bundesregierung wollte am Montag keine Auskunft darüber geben, ob BND-Erkenntnisse an die Gegner von Präsident Baschar Al-Assad weitergegeben werden. Über die Aktivitäten der Geheimdienste würden öffentlich grundsätzlich keine Auskünfte gegeben, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert gestern in Berlin. Der Bundestagsabgeordnete Fritz-Rudolf Körper (SPD), Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, behauptete im Deutschlandfunk dreist, der Spionageeinsatz sei durch das Mandat für die UN-Beobachtermission im Libanon (UNIFIL) gedeckt. Und: Gewonnene Informationen würden nicht an die Aufständischen in Syrien weitergegeben. Eine solche einseitige, parteiergreifende Weitergabe erfolge nicht, log Körper die faktische Kriegsbeihilfe sozialdemokratisch zurecht. Gleichzeitig räumte er nämlich ein, der BND tausche sich mit US-amerikanischen und britischen Partnerdiensten aus – und die informieren sehr wohl die Assad-Gegner.

Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele erklärte in der Neuen Osnabrücker Zeitung, sollte der BND Informationen an die syrischen Rebellen weiterleiten, sei dies nicht mit dessen Aufgabenbeschreibung vereinbar. »Der BND soll Informationen für die Bundesregierung sammeln, nicht in einen Bürgerkrieg eingreifen.« Ströbele forderte, die Regierung »muß schleunigst Klarheit schaffen, sonst muß sich das Kontrollgremium für die Geheimdienste zeitnah mit Syrien beschäftigen«.

Genau das, die Untersuchung der BND-Wühlarbeit im zur Geheimhaltung verpflichteten Parlamentarischen Kontrollgremium, will Die Linke verhindern. Über das Eingreifen in einem, bewaffneten Konflikt müßten das gesamte Parlament und damit die Öffentlichkeit informiert werden, forderte Sevim Dagdelen, Sprecherin der Linksfraktion für internationale Beziehungen. Nur so ließen sich die notwendigen Konsequenzen ziehen. »Wenn Informationen des BND über Verbündete tatsächlich an die Aufständischen in Syrien weitergeleitet worden sind – wie es auch einst im Irak der Fall war – wäre das ein völkerrechtswidriger Eingriff in einen Bürgerkrieg«, konstatierte Dagdelen. Die Bundesregierung halte möglicherweise Kenntnisse des BND über das Massaker von Hula, das eine große Rolle bei der Eskalation des Bürgerkrieges gespielt hat, geheim. »Die selektive Information, Geheimhaltung und Desinformation ist längst Teil der Kriegsführung geworden.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 21. August 2012


A 53 sendet nicht mehr

Kurs Konfrontation - der Krieg in Syrien und das deutsche Flottendienstboot »Oker«

Von René Heilig **

Die Schlagzeilen klingen alarmierend: Die Deutsche Marine spioniert vor der syrischen Küste. Was ist da dran?

Bisweilen sind Medien schneller als die Ereignisse, über die sie berichten. So meldeten gestern Zeitungen, Radio- und TV-Sender, das Flottendienstboot »Oker« der Deutschen Marine horche weit nach Syrien hinein, um den Rebellen Informationen zu geben.

Unbewaffnet, unbeobachtet

Die Information der »Bild am Sonntag« war (noch) falsch. Das Aufklärungsschiff lag bis gestern um 10.25 Uhr (MESZ) im Hafen von Cagliari. Der liegt am Südzipfel von Sardinien.

Die Flottendienstboote »Alster« (A 50), »Oker« (A 53) und »Oste« (A 52) sind im Auftrag des Kommandos Strategische Aufklärung unterwegs. Mit Hilfe von elektronischen, akustischen und optischen Sensoren sammeln sie Informationen in Krisen- und Kriegsgebieten. Als das Flottendienstboot »Alster« Ende Dezember 15 nautische Meilen vor der Küste ins Visier eines syrischen Kriegsschiffs geriet, hielt man sich im Verteidigungsministerium über den »Alster«-Auftrag - wie immer - bedeckt. Auch als eines der drei Schiffe zu Bürgerkriegszeiten vor der libyschen Küste schwamm, erfuhr das Parlament davon nichts.

»Deutschland darf sich nicht durch ein paar Heißsporne mit Schlapphüten in einen Krieg hineinziehen lassen. Wir haben eine Parlamentsarmee und keine Geheimdienstarmee«, warnt LINKE Chef Bernd Riexinger. Derartige Einwürfe stören die Regierung wenig. Ihr Argument: Die Flottendienstboote sind unbewaffnet, folglich braucht man keine Parlamentszustimmung wie für einen bewaffneten Auslandseinsatz.

Die »Oker« war am 8. August aus Eckernförde ausgelaufen. Vermutlich nicht alleine, denn wenn Korvettenkapitän Omar de Stefano, der Kommandant, wirklich einen Spionageauftrag erhalten hat, der ihn und seine Besatzung vor die syrische Küste führt, so wird vermutlich ein U-Boot die Nahsicherung übernehmen. Am Wochenende war die »Oker« im Hafen von Cagliari, gestern legte sie ab und fuhr mit gut 14 Knoten Kurs 146 Grad. Der führt genau zwischen Afrika und Europa ins östliche Mittelmeer. Die letzte automatische AIS-Positionsmeldung kam um 11.57 MESZ. Dann wurde das Erkennungssystem abgeschaltet. Der Grund dürfte eindeutig sein. In vier Tagen kann die »Oker« mit ihrer Zusatzbesatzung vom Amt für Militärkunde (also dem militärischen Teil des BND) vor Syrien sein.

Am 12. September werden sich die Obleute des Verteidigungsausschusses zur ersten Sitzung nach der Sommerpause treffen. Schon jetzt ist klar, sie erfahren nichts. Vielleicht erreicht die Linkspartei mehr. Sie verlangt nicht nur Auskunft, sie droht damit, den »Oker«-Einsatz vor Syrien gerichtlich verbieten zu lassen.

Was macht der BND?

Der Auftraggeber, das Kommando Strategische Aufklärung, ist der geheimste Teil der Bundeswehr. Die Soldaten pflegen einen intensiven inhaltlichen wie personellen Austausch mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND. Dass der aus der Türkei heraus Aufklärung betreibt, ist bekannt. Doch bislang hat niemand beim vorgesetzten Kanzleramt nachgefragt, welche Aufgaben die an der Botschaft in Damaskus installierte BND-Legalresidentur derzeit erfüllt.

Kanzleramt und BND hatten stets beste Beziehungen zu Assads Geheimdiensten. Insbesondere »Silberfuchs«, das ist der Dienst des syrischen Militärs, wurde hofiert. Kaum denkbar, dass die Beziehungen abgebrochen sind - weder zu noch amtierenden Chefs noch zu bereits übergelaufenen. Und dann bleibt als Partner im Informationsaustausch noch Israels Mossad. Seit 1967 hält Israel die syrischen Golanhöhen besetzt. Die dort errichteten Aufklärungsstationen erlangen an einem Tag mehr Informationen über Syrien, als die »Oker« in Wochen sammeln kann.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 21. August 2012


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