Der Tag nach Assad
In Berlin stellten syrische Exilpolitiker ihre Pläne für einen Rechtsstaat vor
Von Roland Etzel *
Direkt gesponsert von der Schweiz
und den USA sowie tatkräftig unterstützt
vom Auswärtigen Amt,
haben syrische Exilanten am
Dienstag in Berlin ihr Programm
»für die Zeit nach Assad« vorgestellt.
Frankreich kündigte derweil
an, es werde eine mögliche syrische
Exilregierung anerkennen.
Sie hatten sich seit Jahresbeginn
beraten, konnten das in
einer Berliner Villa abgeschottet
von Neugierigen jeglicher
Couleur tun und hatten am
Dienstag nun ihren großen Auftritt:
45 syrische Exilanten
stellten unter dem Titel »The
Day After« (Der Tag danach) ein
Papier vor, in dem sie ihre politischen
Vorstellungen für die
Zeit nach einem Sturz des gegenwärtigen
Präsidenten Baschar
al-Assad und des mit ihm
verbundenen politischen Systems
skizzieren.
Der Sprecher der 45, Amr
al-Azm, nennt dabei vor allem
die Einberufung einer verfassunggebenden
Versammlung;
die jetzige, erst im Frühjahr angenommene
Verfassung, müsse
weg. »Aus einem Staat, der in
Willkürherrschaft von Einzelnen
regiert wird, muss in Syrien
ein Rechtsstaat werden.«
Was in einer neuen Konstitution
konkret anders lauten müsse,
sagte er nicht. Als weitere
Sofortmaßnahme nannte Azm
die Auflösung aller Geheimgefängnisse.
Vom Sturz Assads in naher
Zukunft zeigen sich die Oppositionellen
zwar überzeugt, sehen
sich dazu
aber derzeit
– trotz
florierenden
Waffenschmuggels
vor allem
über die
türkische Grenze – aus eigener
Kraft nicht in der Lage. Jegliche
Verhandlungen mit der Regierung
in Damaskus werden –
erstmals in dieser Unmissverständlichkeit
– ausgeschlossen.
Man strebt vonseiten dieses
Teils der syrischen Exilopposition
eine militärische Lösung an
und stellt Forderungen. Azm
zählte dazu die Ausstattung der
Rebellen mit schweren Waffen
und eine »militärische Intervention
der internationalen Gemeinschaft
zur Schaffung von
Flugverbotszonen«. Auf die
Frage, ob dies dann offenen
Krieg bedeute, gingen die Syrer
nicht ein. Azm erklärte lediglich:
»Wir benötigen die Mittel,
um das syrische Regime daran
zu hindern, sein eigenes Volk
zu töten.«
Offizielle Partnerin der Exilgruppe
war in Deutschland
nicht die Regierung, sondern
die Berliner Stiftung Politik und
Wissenschaft,
die
allerdings
Bundesgelder
erhält.
Da die Veranstaltung
zudem nicht
irgendwo in Berlin, sondern im
Hause der Bundespressekonferenz
stattfand, darf man davon
ausgehen, dass die Bundesregierung
ihren Standpunkt
entsprechend modifiziert hat.
Bislang hatte Außenminister
Guido Westerwelle stets erklärt,
Berlin befürworte trotz
aller Hemmnisse eine friedliche
Konfliktbeilegung. Gestern sagte
er zu erneuten Spekulationen
über eine Invasion Syriens
lediglich: »Ein militärisches
Eingreifen hätte ein erhebliches
Risiko. Deshalb ist es
wichtig, dass wir klug und
überlegt handeln.«
Wie andere syrische Oppositionsgruppen
auf die Berliner
Initiative reagiert haben, war
bis zum gestrigen Abend noch
offen. Westerwelle seinerseits
forderte aber »die gesamte Opposition
auf, unter dem Dach
von Demokratie und religiöser
Pluralität zusammenzufinden«.
Ein französischer Vorstoß,
die syrische Opposition zur
schnellen Bildung einer Oppositionsregierung
aufzufordern,
wurde von den USA mit Zurückhaltung
aufgenommen.
»Wir möchten sichergehen,
dass ein solcher Schritt auf einer
soliden demokratischen
Grundlage erfolgt«, sagte Außenamtssprecherin
Victoria
Nuland am Montagabend in
Washington. Man verwies auch
darauf, dass »syrische Extremisten
« an die Macht gelangen
könnten.
Aus Genf hieß es gestern,
dass entgegen Medienberichten
die Türkei weiter Flüchtlinge
aufnehme. »Die Grenze zu Syrien
ist offen«, sagte die Sprecherin
des UN-Flüchtlingshilfswerks,
Melissa Fleming.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 29. August 2012
Syrien, made in Germany
Die »Stiftung Wissenschaft und Politik« plant ein neues Syrien für »den Tag danach«– nach Assads Sturz
Von Sebastian Carlens **
Am Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf, hinter der säulenbewehrten, altpreußischen Fassade des Hauses 3–4, trafen sich seit Januar syrische Oppositionelle, um über die Situation nach dem geplanten Sturz der Regierung Assad zu beraten. »The day after«, »der Tag danach«, heißt ihr Projekt, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Der Tagungsort war kein Zufall, denn hier hat die »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) ihre Zentrale, die das – nun nicht mehr – geheime Projekt unter Einbeziehung des »United States Institute of Peace« (USIP) organisiert und finanziert hat; Gelder, Visa und Logistik kamen nach Angaben der Zeit vom deutschen Außenministerium und vom US State Departement. Eine offene Beteiligung der deutschen Regierung gab es nicht, »damit die Teilnehmer nicht als Marionetten des Westens denunziert werden können«, so das Blatt. Ganz so einfach ist das alles natürlich nicht, denn die SWP, der größte »Think-tank« Europas, wird maßgeblich vom Bundeskanzleramt finanziert. Diese »Nicht-Regierungs-Organisation« ist also keine, auch wenn sie sich gerne so geriert.
Der SWP gelang es, hochkarätige Vertreter beinahe aller Widerstandsströmungen Syriens zu versammeln – vom desertieren General über den Muslimbruder, vom amerikanischen Professor mit syrischen Wurzeln bis zum Manager, der die syrische Wirtschaft »erneuern« will. Wenn es nach deutschem Willen geht, werden sie im Syrien nach Assad einmal das Ruder übernehmen. Nein, das SWP wolle keine Regierung auswählen, beteuerte Volker Perthes, Direktor des Think-tanks. Die beteiligten Oppositionellen hätten »sich selbst rekrutiert« – und wohl auch alleine ihren Weg zum Berliner Ludwigskirchplatz gefunden, wo ihnen die Stiftung gnädige Aufnahme gewährte. Ziel des Projekts sei es, »der Opposition die Chance zu geben, unbeobachtet und ohne Druck eine Diskurscommunity zu schaffen«. Der verquast-postmoderne Soziologenslang gibt dem Unterfangen einen harmlosen Anstrich – eine Art großes Guggenheim-Lab für Weltverbesserung. Ähnlich schwammig und nichtssagend wie die Ergebnisse des »urbanen Planungsbüros« sind die Forderungen der Exil-Syrer: Eine »Vision« für die Zeit nach Assad wollen sie vermitteln; die »Gleichheit aller Bürger«, »menschliche Entwicklung« und ein »klares demokratisches Bekenntnis«.
Zunächst, da sind sich die künftigen syrischen Minister und Präsidenten in Wartestellung einig, müsse der Assad-Regierung das Gewaltmonopol entrissen werden. Die »Freie Syrische Armee« brauche »ein bißchen mehr als nur Worte«, meint Dr. Amr al-Azm, assoziierter Professor der Geschichte aus Ohio, der sich im »day after«-Projekt mit »wirtschaftlicher Rekonstruktion« befaßt hat. Deutlicher muß er hier gar nicht werden, allen ist klar: Der Mann verlangt deutsche Waffen. Auch die Bundeswehr-Spionageschiffe, die vor der syrischen Küste kreuzen und ihre Erkenntnisse mit anderen westlichen Diensten teilen, seien kein Problem: »Wir begrüßen fachliche Unterstützung«. Die versammelte Presselandschaft nickt und schreibt mit. Ein wenig Sorgen bereiten den Journalisten nur die Islamisten. Ob die Muslimbrüder denn die Scharia wieder einführen wollten, wenn sie mit ans Ruder kämen, möchte ein Pressevertreter wissen. »Da müssen Sie sie schon selber fragen«, kommt es vom Podium. Kein Problem: »Da vorne sitzt Mulham al-Drobi.« Er ist Mitglied des Exekutivkommitees der syrischen Muslimbruderschaft. Im übrigen, so schlimm sei die Scharia doch gar nicht, sie würde manchmal »zu sehr vereinfacht, als archaisch strafend« dargestellt, meint Afra Jalabi, in Kanada lebende Schriftstellerin. Die junge Frau mit den blondierten Haaren lächelt freundlich: »Sie ist Teil unseres Erbes, welches Gerechtigkeit herstellt«.
Die französische Forderung nach einer Exilregierung, die man postwendend anerkennen würde, teilen die deutschen Syrer hier nicht. Offenkundig gelingt es Deutschland und Frankreich nicht, eine einheitliche Syrien-Strategie zu finden. Frankreich setzt auf seine alten Feudalkontakte, Deutschland zieht die Trumpfkarte der versammelten Opposition, inklusive der Muslimbrüder – auch diese Verbindung hat Tradition. Deutschland spielt wieder mit, auf der großen Bühne der Weltpolitik. Und solche Stücke endeten bislang noch immer in einer Katastrophe.
** Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. August 2012
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