Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Friedensaussichten für Syrien

Bannstrahl der USA gegen Assad erschwert notwendigen Dialog

Von Roland Etzel *

An drei verschiedenen Schauplätzen ging am Mittwoch das erbitterte Ringen um die (Vor-)Herrschaft in Syrien weiter - im Lande selbst; in Moskau, wo sich Assads Gegner derzeit die Klinke in die Hand geben; und im New Yorker UNO-Sicherheitsrat.

14 Kriegsopfer soll es gestern bis Mittag in Syrien gegeben haben, meldete dpa und berief sich dabei auf eine von Kairo aus agierende Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter: Es starben reguläre Soldaten, Deserteure - und ein kleines Mädchen, welches nahe Aleppo bei einem Granateneinschlag getötet wurde. Am Dienstag soll es 90 Tote gegeben haben. Ein Ende der Auseinandersetzungen ist trotzdem weniger denn je in Sicht.

Vor allem die derzeit in Moskau laufenden Gespräche zwischen Wortführern der syrischen Oppositionsgruppen und russischen Regierungsvertretern geben wenig Anlass zu Optimismus. Zwar darf es zunächst als Fortschritt an der diplomatischen Front gewertet werden, dass die angereisten Syrer bereit waren, einen - wenn auch äußerst indirekten - Dialog mit der Gegenseite zu führen; sehen sie in Moskau doch nichts anderes als den Schutzpatron des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Doch mit Letzterem, das wurde mehr als deutlich, wollen sie auch jetzt keinesfalls reden, sondern im Gegenteil den Krieg gegen seine Herrschaft ausweiten, wo immer ihnen das möglich ist.

Manche Zwischentöne der Moskauer Pressekonferenz vom Dienstag erweckten den Eindruck, dass die Assad-Gegner die Bereitschaft andeuten wollten, auch nach der von ihnen angestrebten Machtübernahme eine wie auch immer geartete Rolle Russlands im Lande zu akzeptieren, sprich: die weitere Nutzung des Hafens Tartus für die russische Mittelmeerflotte. Doch ohnedies wird Russlands Führung längst darüber nachgedacht haben - und zu der Ansicht gelangt sein, dass alle Andeutungen in dieser Richtung wenig gelten und die Karten, sollte das Regime Assad stürzen, sowieso neu gemischt werden.

Das von Russland vorgebrachte Anliegen, Verhandlungen zwischen Assads Vertretern und der Opposition den Weg zu bereiten, ist in Moskau jedenfalls keinen Millimeter vorwärts gekommen.

Die USA haben die Moskauer Gespräche offiziell beschwiegen, letztlich aber torpediert, indem sie praktisch jeden, der mit Assad zu sprechen wage, zur Unperson für Washington erklärten. Assad, so sagte US-Präsidentensprecher Jay Carney am Dienstag laut dpa, »wird in die Geschichte als ein brutaler Tyrann eingehen, der sein eigenes Volk ermordet«. Alle Politiker und Militärs in Damaskus seien aufgefordert, »mit Assad zu brechen«.

Dieses Diktum dürfte denn auch die für gestern angesetzte Sitzung des UNO-Sicherheitsrates dominieren, in der es formal um die Fortsetzung der UN-Beobachtermission in Syrien geht, deren Mandat am 20. Juli ausläuft. Die USA werden aber weiter auf eine Verurteilung einzig der syrischen Führung drängen. Bisher haben China und Russland dies zurückgewiesen. Einige Ratsmitglieder wie Aserbaidshan, Marokko und Pakistan gehen aber schon viel weiter und verlangen ein bewaffnetes Eingreifen auf Seiten der Opposition, also eine Art Neuauflage des Libyen-Abenteuers.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 12. Juli 2012


Vorstoß aus Moskau

Syrien-Konflikt: Rußland legt Resolutionsentwurf vor

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Kurz vor der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates über das Schicksal der Beobachtermission in Syrien (UNSMIS) hat Rußland am Dienstag den anderen Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vorgelegt. Während aus internen UN-Kreisen zu hören war, daß der Text auch von europäischen Ratsmitgliedern begrüßt worden sei, wurde der Vorschlag von der US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, als »unzureichend« zurückgewiesen.

Rußland schlägt vor, die am 20. Juli auslaufende UN-Mission um weitere drei Monate zu verlängern. Unbewaffnete militärische Beobachter sollten im Land bleiben, um das Geschehen vor Ort verifizieren und dokumentieren zu können. Derzeit sind 300 militärische und rund 60 politische UN-Beamte in Syrien. Letztere sollen sich wie bisher auf den Dialog zwischen Regierung, Opposition und bewaffneten Gruppen in Syrien und außerhalb konzentrieren. Der Entwurf ruft weiterhin »alle syrischen Parteien« dazu auf, die Sicherheit der Beobachter zu garantieren und ihnen ungehinderten Zugang zu Orten des Geschehens zu gewähren. Das gelte vor allem für die syrischen Behörden. Die Resolution fordert außerdem alle Seiten dazu auf, jegliche Gewalt sofort einzustellen und betont, daß es »Sache des syrischen Volkes ist, eine politische Lösung zu finden«. Gleichzeitig werden alle Parteien aufgefordert, »effektive Vermittler« für die Zusammenarbeit mit Kofi An­nan zu benennen, die »sich gegenseitig akzeptieren«. Der russische UN-Botschafter Alexander Pankin sagte, der russische Resolutionsentwurf verweise ganz bewußt nicht auf Kapitel 7 der UN-Charta, weil der Syrien-Sondergesandte Kofi Annan gute Arbeit leiste. Der Resolutionsentwurf habe daher in erster Linie das Ziel, seine Mission zu verlängern.

Die USA und Großbritannien fordern derweil eine verschärfte Resolution nach Kapitel 7, wonach auch militärische Maßnahmen gegen die syrische Führung erlaubt wären. Außerdem wollen sie einen Sicherheitsratsbeschluß über eine Verschärfung von Sanktionen. Bisher haben lediglich die USA, einige arabische Staaten und die EU Sanktionen gegen Syrien verhängt, während Rußland, China, Iran, Indien, lateinamerikanische und afrikanische Staaten solche weiterhin ablehnen. Die USA üben massiven Druck auf diese Staaten aus, die Strafmaßnahmen zu übernehmen und drohen diesen ebenfalls mit Sanktionen. Erst bei einer Entscheidung durch den UN-Sicherheitsrat sind alle Mitgliedsstaaten gezwungen, sich an verhängte Sanktionen zu halten.

In Syrien sorgen diese bereits jetzt für zahlreiche Probleme im Alltag der Bevölkerung. Durch das von der EU verhängte Embargo kann Syrien die rund 150000 Barrel Öl pro Tag nicht mehr verkaufen oder verarbeiten lassen. Die Union war mit 90 Prozent der Hauptabnehmer des Rohstoffs. Der syrische Ölminister, Sufian Al-Allaw, bezifferte im Mai den Verlust im Ölsektor durch die Sanktionen mit vier Milliarden US-Dollar. Im Winter hatte die Bevölkerung mit einem Mangel an Heizöl zu kämpfen. Seit einigen Wochen gibt es kaum noch Gas zu kaufen, die meisten syrischen Haushalte brauchen dieses aber zum Kochen. Bisher erhielt Syrien Gas aus Rumänien und Katar, letzteres liefere statt dessen nun Waffen und Kämpfer, erklärte ein Beobachter gegenüber jW. Andere Bezugsmöglichkeiten gibt es auch nicht, da die meisten Firmen aufgrund der EU-Sanktionen den Handel mit Syrien einstellen mußten. Sanktionen führen immer zu einem Schwarzmarkt, erklärte der syrische Ökonom Nabil Sukkar gegenüber jW. Private Abnehmer müssten heute mehr als 2000 syrische Pfund (SYP, ca. 25 Euro) für eine Gasflasche bezahlen, der staatlich festgelegte Preis liegt bei 450 SYP (ca. sechs Euro).

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Juli 2012


Zweifel an türkischer Darstellung

Aufklärungsflugzeug nicht von Rakete getroffen

In der Türkei wachsen die Zweifel an der Darstellung der Regierung, Syrien habe Ende Juni eine türkische Militärmaschine im internationalen Luftraum abgeschossen. Die Zeitung »Radikal« berichtete am Dienstag unter Berufung auf Militär- und Geheimdienstquellen, Untersuchungen der geborgenen Wrackteile hätten keine Hinweise auf einen Angriff mit einer Rakete ergeben. Damit wachse die Wahrscheinlichkeit, dass die Maschine von Luftabwehrgeschützen getroffen wurde, deren Reichweite nicht über die Luftraumgrenze von zwölf Seemeilen hinausgeht. Syrien hatte betont, der Aufklärer sei in seinen Luftraum eingedrungen.

Bei dem Abschuss am 22. Juni waren beide Piloten der Aufklärungsmaschine Phantom F-4 ums Leben gekommen. Die Türkei warf Syrien vor, die Maschine unter Beschuss genommen zu haben, obwohl sie nach kurzzeitiger Verletzung des syrischen Luftraums über internationalen Gewässern unterwegs gewesen sei. Syrien erklärte dagegen, die Phantom F-4 habe sich seiner Küste genähert und sei deshalb beschossen worden.

Der Zeitung zufolge will sich Ankara künftig auf den Vorwurf konzentrieren, dass die Syrer ohne Warnung an die Piloten das Feuer eröffneten. nd, 11.07.2012)




Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage