Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Unter Verdacht - Worauf zielt das syrische Nuklearprogramm?

Internationale Inspektoren reisen zu Atomkontrollen nach Syrien

Von Wolfgang Kötter *

In Wien tagte in dieser Woche (7.-11.3.) der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA. Auf der Agenda standen neben dem iranischen Atomprogramm auch die nuklearen Aktivitäten Syriens - und hier gibt es nach langer Stagnation endlich Bewegung. Ab 1. April dürfen Inspektionschef Herman Nackaerts und seine Kontrolleure erstmals seit langem wieder ins Land einreisen. Sie werden eine als Chemiefabrik deklarierte Einrichtung nahe der im Westen des Landes gelegenen Millionenstadt Homs untersuchen. Bei deren Produktion fällt auch ein Uran-Konzentrat, das sogenannte Yellow Cake, an.

Von besonderem Interesse dürften für die Inspektoren aber drei vermeintliche Nuklearanlagen in den Orten Marj as-Sultan, Masyaf und Iskandariyah sein. Bereits seit längerem kursieren Gerüchte, Damaskus versuche heimlich, sich die Fähigkeit zur Herstellung nuklearer Sprengsätze zu verschaffen. So berichten die „Süddeutsche Zeitung“ und das Washingtoner „Institute for Science and International Security“ ISIS über verdächtige Satellitenbilder. Die Aufnahmen aus den neuen Gebäuden zeigen dem Bericht zufolge chemische Apparaturen wie man sie nach Meinung von Experten in einer Urankonversionsanlage verwendet. Dabei wird Yellow Cake in gasförmiges Uranhexafluorid umgewandelt, das dann zu Brennelementen, aber auch zu Ausgangsmaterial für die Kernwaffenproduktion weiterverarbeitet werden kann.

Unter Ruinen verborgen

Am 6. September 2007 hatten sieben israelische F-15-Jagdbomber eine Anlage in el-Kibar am Oberlauf des Euphrats bombardiert. Israel begründete die Aktion mit der Behauptung, der mit iranischem Geld finanzierte und mit nordkoreanischer Technologie erbaute Gas-Grafit-Reaktor sollte Plutonium zum Bau von Atomwaffen produzieren. Eine Kommando-Einheit, die Mitte August in zwei Hubschraubern zum Reaktorgelände el-Kibar geflogen sei, hätte Bodenproben entnommen und die Anlage fotografiert. Der Verdacht sei durch die Auswertung bestätigt worden. Die IAEA schickte dann im Juni 2008 Kontrolleure nach Syrien, um den zerstörten Bau zu inspizieren. Die Trümmer der bombardierten Anlage waren allerdings bereits weggeschafft, verbuddelt und einbetoniert worden. Auf dem Fundament stand inzwischen eine neu errichtete Halle. Dennoch wurden Uranspuren nicht-natürlicher Herkunft gefunden, woher sie stammten, konnte nicht festgestellt werden. Olli Heinonen, der damalige Chef des IAEA-Inspektorenteams, erklärte dazu: „Wir fanden die Partikel dort und es gab keine gute Erklärung dafür. Die Syrer sagen, sie stammen von israelischen Bomben.“ Die Kontrolleure halten die Wahrscheinlichkeit aber für „gering", dass das Uran durch israelische Waffen auf das Gelände gelangt sei. Die chemische Beschaffenheit stimme nicht mit dem überein, was bei uranhaltiger Munition zu erwarten sei. Laut IAEA hat Syrien niemals deklariert, solches Uran zu besitzen, wie es in den Proben gefunden wurde. Viele Fragen der Inspektoren bleiben bis heute unbeantwortet. Der für das syrische Nuklearprogramm verantwortliche General Mohammed Suleiman, der sie möglicherweise hätte beantworten können, wurde bei einem mysteriösen Attentat in der syrischen Mittelmeerstadt Tartus von einem Scharfschützen ermordet.

Mehrfach forderte der Chef der Wiener Atombehörde, Yukiya Amano, seitdem vergeblich die Genehmigung für weitere Kontrollen, um beispielsweise im Fundament Bohrproben zu nehmen. Nun scheint Syriens Präsident Bashar al Assad dem Verlangen zumindest teilweise nachzukommen. Eindrücke vor Ort wären auch deshalb interessant, weil es nach IAEA-Meinung eine "funktionelle Verbindung" zwischen el-Kibar und Marj as-Sultan gibt. Angeblich wurden dieselben Personen an beiden Orten gesichtet und Transporte zwischen den Anlagen beobachtet.

... Kontrolle ist besser!

Syrien gehört zu den Erstunterzeichnern des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages aus dem Jahre 1968. Darin verzichtet das Land auf Atomwaffen, verpflichtet sich zur ausschließlich friedlichen Kernenergienutzung und öffnet seine Nuklearanlagen und -aktivitäten für Kontrollen durch die IAEA. Dem Zusatzprotokoll, das erweiterte Inspektionsmöglichkeiten und auch unangemeldete Verdachtskontrollen vorsieht, ist Damaskus bisher allerdings ferngeblieben. 1988 startete die syrische Atomenergiekommission ein Programm für den Bau von sechs Kernkraftreaktoren mit einer Gesamtleistung von 6.000 Megawatt, deren Inbetriebnahme für Ende der 90er Jahre vorgesehen war. Da aber die erhoffte ausländische Hilfe ausblieb, wurde dieses anspruchsvolle Programm später aus finanziellen und technischen Gründen aufgegeben. Syrien hatte Anfang der neunziger Jahre von China zumindest einen kleinen Forschungsreaktor erworben, doch der Versuch, einen leistungsfähigeren Meiler zu beschaffen, scheiterte zunächst. Zu Beginn dieses Jahrhunderts startete dann das Reaktorprojekt mit Teheran und Pjöngjang. Bereits 2002 trafen die ersten Lieferungen aus Nordkorea ein – spezielles Baumaterial, aber auch entsprechende Wissenschaftler und Techniker. Diese Aktivitäten wurden zwar international registriert, erregten aber zunächst keinen Argwohn. Misstrauen rief jedoch ein Vorfall im Herbst 2006 hervor. Damals wurde ein unter panamaischer Flagge fahrendes Schiff, das in Nordkorea beladen worden war, auf seiner Route nach Syrien durch zypriotische Behörden gestoppt und durchsucht. Die Frachtpapiere lauteten auf „meteorologisches Gerät“, tatsächlich hatte der Frachter aber unter anderem mobile militärische Radarsysteme an Bord. Das ist an sich nicht verboten, warum aber die Heimlichtuerei? Sollte sie etwa umfassendere militärische Aufrüstungsbestrebungen verbergen?

Antworten sind nicht ohne Berücksichtigung der Konstellation im Nahostkonflikt zu finden. Mit Hinweis auf den Atomwaffenbesitz Israels ist Syrien – wie auch Ägypten - nicht der Chemiewaffenkonvention beigetreten. Expertenschätzungen zufolge enthält das syrische Chemiewaffenarsenal 500 bis 1.000 Tonnen und umfasst, Senfgas, die Nervengase Sarin und Tabun sowie geringe Mengen des VX-Kampfstoffs. Als potentielle Trägermittel stehen etwa 250 moderne nordkoreanische Scud-Mittelstreckenraketen bereit. Der Iran seinerseits half dabei, das syrische Potenzial von rund 100 alten sowjetischen SS-21-Raketen zu modernisieren. Schließlich verfügt Syrien auch über verschiedene Flugzeugtypen, deren Reichweite groß genug ist, um ohne aufzutanken Ziele in ganz Israel zu erreichen. Sie könnten sogar größere Lasten mit höherer Genauigkeit und über weitere Distanzen abwerfen als die Raketen.

Zumindest in der Nuklearfrage wird nach den IAEA-Kontrollen hoffentlich mehr Klarheit herrschen, umso mehr, wenn es gelingt, sie auch auf weitere Anlagen auszuweiten. Einen ersten Bericht der Inspekteure werden die 35 Mitglieder des Gouverneursrates auf ihrer nächsten Sitzung im Mai erwarten können. Grundsätzlich aber wird die Situation nur durch eine umfassende Lösung wie die Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone in Nahost zu entschärfen sein.

Die Herstellung eines nuklearen Sprengsatzes kann auf zwei Wegen erfolgen:

  1. Aus dem Isotop Uran (U 235), das im Naturanerz aber nur zu 0,7% enthalten ist. In einem ersten Schritt muss das Uran in ein pulveriges Gemisch, den "Yellow Cake", und dann in das gasförmige Uranhexafluorid umgewandelt werden. Zum Bombenbau muss es schließlich mittels Gaszentrifugen auf etwa 90% angereichert werden. Je nach Technologie werden für einen Atomwaffensprengsatz 12 - 25 kg hochangereichertes Uran benötigt.
  2. Aus Plutonium 239, das aber in der Natur so gut wie nicht vorkommt. Es entsteht, wenn U 238 ein weiteres Neutron einfängt und damit zu Pu 239 wird. Dieses lässt sich spalten. 5 - 8 kg Plutonium reichen für einen Atomsprengsatz aus, sie können beispielsweise bei der Stromerzeugung in einem Kernreaktor ("Schneller Brüter") oder durch die Wiederaufbereitung ausgebrannter Brennstäbe gewonnen werden.

IAEA-Zusatzprotokoll

Das 1997 beschlossene Zusatzprotokoll zum IAEA-Sicherungsabkommen, dem bisher 106 Staaten angehören, sieht erweiterte Kontrollmöglichkeiten vor und schließt auch Sonderinspektionen und kurzfristige unangemeldete Verdachtskontrollen ein. Kontrolliert werden dürfen alle Elemente des Nuklearkreislaufs, aber außer Kernanlagen auch Einrichtungen, in denen sich kein Spaltmaterial befindet. Die Inspektoren können ebenfalls Fernaufklärung nutzen und Satellitenaufnahmen auswerten sowie Umwelt- und Bodenproben entnehmen. In Vor-Ort-Laboratorien ist es möglich, den radioaktiven Gehalt zu messen und zu überwachen. Mit Hilfe von Partikelanalysen bei Pflanzen, Boden oder der Luft, aber auch von Geräten, Mobiliar oder Stoffen können beispielsweise nicht-deklarierte nukleare Aktivitäten nachgewiesen werden. Die Staaten informieren neben den Aktivitäten zur friedlichen Nutzung der Kernenergie ebenfalls über die nukleare Forschung und Entwicklung wie auch über Exporte sensitiver Technik und Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - unter dem Titel "Worauf zielt Syriens Atomprogramm?" im "Neuen Deutschland" vom 12. März 2011


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage