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"Wir müssen das, was vor der Krise war, mit dem, was nach der Krise ist, verbinden"

Ansprache des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zur Lage der Nation. Opposition: "Die Rede hat nichts Neues gebracht". Ein Bericht von Karin Leukefeld

Zum vierten Mal hat sich der syrische Präsident Bashar al-Assad am Dienstag (10. Jan.) zur Lage der Nation geäußert. Seine letzte Rede im Juni liegt mehr als ein halbes Jahr zurück. Vor einem offenbar eingeladenen, älteren Publikum an der Universität in Damaskus sprach Assad etwa zwei Stunden lang, wobei er stellenweise vom vorliegenden Manuskript abwich und weitere Erläuterungen einfügte. Dabei äußerte er sich ausführlich zu den Unruhen im Land, die seit März 2010 anhalten. Er sprach auch über das Verhältnis Syriens zur Arabischen Liga und die Einflussnahme des Auslands. Breiten Raum nahmen die Ausführungen Assads zu politischen Reformen ein. Die Rede wurde in Funk und Fernsehen übertragen.

Assad bedauerte die Unruhen, für die Land und Leute „einen hohen Preis“ bezahlen müssten. Erneut machte er vom Ausland bezahlte „Terroristen“ verantwortlich, die versuchten Syrien zu destabilisieren. Mit Sabotage und Zerstörung würden sie Angst verbreiten, sagte Assad. In den letzten Wochen waren Pipelines, Brücken, Bahnlinien und Verkehrswege gesprengt oder von bewaffneten Aufständischen unter Feuer genommen worden. Unbestätigten Angaben des UN-Kommissariats für Menschenrechte zufolge sollen mehr als 5000 Zivilisten seit März 2010 ums Leben gekommen sein. Syrische Behörden sprechen offiziell von mehr als 2000 getöteten Soldaten und Sicherheitskräften.

Für ihn sei es „Priorität (…), die Sicherheit wiederherzustellen, die wir seit Jahrzehnten genießen konnten“. Das könne nur erreicht werden, wenn alle Syrer zusammenhielten, appellierte Assad an die Bevölkerung. Der Staat werde „mit eiserner Faust“ gegen „kriminelle Terroristen“ vorgehen. Erneut betonte Assad, dass weder er noch eine andere Entscheidungsebene den Sicherheitskräften einen Schießbefehl auf Demonstranten erteilt hätten. Für jeden gelte das Gesetz, so Assad und jeder, der dagegen verstoße, werde zur Rechenschaft gezogen. Auch für die Sicherheitskräfte gelte, dass nur „in Selbstverteidigung“ geschossen werden dürfe.

Zur Suspendierung der Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga im November vergangenen Jahres sagte Assad, man sei „überrascht gewesen, dass die Araber sich nicht an die Seite Syriens“ gestellt hätten. Arabische Staaten seien vom Ausland unter Druck geraten, wenn sie sich nicht gegen Syrien gestellt hätten. Das untergrabe deren Souveränität, so Assad. Er begrüßte die Beobachtermission der Arabischen Liga, die „die Wahrheit herausfinden“ sollten. Die Türen stünden ihnen offen, solange sie die Souveränität Syriens respektierten.

Übereilte Reformen inmitten der Krise werde es nicht geben, sagte Assad weiter. Es sei eine innere Aufgabe, Syrien politisch zu reformieren, erzwungene Reformen würden scheitern. „Wir müssen das, was vor der Krise war mit dem, was nach der Krise ist verbinden“, sagte Assad. Dann könne man mit den Reformen loslegen. In seiner elfjährigen Amtszeit hat Präsident Assad vor allem wirtschaftliche Reformen eingeleitet, um Syrien von einer Planwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft zu verändern. Weitere Reformen gab es unter anderen im Finanzsektor und im Bereich der neuen Medien.

Ein Mehrparteiensystem, wie von Oppositionellen gefordert, sei „nur eine Frage der Zeit“, so Assad, der auch die Beteiligung von „allen politischen Kräften“ an der Regierung begrüßte. Für März kündigte Assad eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung ab. Der Entwurf, der seit Oktober von einem Komitee ausgearbeitet wurde, soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Als eine der wichtigsten Veränderungen gilt, dass die hervorgehobene Rolle der regierenden Baath Partei gestrichen wird. Nach der Annahme einer neuen Verfassung per Volksentscheid sollten Neuwahlen im Mai oder Juni stattfinden, so Assad. Einen Rücktritt zum derzeitigen Zeitpunkt schloss Assad aus: „Ich werde das Amt aufgeben, wenn das Volk es will.“

Regimegegner verurteilten Assads Rede am Dienstag scharf. «Die Rede hat nichts Neues gebracht, das die Krise und ihre Folgen beenden könnte», sagte der Oppositionelle Hassan Abdul Asim. Der Präsident des Syrischen Nationalrates (SNR), Burhan Ghalioun sagte vor Medienvertretern in Istanbul, das Assad Regime habe das syrische Volk gespalten und in einen Krieg getrieben. Assa habe „illusionäre Reformen“ versprochen, an die niemand mehr glaube. Die Arabische Liga solle den Fall Syrien dem UN-Sicherheitsrat übergeben. Die syrische Revolution sei „in Zusammenarbeit zwischen dem Volk, dem Nationalrat und der ‚Freien Syrien Armee’“ nicht aufzuhalten, wird Ghalioun im Arabischen Nachrichtensender Al Arabiya zitiert.

Kurz nach dem Ende der Rede Assads meldete die kuwaitische Nachrichtenagentur KUNA, zwei Beobachter aus Kuwait seien in der nordsyrischen Küstenstadt Lattakia „von unbekannten Demonstranten“ angegriffen worden. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach von 11 verletzten Beobachtern. Die Arabische Liga forderte Damaskus auf, für den nötigen Schutz der Mission zu sorgen.


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