Zweiter Damaszener Frühling in Syrien?
Baschar al-Assad will einst versprochene Reformen nun angehen
Von Karin Leukefeld *
Syriens Präsident Baschar al-Assad wird unter dem Druck der Straße zur Reformierung seines autoritären Regierungssystems gezwungen. Der Rücktritt der kompletten Regierung und die angekündigte Aufhebung des Ausnahmezustands sind deutliche Signale.
Widerspruch hat er nicht eingelegt: Syriens Präsident Baschar al-Assad akzeptierte ohne Umschweife den Rücktritt der Regierung von Ministerpräsident Nadschi Otri am gestrigen Dienstag (29. März). Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur SANA. Allerdings soll die alte Regierung die Geschäfte bis zur Bildung einer neuen fortführen. Für Dienstagabend (nach Redaktionsschluss) wurde eine Parlamentssitzung angekündigt, bei der das vor wenigen Tagen versprochene Reformprogramm verabschiedet und einem Regierungswechsel zugestimmt werden soll.
Mit Massendemonstrationen bekräftigten derweil am Dienstag (29. März) landesweit Hunderttausende ihre Unterstützung für das angekündigte Reformprogramm. In Anlehnung an die Parole »Gott, Syrien, Freiheit – das ist genug«, die zum ersten Mal vor zehn Tagen von Demonstranten in Daraa gerufen worden war, riefen die überwiegend jungen Demonstranten am Dienstag: »Gott, Syrien, Baschar – das ist genug« und versicherten, sie würden für Präsident Baschar al-Assad »Leben und Blut« opfern. Korrespondenten berichteten, dass die Demonstranten auch Parolen für die nationale Einheit des Landes riefen und ihre Unterstützung für das umfassende Reformprogramm versprachen, das von Präsidentensprecherin Bouthaina Schaaban am vergangenen Donnerstag angekündigt worden war. Die staatliche Nachrichtenagentur SANA berichtete, Menschen aus »allen Teilen der Gesellschaft« hätten für ein geeintes Syrien und gegen die Spaltung des Landes demonstriert.
Für Dienstagabend wurde eine Rede von Präsident Baschar al-Assad erwartet, der sich persönlich bisher nicht zu den Ereignissen geäußert hatte. Vizepräsident Farouk al-Schara hatte bereits am Montag die Grundsatzrede des Präsidenten angekündigt, Assad werde sich an alle Syrer wenden, um ihnen seine Reformbereitschaft zu versichern, sagte er. Kernpunkt in dem angekündigten Programm ist die Aufhebung des Ausnahmezustandes, der seit 1963 in Kraft ist, und grundlegende Rechte wie das Versammlungsrecht, das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie politische Betätigung außer Kraft setzte. Die Maßnahme wurde auch unter dem jungen Assad nicht ausgesetzt, was mit dem anhaltenden Kriegszustand mit Israel begründet wurde. Angekündigt wurde auch eine Verfassungsreform, die die Gründung neuer Parteien ermöglichen soll.
Der Ausnahmezustand sollte auch die Bildung von Oppositionsbewegungen verhindern, die Hafez al-Assad früher vor allem bei der Muslimbruderschaft und einer möglichen kurdischen Nationalbewegung sah. 1982 schlug das Militär einen Aufstand der Muslimbruderschaft in Hama nieder, bei dem vermutlich Tausende ums Leben kamen. Gegen kurdische nationale Bestrebungen ging der alte Assad ebenfalls hart vor, während er kurdischen nationalen Führern aus Irak und der Türkei jahrelang großzügig Exil gewährte. Willkürliche Verhaftungen sollten potenzielle Unruhestifter einschüchtern, auch palästinensische Politiker waren davon nicht verschont.
Mit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 versprach der junge Baschar al-Assad weitreichende Reformen, auch die Aufhebung des Ausnahmezustands. Linke und linksliberale Diskussionszirkel entstanden, in denen Universitätsprofessoren, Künstler, Richter und Anwälte, Journalisten und Schriftsteller über Reformen debattierten und Petitionen verfassten. Bald war die Rede vom »Damaszener Frühling«. Zu einem ihrer führenden Vertreter wurde der Kommunist Michel Kilo, der in Münster studiert hatte und als überzeugter Vertreter der »Graswurzel-Demokratie« gilt. Dem früheren dpa-Korrespondenten Carsten Wieland gegenüber bezeichnete Kilo sich selber als Humanist. Nach der USA-Invasion in Irak änderte sich das Klima in Syrien jedoch deutlich. Die Diskussionszirkel wurden verboten, der »Damaszener Frühling« niedergeschlagen, viele der damals führenden Köpfe sind noch immer in Haft.
* Aus: Neues Deutschland, 30. März 2011
Wind des Wandels
Von Karin Leukefeld **
Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen, sagt ein chinesisches Sprichwort. Ob das die Botschaft war, die ein hochrangiger Gast aus China vor wenigen Tagen der Führung in Damaskus überbrachte, ist unbekannt. Doch die Geschwindigkeit, mit der Präsident Baschar al-Assad auf die Forderungen nach Freiheit und wirtschaftlicher Teilhabe reagiert, lässt vermuten, dass ihm das Sprichwort nicht fremd ist. Selbst wenn die treibenden Kräfte hinter den Protesten das syrische Regime möglicherweise eher provozieren als zu Reformen antreiben wollten, zeigte Assad, dass er die Botschaft verstanden hat und handelte. Nicht nur aus Kalkül kündigt er Reformen an, sondern weil er weiß, wie viel in seinem Land im Argen liegt.
Der Rücktritt der Regierung kommt nach nur zehn Tagen, die angekündigten Reformen sollten ebenso schnell umgesetzt werden. Das erwarten die Syrer und das ist ihr Recht. Zwar waren die Massendemonstrationen, die den Regierungsrücktritt begleiteten, vom Staat organisiert, doch die Sympathiekundgebungen für Assad sind ehrlich. Man hört sie auch sonst, wenn man mit Leuten spricht und weder Kamera noch Mikrofon sich auf sie richtet. Gebt ihm eine Chance. Soll er die Proteste als Rückenwind nutzen, um umzusetzen, was er schon vor elf Jahren wollte.
** Aus: Neues Deutschland, 30. März 2011 (Kommentar)
"Regierung muss Versprechen halten"
Syrien erwartet von Präsident Assad substanzielle Schritte für mehr Demokratie
Von Karin Leukefeld ***
Die Protestwelle in Syrien ist nach der gewaltsamen Unterdrückung und Reformankündigungen
seitens der Regierung abgeebbt. Allein in der Stadt Daraa soll es am Montag eine Demonstration
gegeben haben. Präsident Assad wollte am Abend eine mit Spannung erwartete Rede halten. Bisher
hat der Staatschef noch nicht Stellung genommen zu den Protesten der Regimegegner.
»Die Syrer haben keinen Hunger nach Brot, wir wollen Freiheit und Würde«, ruft eine aufgebrachte
Menschenmenge in die Kamera eines Al-Dschasira-Teams, das mit Hilfe von Anwohnern nach
Daraa nahe Damaskus gebracht worden war, um die Beerdigung ihrer getöteten Söhne zu filmen.
Anfangs hätten sie gegen die Korruption und für bessere Lebensbedingungen protestiert, erklärt ein
Anwohner, doch nach allem, was passiert sei, wolle die Jugend den Sturz des Regimes. »Wer sein
Volk tötet, ist ein Verräter«, rufen die Leute. Die Regierung müsse halten, was sie versprochen
habe, sagt ein Mann der Reporterin. Auf ihre Frage, ob es sich um »eine Revolution gegen das
Regime« handele, schüttelt er den Kopf. »Nein, nein«, es ginge darum, »einige Regeln zu ändern,
ungerechte Regeln, wie den Ausnahmezustand.«
Die Regierung scheint die Botschaft verstanden zu haben. Bereits am Donnerstag teilte Bouthaina
Schaaban, Medienbeauftragte von Präsident Baschar al-Assad Journalisten mit, dass die
Forderungen der Einwohner von Daraa »die Forderungen aller Syrer« seien. Der Präsident sei
entschlossen, schnell zu handeln. Ein Komitee arbeite an einem Gesetz zur Aufhebung des
Ausnahmezustandes, und an einem Parteiengesetz, Verantwortliche für die tödlichen Schüsse auf
Demonstranten wurden entlassen, Löhne erhöht, schärfere Gesetze zur Bekämpfung von Korruption
angekündigt.
»Die Reformen wirken hektisch zusammengezimmert«, kommentierte ein deutscher Korrespondent
aus der jordanischen Hauptstadt Amman. Eine klare Linie sei nicht erkennbar. Doch alle Reformen
zielten auf bessere Lebensbedingungen der Syrer ab, ein Ziel dem Assad sich schon bei Amtsantritt
vor elf Jahren verpflichtet hatte.
Das Land ist nicht mehr das gleiche wie damals. »Moderne Kommunikationstechnologien spielen
heute eine »wichtige Rolle in unserem Leben«, sagt die 32-jährige Malerin und
Menschenrechtsaktivistin Fadia Affash gegenüber ND. »Wir sind die Informationsgeneration,
Internet und Handy, Twitter und Facebook sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken, sie
sind Teil unserer Persönlichkeit.«
Die angekündigten Gesetzesreformen liegen vermutlich schon länger in der Präsidentenschublade.
Dass es nicht schneller voranging, hat Gründe. Erstens steht die syrische Regierung unter
internationalem Druck in Form von Sanktionen. Zweitens wird Assad als »Helfer des Terrorismus«
diffamiert, weil er enge Beziehungen zu Iran pflegt, die libanesische Hisbollah und die
palästinensische Hamas unterstützt und in Sachen Rückgabe der von Israel besetzten Golan-Höhen
nicht nachgibt. Drittens gibt es vermutlich auch interne Widersprüche in Regierung und Baath-Partei,
über die allerdings nichts nach außen dringt.
Es ist gut vorstellbar, dass die Umwälzungen in der arabischen Welt von ausländischen Gegnern
ausgenutzt werden, um Syrien zu destabilisieren. Erste Ermittlungen der Behörden deuten darauf
hin, dass nicht nur per SMS und Email, sondern auch mit bewaffneten Gruppen Syrien destabilisiert
werden soll. »Das heißt nicht, dass die Forderungen der Bevölkerung falsch sind«, betonte
Schaaban. Vielleicht sind die Ereignisse eine Chance für Präsident Assad, den ›Damaszener
Frühling‹’ umzusetzen, der 2004 abrupt abgebrochen worden war. Eine Rede Assads wird für
Montagabend erwartet.
*** Aus: Neues Deutschland, 29. März 2011
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