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In der Defensive

Neue Milizen und eine motivierte Armee: In Syrien verlieren die Aufständischen Presseberichten zufolge an Boden. Der Türkei droht Destabilisierung durch Erdogans Parteinahme

Von Rainer Rupp *

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich mit seiner Syrien-Politik »verzockt«, urteilte Raniah Salloum in dieser Woche in einem Beitrag auf Spiegel online. Mit seinem Agieren gegen den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad habe er sich »in eine Sackgasse manövriert, aus der er so leicht nicht wieder herauskommt«. Durch die einseitige Unterstützung der islamistischen Kampfgruppen im Nachbarland bestehe nun die Gefahr, daß der zunehmend sektiererisch ausgetragene Kampf über die Grenze schwappt und auch die Gesellschaft in der Türkei spaltet, warnte die Redakteurin. Tatsächlich sind zum Beispiel in der türkischen Grenzprovinz Hatay Pro-Assad-Demonstrationen keine Seltenheit mehr. Das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und Herkunft wird immer öfter durch die sich in der Provinz ausbreitenden Dschihhadisten und ihrer Anhängern gestört, die auf türkischer Seite unbehelligt von den Behörden eine Etappe bzw. »Schutzzone« zur Erholung, medizinischen Versorgung und Umgruppierung gefunden haben.

Immer häufiger kommt es zu handgreiflichen Zusammenstößen zwischen den Einheimischen und den syrischen Aufständischen. Nicht nur die kemalistische, säkulare Opposition ist wegen dieser Entwicklung alarmiert. Die Kritik reicht bis in die regierende konservativ-muslimische AKP. Selbst Spiegel-Redakteurin Salloum schlußfolgert, der wachsende Einfluß der islamistischen Kämpfer in der Türkei könne zu einer wachsenden Bedrohung »für Erdogan selbst werden«.

Noch im Dezember 2012 hatte Sal­loum jubiliert: »Im Kampf gegen Diktator Assad machen Syriens Rebellen Fortschritte.« Die aktuellen Einschätzungen ausländischer Beobachter unterschiedlichster politischer Couleur deuten jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Robert Fisk berichtete Ende April im britischen Independent über seine Eindrücke nach einer Recherchereise. Der bekannte Kriegsreporter war längere Zeit mit einer Einheit der syrischen Regierungstruppen an vorderster Front unterwegs und hatte mehrere Einsätze gegen islamistische Rebellen miterlebt. Fisk berichtet von einem »früher nicht bekannten Kampfgeist« der Truppe. Die nach zwei Jahren Krieg inzwischen im Kampf erfahrenen Soldaten hätten sich auf die Taktiken der Gegner eingestellt und gingen im Unterschied zu diesen sehr diszipliniert und mit greifbaren Erfolgen vor. Die stark motivierten Soldaten führten den Kampf mit aller Härte – auch gegen sich selbst. Und sie seien fest entschlossen, gegen die islamistischen Aufständischen zu gewinnen. Dabei sei nicht jeder der Armeeangehörigen mit der Politik der Assad-Regierung einverstanden. Darüber würde ganz offen diskutiert, auch im Beisein der Offiziere. Nach Fisks Meinung wollen viele Soldaten den Krieg nicht für Assad, sondern für den Bestand ihres Landes gewinnen, in dem alle Konfessionen friedlich zusammenleben können. Und ihre Chancen stehen anscheinend gut, denn inzwischen seien sie »am gewinnen« (Independent, 26. April 2013).

Zur gleichen Schlußfolgerung wie Fisk, aber aus anderen Gründen, kommt die Korrespondentin der Washington Post, Liz Sly. Baschar Al-Assad und seine Streitkräfte seien dabei, »mit einer neuen Strategie … das Kriegsglück in Syrien zu ihren Gunsten zu wenden«, berichtete Sly am 12. Mai aus der libanesischen Hauptstadt Beirut. Das Pendel schwinge »nun zugunsten von Assad«, insbesondere weil schätzungsweise 60000 paramilitärische Kämpfer die Reihen der syrischen Sicherheitskräften aufgefüllt hätten. Diese neuen Kämpfer seien treu ergebene, muslimische Alawiten, eine Glaubensrichtung der auch Assad angehöre. Die in den sogenannten Nationalen Verteidigungskräften organisierten Milizen seien bestens ausgerüstet und hoch motiviert. Es sei ihnen gelungen, den Kampf in die Zentren der von den Rebellen gehaltenen Hochburgen zu tragen, wobei sie die taktischen Vorteile des Guerillakampfes nutzten. Der soll ihnen angeblich von der Hisbollah und dem Iran beigebracht worden sein. Zugleich fungieren sie als taktische Aufklärer und leiten über Funk die Zielkoordinaten von Rebellenansammlungen und deren Waffen- und Versorgungslagern an die syrische Luftwaffe und Artillerie. Auf diese Weise gelinge es den Milizen zunehmend, die Rebellen in den Stadtzentren, wo sie sich festsetzen konnten, zu isolieren, ihnen den Nachschub abzuschneiden und sie dann mit Unterstützung der regulären Armee aufzureiben. Dies sei der Grund, weshalb nun manche Beobachter davon ausgehen, so die Washington Post-Korrespondentin, daß die Pro-Assad-Kräfte im Bürgerkrieg die Oberhand errungen haben.

Eine sich abzeichnende Niederlage der Aufständischen könnte auch der Grund für die plötzliche Flexibilität Washingtons sein, das allem Anschein nach jüngst auf die russisch-chinesische Forderung nach einer Verhandlungslösung eingegangen ist. Möglicherweise wollen die USA dadurch Zeit schinden, um die Niederlage ihrer Zöglinge in Syrien doch noch aufzuhalten bzw. abzuschwächen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 17. Mai 2013


Jordanien in der Klemme

In Syrien kämpfende Islamisten versuchen ihren Einflußbereich auch im Nachbarland auszuweiten

Von Rainer Rupp **


Bereits vor 18 Monaten hat Jordaniens König Abdullah als erster Staatschef der arabischen Welt den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad zum Rücktritt aufgefordert. Auch hat Jordanien die Stationierung von 150 US-Soldaten in Grenznähe erlaubt und der Kampfausbildung von syrischen Aufständischen auf seinem Territorium zugestimmt. Mit ihrer unverhohlenen Unterstützung für die Rebellion jenseits der Grenze hat die jordanische Regierung geglaubt, den Tiger der nach Syrien strömenden internationalen Dschihadisten reiten zu können, ohne dabei selbst gefressen zu werden. Aber wie bei den anderen Nachbarn Syriens – Türkei, Libanon und Irak – ist der von den Islamisten zunehmend entlang religiös-sektiererischen Linien mit äußerster Grausamkeit geführte Kampf längst über die Grenzen geschwappt.

Bereits zu Beginn des Konfliktes konnten die bewaffneten Assad-Gegner dank der jordanischen Hilfe in den südsyrischen Grenzgebieten die Oberhand erringen und das Gesetz der Scharia einführen. Mittlerweile erfährt auch Jordanien in seinem an Syrien grenzenden Norden eine zunehmende Destabilisierung. Dabei hatte sich die am Finanztropf der USA und der EU hängende Regierung in Amman alles so einfach vorgestellt. Als sie vor zwei Jahren auf westlichen Druck ihre Grenzen für die syrischen Rebellen und deren Nachschub öffnete, war sie davon ausgegangen, der Spuk würde bald vorbei sein und der Westen würde – wie in Libyen vorgeführt – das unbeliebte Regime in Damaskus schnell auswechseln.

Allein, es kam anders. Erstens war die Assad-Regierung in der syrischen Bevölkerung viel zu breit und tief verankert, um einfach hinweggefegt zu werden. Zweitens hatte die internationale Gemeinschaft, angeführt von Rußland, China und den restlichen BRICS-Staaten, von Libyen gelernt und sich geweigert, dem Westen einen Persilschein des UN-Sicherheitsrats für weitere Kriegsabenteuer auszustellen. Und drittens war die US-Regierung unter Präsident Barack Obama trotz aller gegenteiliger Rhetorik an einem weiteren Bodenkrieg in einem arabischen bzw. islamischen Land nicht interessiert. Der Sieg der Rebellen in Syrien blieb aus und nun sieht es eher nach deren baldiger Niederlage aus.

Bei seinem jüngsten Besuch in Washington äußerte sich König Abdullah Ende April gegenüber Obama besorgt über »den wachsenden Einfluß terroristischer Organisationen« in den jordanischen Gebieten entlang der syrischen Grenze. Je enger es für die Dschihadisten in Syrien wird, umso mehr werden sie versuchen, in Jordanien Zuflucht zu finden, wo sie bei der einheimischen Bevölkerung gute Chancen haben, Aufnahme zu finden. Das aber würde Jordaniens Probleme weiter verschärfen. Zudem haben die Islamisten inzwischen gute Gründe, über die jordanischen Behörden verärgert zu sein. Etliche, von US-Terroristenfahndern gesuchte islamistische Kämpfer sind nämlich auf ihrem Weg nach Syrien in Jordanien festgenommen, an die USA ausgeliefert oder in Amman vor Gericht gestellt worden.

Reuters berichtete in einer Analyse am 1. Mai, daß sich selbst Washington inzwischen Sorgen um die nationale Sicherheit Jordaniens mache. Es sei bekannt, daß die Dschihadisten in Syrien »Assad nicht weniger hassen als die pro-westliche Demokratie in Jordanien«

** Aus: junge Welt, Freitag, 17. Mai 2013


Libanon droht neue Katastrophe ***

Von Anfang an schien es unmöglich, die durch viele interne gewaltsame Auseinandersetzungen polarisierte Bevölkerung des Libanon vor dem Krieg im Nachbarland Syrien abzuschirmen. Allein wegen der vielen verwandtschaftlichen Bande über die weithin offene Grenze wäre das nicht machbar gewesen. So war es ganz natürlich, daß sunnitische Flüchtlinge von ihren Glaubensbrüdern entlang der Grenze aufgenommen wurden. Von dort wurden wiederum schon bald die Aufständischen in Syrien mit Waffen beliefert und von islamistischen Kämpfern unterstützt. Dokumentiert ist z.B., daß im November 2012 zwölf sunnitisch-libanesische Kämpfer in Syrien beim Kampf um Homs auf seiten der Aufständischen gefallen sind.

Glaubwürdigen Berichten zufolge hat inzwischen auch die schiitische Hisbollah in Syrien eingegriffen. Insbesondere schützen ihre Kämpfer dort die mehrheitlich alawitisch-schiitischen Dörfer entlang der Grenze zum Libanon gegen Angriffe der Aufständischen. Aber auch an anderen Stellen scheint die Hisbollah zunehmend in die Kämpfe auf seiten der Assad-Regierung einzugreifen, was Berichte über die Rückführung von täglich vier bis fünf Getöteten nach Libanon nahelegen.

Derweil haben in Libanon sunnitische Extremisten zur erbarmungslosen Treibjagd auf die religiöse Minderheit der Alawiten geblasen, der auch der syrische Präsident Baschar Al-Assad angehört. So wurden Schulbusse mit alawitischen Kindern mit Steinen angegriffen, alawitische Läden verwüstet und eine Reihe von Erwachsenen mißhandelt oder mit Messern teils lebensgefährlich verletzt. Trophäenvideos zeigen u.a. einen besonders entwürdigenden Fall, in dem ein fanatisierter Lychmob unter Lachen und Applaus einen nackten und blutig geschlagenen, älteren alawitischen Mann an einem Strick um den Hals durch die Straßen von Tripolis schleift, ohne daß die Polizei eingreift oder die Zuschauermenge sich abwendet. Der Bürgerkrieg in Syrien destabilisiert zusehends den Libanon, was vom Westen vielleicht auch so gewollt ist. Am 11. Mai überschrieb die Agentur Bloomberg eine ihrer Wirtschaftsnachrichten mit »Libanons Öl locken Shell, Petrobras und ExxonMobil an«.

(rwr)

*** Aus: junge Welt, Freitag, 17. Mai 2013


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