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Tödlicher Anschlag in Damaskus

Mindestens 53 Tote und Hunderte Verletzte bei Explosion durch Sprengstoffattentat

Von Karin Leukefeld *

Bei der Explosion eines mit Sprengstoff gefüllten Fahrzeugs sind am Donnerstag morgen in Damaskus mindestens 53 Menschen getötet worden. Das berichtet die syrische Nachrichtenagentur SANA, 235 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Bis Redaktionsschluß hatte noch niemand die Verantwortung für das Blutbad übernommen. Syrische Medien sprechen von einer Tat von »Terroristen«.

Der Anschlag ereignete sich im Stadtviertel Masraa unweit des Tischrin-Platzes. Es handelt sich um einen dichtbefahrenen Verkehrsknotenpunkt, wo viele Nebenstraßen auf die große Nordsüdverbindung der Al-Thawra-Straße (Straße der Revolution) einbiegen und sich eine Haltestelle der Minibusse befinden, dem meistbenutzten Transportmittel der Syrer. In den umliegenden Wohnvierteln befinden sich viele offizielle Gebäude, darunter die Botschaft Rußlands, Schulen, das Al-Hayat-Krankenhaus, ein Büro der Baath-Partei, eine Polizeistation, Firmenniederlassungen und die Vertretung der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas (DFLP). Deren Vorsitzender Najaf Hawatmeh wurde nach Angaben der Organisation leicht verletzt, das Büro der DFLP wurde teilweise beschädigt. In der russischen Botschaft gingen nach Angaben von Mitarbeitern viele Fensterscheiben zu Bruch, verletzt wurde dort niemand. Auch eine Moschee wurde beschädigt.

Die Explosion hatte die Sprengkraft von mehr als einer Tonne Sprengstoff und war so gewaltig, daß zahlreiche Fahrzeuge in Brand gerieten. Bilder vom Ort des Geschehens zeigen Tote, menschliche Überreste, Kinder- und Schultaschen, Menschen, die verstört am Straßenrand unter Bäumen sitzen, deren Blattwerk verbrannt ist.

Der Präsident der oppositionellen Nationalen Koalition, Mouaz Al-Khatib, erklärte derweil in Kairo, man sei zu Verhandlungen mit der Regierung über ein Ende des Krieges in Syrien bereit, sofern die USA und Rußland die Schirmherrschaft solcher Verhandlungen übernähmen.

* Aus: junge welt, Freitag, 22. Februar 2013


Die Terrorpaten

Von Werner Pirker **

Die Freunde des Westens in Syrien haben wieder ein Massaker verübt. Denn Regierungstruppen oder regierungsnahe Milizen werden es ja wohl kaum gewesen sein, die in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier der Baath-Partei und der russischen Botschaft eine Autobombe zündeten, die auch zahlreiche Kinder einer nahegelegenen Schule in den Tod riß. Das geschah zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Sondergesandte der UNO und der Arabischen Liga, Lahkdar Brahimi, mit einer Verlängerung seiner Friedensmission einverstanden erklärte. Ein Grund mehr für die zu einer Friedenslösung bereite Regierung in Damaskus, auf Deeskalation zu setzen. Und ein Grund mehr für die bewaffnete Opposition, die zu keiner anderen Lösung als einer militärischen bereit ist, die Situation weiter anzuheizen.

Da er nur schwer der Regierungsseite anzulasten ist, werden die falschen Freunde Syriens im Westen diesen ruchlosen Anschlag äußerst zurückhaltend kommentieren. Empörung ist nur angesagt, wenn sich der Verdacht auf den »sein eigenes Volk schlachtenden syrischen Diktator« lenken läßt. Obwohl Baschar Al-Assad wenig Neigung verspüren dürfte, der zu seinem Sturz entschlossenen Meute aus westlichen Warlords und Ölscheichs Argumentationshilfe für ein offenes Eingreifen zu leisten.

Daß es sich bei den Anti-Assad-Kämpfern um keine Freiheitshelden, sondern in der Regel um mordlustige Söldner handelt, wird erst gar nicht mehr groß zu bestreiten versucht. Auch hegt man die durchaus berechtigte Befürchtung, daß die von der Wertegemeinschaft gerufenen terroristischen Geister sich nach vollzogenem Regimewechsel nicht in Luft auflösen, sondern ihren Anteil am Sieg über das laizistische Baath-Regime einfordern werden. Doch aus dieser Nummer kann das westliche Machtkartell nicht mehr so ohne weiteres herauskommen – und will das auch nicht. Zu verlockend ist die Perspektive, den »arabischen Frühling«, der die westliche Vorherrschaft in der Region ernsthaft herauszufordern schien, zum eigenen Vorteil wenden zu können.

Von Beginn an hat die Allianz aus NATO-Staaten und Golf-Kooperationsrat auf eine Militarisierung des syrischen Konflikts gesetzt. Und von Beginn an hat sie ein Ende der Gewalt gefordert und die Drohung hinterhergeschickt, dem gewalttätigen Treiben nicht endlos zusehen zu wollen. Bis dahin soll das Eskala­tionsniveau möglichst hoch gehalten werden. Das dürfte auch der Zweck des jüngsten Anschlages gewesen sein.

Es ist die syrische Bevölkerung, die in den Abgründen westlicher Moral zum Schlachtopfer geworden ist. Der »Krieg gegen den Terror« hat sich auf allen seinen Schauplätzen als terroristischer Krieg gegen die Zivilbevölkerung herausgestellt. In Syrien wird er erstmals gemeinsam mit Terrorbanden ausgefochten, die vom Antlitz der Erde hinwegzufegen man verkündet hatte und in Mali nach wie vor verkündet. Ein stringenter Kriegsplan läßt sich freilich nicht erkennen. Und ein Exit-Plan schon gar nicht.

** Aus: junge welt, Freitag, 22. Februar 2013 (Kommentar)


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