Kein Stopp der Gewalt in Syrien
Regierung: Opposition muss ebenfalls einlenken *
In Syrien geht die Gewalt weiter, obwohl
die Führung in Damaskus
den Friedensplan des UNO-Sondergesandten
Kofi Annan akzeptiert
hat. In der seit Monaten umkämpften
Ortschaft Al-Rastan
starben am Mittwoch nach Angaben
von Regimegegnern drei Soldaten
bei einem Gefecht zwischen
der Armee und Deserteuren. In
den Provinzen Homs, Daraa und
Idlib seien insgesamt elf Menschen
getötet worden.
Mitglieder der »Freien Syrischen
Armee« töteten diesen Angaben
zufolge auch einen General
der Luftwaffe aus dem Hinterhalt.
Sie lauerten dem Offizier Chalif al-
Abdullah vor dessen Haus in der
Provinz Aleppo auf. Die staatliche
Nachrichtenagentur Sana berichtete,
vier »Terroristen« seien an
dem Attentat auf den hohen Militär
beteiligt gewesen.
Die Vereinten Nationen hatten
am Dienstag bestätigt, dass die syrische
Regierung den von Kofi Annan
vorgelegten Sechs-Punkte-
Plan für Frieden in Syrien akzeptiert
habe. Er sieht unter anderem
die Freilassung aller politischen
Gefangenen und eine von der UNO
überwachte Waffenruhe vor. Annan
ist der gemeinsame Sondergesandte
der Vereinten Nationen
und der Arabischen Liga.
Die staatlichen syrischen Medien
betonten, bislang habe nur
die Regierung den Annan-Plan angenommen,
die Opposition aber
nicht. Die Oppositionsgruppen,
deren wichtigste Vertreter sich in
Istanbul versammelt hatten, erklärten
am späten Dienstagabend:
»Wenn es das Regime ernst meint,
dann müssten morgen schon die
Panzer aus den Straßen verschwinden
und die politischen Gefangenen
freigelassen werden,
doch dies wird nicht geschehen.«
Türkei-Premier Recep Tayyip
Erdogan hält die Zustimmung des
syrischen Regimes zum Friedensplan
für ein taktisches Manöver.
* Aus: neues deutschland, 29. März 2012
Einbahnstraße
Damaskus nimmt Annan-Plan an
Von Werner Pirker **
Selbst wenn der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan nur Gutes im Sinn gehabt haben sollte, was ohnedies zu bezweifeln ist, bildet sein Sechs-Punkte-Plan keine wirklich geeignete Voraussetzung für eine friedliche Lösung des Konflikts in und um Syrien. Nachdem sich der UN-Sondergesandte die Zustimmung aus Moskau und Peking eingeholt hatte, sah sich die syrische Regierung dazu genötigt, den Plan zu akzeptieren. Hätte sie ihn abgelehnt, wäre sie der Fortsetzung des »Genozids am eigenen Volk« bezichtigt worden. Nun, da sie ihn angenommen hat, wird jede weitere Eskalation gegen sie ausgelegt werden.
Die Möglichkeit seiner einseitigen Auslegung ist im Annan-Papier bereits angelegt. Zwar richtet sich die Forderung nach einem Ende der Gewalt an beide Seiten, konkret aber sieht sich nur die Regierungsseite in die Pflicht genommen. Sie soll ihre Streitkräfte aus den bevölkerten Gebieten zurückziehen – analoge Forderungen an die bewaffnete Opposition werden nicht gestellt. In seinem Grundgehalt stellt der Annan-Plan eine ziemlich unverhüllte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens dar. So wird der Regierung in Damaskus gleich in Punkt eins die Verpflichtung abverlangt, mit dem UN-Beauftragten bei der Erfüllung der »legitimen Anliegen des syrischen Volkes« zusammenzuarbeiten.
Die Opposition legte den Plan dann auch umgehend als Einbahnstraße zu ihrer Machtergreifung aus. Das Regime habe auf die Bekämpfung des bewaffneten Aufstandes zu verzichten, damit dieser siegreich zu Ende geführt werden könne. Doch werde sich Assad nicht an die Abmachung, jedenfalls nicht zu der von ihnen gewünschten Interpretation, halten, befürchten Aufständische, Westmächte und arabische Feudalstaaten unisono, womit die Schuldfrage für die Fortsetzung der Gewalt gleich einmal geklärt wäre. Der einseitigen Auslegung des Annan-Papieres im Sinne eines »umgehenden Rückzuges des syrischen Militärs in die Kasernen« bei gleichzeitigem Vormarsch der Oppositionskräfte in die von den Regierungstruppen geräumten Stellungen bediente sich auch Linken-Sprecher Stefan Liebich im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages. Läßt sich die syrische Armee nicht auf ihre Selbstaufgabe verpflichten, ist die nächste Liebich-Erklärung fällig, die dann wohl eine nach »Einzelfallprüfung« erfolgte Kriegserklärung wäre.
Der Annan-Plan enthält keinerlei Vorschläge für einen nationalen Dialog, was darauf schließen läßt, daß sein Hauptzweck in der Einleitung eines Prozesses besteht, an dessen Ende der Sturz des Baath-Regimes stehen soll. Die Bereitschaft des Regierungslagers zu einer Verfassungsreform in Richtung eines demokratischen Mehrparteiensystems ist von der internationalen Interventionsgemeinschaft und ihren syrischen Schutzbefohlenen auf gewaltsame Ablehnung gestoßen. Was ansteht, ist ein Regimewechsel zu den vom Westen vorgegebenen Geschäftsbedingungen.
** Aus: junge Welt, 29. März 2012 (Kommentar)
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