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Annan verlässt das Kriegstheater

Nach dem Rücktritt des UN-Sondergesandten sinkt Hoffnung auf politische Lösung in Syrien

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der Rücktritt des UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Kofi Annan, ist in Damaskus mit gemischten Reaktionen aufgenommen worden. China und Russland gaben dem Westen die Schuld am Scheitern des Diplomaten. annan

Das syrische Außenministerium bedauerte die Entscheidung des ehemaligen UNO-Generalsekretärs. Damaskus habe seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Annan und der Beobachtermission gezeigt und fühle sich weiter dem Sechs-Punkte-Plan verpflichtet. Die Mission Annans sei an den Staaten gescheitert, weil »Staaten im UN-Sicherheitsrat für die UN-Mission gestimmt hätten, ohne die Absicht zu haben, Syrien wirklich aus der Krise herauszuhelfen«. Die Unterstützung bewaffneter Gruppen diene der Destabilisierung des Landes und habe die Mission Annans verhindert.

Der Vorsitzende der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, zeigte sich im Gespräch mit der Autorin in Damaskus nicht überrascht von der Entscheidung Annans. Es habe keinen Fortschritt während des UN-Mandats gegeben. Annan sei nicht in der Lage gewesen, die syrische Regierung und die Opposition an den Verhandlungstisch zu bringen. »Die Länder, von denen die syrische Regierung sagt, dass diese Geld und Waffen an die bewaffneten Gruppen schicken, also die Türkei, Katar und Saudi-Arabien, waren nicht bereit, mit Annan zu reden«, so Jabbour weiter. »Er wollte, dass Iran einbezogen wird, was die westlichen Staaten ablehnten.« Annan sei es auch nicht gelungen, Russland und die USA zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, um weitere Gewalt in Syrien zu verhindern. Jabbour zeigte sich überzeugt, dass auch ein Nachfolger von Kofi Annan die Aufgabe nicht meistern werde, solange die USA und Russland in Syrien ein »Spiel des Kalten Krieges« aufführten. »Putin und Obama haben 80 bis 90 Prozent Einfluss über alle kriegführenden Kräfte in Syrien«, erklärte Jabbour. »Die Syrer erwarten, dass sie diesen Einfluss nutzen, um das Blutvergießen zu stoppen.« Der Sechs-Punkte-Plan wie auch die Genfer Vereinbarung (über eine Übergangsregierung) seien indes »gute, lösungsorientierte Entscheidungen«. Um diese umzusetzen brauche man aber »den politischen Willen«.

Für Mouna Ghanem vom Vorstand der oppositionellen Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen« ist Annan an der mangelnden Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gescheitert. Wie Jabbour meinte auch sie, dass die Hauptverantwortung bei den USA und Russland liege. Sie befürchte eine Zunahme von Gewalt und Blutvergießen, »viele Leute meinen, dass es nach dem Scheitern der UN-Mission keine friedliche Lösung in Syrien mehr geben« könne. Sie und ihre Mitstreiter hätten von Anfang an auf eine »Konfliktlösende Mission« gedrängt, die am besten von unabhängigen und geschulten Spezialisten umgesetzt werden könne. Unter anderem engagiere sich die katholische Gemeinschaft Sant’Egidio seit Monaten für Syrien und versuche, die verschiedenen Seiten zusammenzubringen. Vor einer Woche trafen sich auf Einladung von Sant’Egidio in Rom zehn innersyrische Oppositionsgruppen, darunter auch die Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen« und das Nationale Koordinationsbüro für demokratischen Wandel. Sie einigten sich auf eine 11-Punkte-Erklärung für einen friedlichen Übergangsprozess. Der Syrische Nationalrat und die »Freie Syrische Armee« hatten eine Teilnahme abgesagt.

Unterdessen gingen die Gefechte in Syrien weiter. Im palästinensischen Flüchtlingslager im Damaszener Stadtteil Yarmuk sollen am Donnerstag durch Mörserbeschuss über 20 Zivilisten getötet worden sein. Unklar blieb, wer für den Beschuss verantwortlich war. Weiter gekämpft wurde um die Stadt Aleppo.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 4. August 2012


Noch mehr Kriegsbeihilfe

Nach den USA verstärkt auch Großbritannien die Unterstützung der Aufständischen in Syrien. Die reaktionären Golfstaaten finanzieren sie mit mehreren Hundert Millionen Dollar. Rußland macht Westen und Opposition für Scheitern Annans verantwortlich

Von Rüdiger Göbel **


Nach dem Rücktritt des Syrien-Sondervermittlers Kofi Annan bekunden führende NATO-Länder offen ihre Bereitschaft zur weiteren Unterstützung der Aufständischen. Am Donnerstag wurde zunächst eine Order von US-Präsident Barack Obama publik gemacht, mit der die CIA und andere Geheimdienste der Vereinigten Staaten zur Unterstützung syrischer Rebellen ermächtigt wurden. Seit geraumer Zeit werden über eine von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar betriebene Kommandozentrale in Adana unweit der syrischen Grenze die bewaffneten Gegner von Präsident Baschar Al-Assad heimlich mit Waffen und Logistik versorgt. Die reaktionären Golfstaaten – von Berliner Koalitionspolitikern als »strategische Partner in der Region« gewürdigt – finanzieren den bewaffneten Aufstand mit mehreren Hundert Millionen Dollar. Am Freitag kündigte auch Großbritannien eine Aufstockung seiner Kriegsbeihilfe an. »Wir werden in den kommenden Wochen unsere praktische, aber nicht-tödliche Unterstützung der Opposition steigern«, sagte Außenminister William Hague der BBC. London habe den Aufständischen bereits »mit Kommunikationsmitteln und ähnlichen Dingen« geholfen.

Frankreichs Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gérard Araud, kündigte am Freitag den baldigen Abzug der UN-Beobachtermission in Syrien an. Durch die Zunahme der Kämpfe in Syrien sei die Sicherheit der nicht bewaffneten UN-Beobachter gefährdet. Ihr am 19. August endendes Mandat dürfte im Weltsicherheitsrat nicht verlängert werden. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin sprach sich dagegen dafür aus, die UN-Mission beizubehalten.

Die US-Regierung hatte am Donnerstag Rußland und China für das Scheitern der Syrien-Mission von Kofi Annan verantwortlich gemacht. Beide Länder hatten sich geweigert, allein die Regierung in Damaskus für die Gewalteskalation in Syrien verantwortlich zu machen und entsprechende Resolutionen im Sicherheitsrat gestoppt. Die Länder des Westens und die syrische Opposition hätten nichts für die Herstellung eines politischen Dialogs in Syrien getan, hieß es in einer am Freitag von RIA Nowosti verbreiteten Stellungnahme des russischen Außenministeriums: »Bedauerlicherweise hat die syrische Opposition alle Vorschläge zur Herstellung eines politischen Dialogs stets abgelehnt. Unsere westlichen Partner und einige Staaten der Region, die die Opposition hätten beeinflussen können, haben nichts dazu getan.« Entgegen den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates hätten sie »die politische, moralische, materiell-technische und finanzielle Unterstützung der syrischen Oppositionsgruppierungen fortgesetzt und damit die Unversöhnlichkeit der regierungsfeindlichen Kräfte faktisch angespornt«. Irans Außenminister Ali Akbar Salehi erklärte laut IRNA, der Westen habe keinen Erfolg der Mission Annans gewollt und dem Sondergesandten immer neue Hindernisse in den Weg gelegt.

Unterdessen mehren sich die Berichte über eine immer größer werdende Präsenz islamistischer Kämpfer auf Seiten der Aufständischen. Der in Berlin lebende syrisch-kurdische Politikwissenschaftler Siamend Hajo berichtete am Freitag im Deutschlandfunk nach einem Telefonat mit einem Gewährsmann in Aleppo, im Stadtteil Salaheddin seien bis zu 60 Prozent der Kämpfer Al-Qaida-Anhänger. Diese Salafisten seien »schlimmer als die Regime-Leute« und würden »menschliche Schutzschilde« einsetzen. Hajo ist Europasprecher der Partei Kurdische Zukunftsbewegung in Syrien, die dem exiloppositionellen »Syrischen Nationalrat« (SNC) angehört, mithin unverdächtig, Propaganda für Assad zu betreiben. Ein Korrespondent von AFP meldete am Freitag, in Aleppo stünden Tschetschenen, Algerier, Schweden und Franzosen Seite an Seite mit den syrischen Rebellen. Sie nennen sich »Brigade der Einheit der Mudschaheddin«.

** Aus: junge Welt, Samstag, 4. August 2012


Mission impossible

Rücktritt Annans als Sondergesandter

Von Werner Pirker ***


Der Syrien-Sondergesandte der UNO, Kofi Annan, hat aus dem Scheitern seiner Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts in und um Syrien die Konsequenzen gezogen und ist zurückgetreten. Als Grund gab er vor allem die fehlende Unterstützung durch den UN-Sicherheitsrat an. Während das syrische Volk um Frieden bete, gehe in New York der Streit zwischen den Vetomächten weiter, äußerte sich Annan auf einer Pressekonferenz. Die Westmächte deuten dies als Kritik an der »Blockadehaltung« Rußlands und Chinas. Doch nicht diese beiden Länder haben Annans Friedensbemühungen ständig blockiert, sondern die falschen »Freunde Syriens«. Was Rußland und China in der Tat blockiert haben und auch weiterhin blockieren, sind die Versuche der »Freundschaftsgesellschaft«, sich wie im libyschen Fall ein Mandat des Sicherheitsrates für Kriegshandlungen gegen Syrien zu erschwindeln.

Die amerikanische Kriegsfurie Hillary Clinton tut geradezu so, als wäre mit Ausnahme Rußlands, Chinas und des Iran die ganze Welt dazu entschlossen, dem Assad-Regime den Garaus zu machen. Man ist längst daran gewöhnt, daß das von den USA angeführte westliche Kriegsbündnis als »internationale Gemeinschaft« aufzutreten beliebt. Aber niemand bringt diese arrogante Anmaßung und Herrschsucht so authentisch zum Ausdruck wie diese von narzißtischen Kränkungen geplagte Ehefrau eines notorischen Ehebrechers.

Annan ist zu einem Zeitpunkt zurückgetreten, als bekannt geworden war, daß die CIA schon seit Monaten verdeckte Operationen gegen die syrischen Regierungskräfte durchführt. Und daß der Sturz des Baath-Regimes zur (gar nicht so) geheimen Kommandosache der Kriegsallianz aus NATO und Golf-Kooperationsrat (GCC) erhoben wurde. Unter solchen Voraussetzungen hatte der Friedensplan des früheren UNO-Generalsekretärs, der eine Einstellung der Kämpfe und die Aufnahme eines nationalen Dialogs vorsah, nie eine wirkliche Chance. Zumal Annans Nachfolger, der Südkoreaner Ban Ki-Moon, stets auf der Seite derer zu finden ist, die nach Kriegsvorwänden suchen.

Die Dreigroschenjungen der westlichen Warlords haben jeden von der syrischen Regierungsseite vorgelegten Vorschlag für eine nationale Vereinbarung umgehend abgelehnt. Und sie haben sich von Beginn an gegen den Annan-Plan ausgesprochen. Sie haben grausame Massaker veranstaltet und diese den Regierungstruppen angelastet. Sie haben in dem von ihnen ausgerufenen Endkampf um Damaskus eine schmähliche Niederlage erlitten. Und sie sind dabei, in Aleppo einen weiteren Nachweis ihrer militärischen und politischen Inferiorität zu liefern. Umso lauter dröhnt die Drohkulisse, die von der antisyrischen Aggressionsgemeinschaft errichtet wurde. Es ist schwer vorstellbar, daß Annan tatsächlich meint, Rußland und China hätten seine Mission zunichte gemacht. Doch offenkundig will er sich mit den Kriegstreibern nicht wirklich anlegen. Auch deshalb ist er gescheitert.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 4. August 2012 (Kommentar)


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