Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Aufständische spielen Demokratie

Syrien: "Wahlen" zu oppositionellem "Provinzrat von Aleppo"

Von Karin Leukefeld *

Washington und Moskau wollen die Gewalt in Syrien gemeinsam und »so schnell wie möglich« beenden. Das ergab ein Telefonat von US-Präsident Barack Obama und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin Ende vergangener Woche. Nach Auskunft des Weißen Hauses wollen die beiden Staatschefs das nächste G8-Gipfeltreffen im Juni in Nordirland nutzen, um weitere Einzelheiten zu besprechen.Zugleich hofiert Washington jedoch weiter die Aufständischen in Syrien. Agenturberichten zufolge will Obama in den kommenden Tagen den Vorsitzenden der »Nationalen Koalition« der Regierungsgegner, Moas Al-Chatib, und den Generalstabschef der »Freien Syrischen Armee«, Salim Idriss, empfangen. Vertreter des Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel in Syrien (NCC), das sich gegen ausländische Einmischung in Syrien ausspricht, wurden ebenfalls nach Washington eingeladen.

Die Bildung einer Exilregierung der syrischen Aufständischen, die für das vergangene Wochenende in Istanbul angekündigt worden war, wurde unterdessen auf Anraten von US-Außenminister John Kerry abgesagt. Statt dessen berichteten Medien über »Wahlen«, die die »Nationale Koalition« am Sonntag in der türkischen Stadt Gaziantep abgehalten habe. 29 Abgeordnete seien für einen oppositionellen »Provinzrat von Aleppo« gewählt worden, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. Islamisten seien dabei als Sieger hervorgegangen, säkulare Gruppen seien nicht gewählt worden. Suhair Al-Atassi, die einzige Frau im Präsidium der »Nationalen Koalition«, kritisierte zudem, daß zur »Wahl« keine Frauen angetreten seien.

Die syrische Industrie- und Handelskammer hat eigenen Angaben zufolge bei einem europäischen Gericht Strafanzeige gegen die türkische Regierung von Recep Tayyip Erdogan gestellt. Ankara habe Personen unterstützt, die Büro- und Industrieanlagen in und um Aleppo zerstört und geplündert hätten, sagte der Vorsitzende der Kammer, Fares Al-Schihabi, am Sonntag in Damaskus. Mehr als 1500 Betriebe seien betroffen, gestohlene Waren und Maschinen seien in der Türkei verkauft worden. Man fordere Wiedergutmachung.

Unterdessen hat die von der EU geplante militärische Unterstützung der syrischen Aufständischen (jW berichtete) in Berlin Ablehnung hervorgerufen. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sprach sich am Montag morgen im Radiosender WDR 5 gegen Waffenlieferungen aus und empfahl der Bundesregierung, statt dessen Flüchtlinge einreisen zu lassen, die Familienangehörige in Deutschland hätten. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Jan van Aken, lehnte »jegliche Form der Kriegsbeteiligung« ab. Demgegenüber forderte der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit von EU und Bundesregierung aktiveres Eingreifen zugunsten der Aufständischen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 05. März 2013

EU wird Bürgerkriegspartei in Syrien

Presseerklärung von Sevim Dagdelen

„Der Beschluss des EU-Rates, syrische Rebellen auszurüsten und auszubilden, macht die gesamte EU und damit auch Deutschland zur Bürgerkriegspartei in Syrien. Damit werden die militärische Eskalation weiter befeuert und Initiativen zu politischen Lösungen erneut im Keim erstickt", so Sevim Dagdelen, Sprecherin der Fraktion die LINKE für Internationale Beziehungen und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Dagdelen weiter:

„Der Spiegel hatte bereits gestern gemeldet, die EU hätte sich intern darauf geeinigt, Militärausbilder und Ausrüstung an die Aufständischen in Syrien zu liefern. Bislang gehörte die offene und koordinierte Beteiligung an Bürgerkriegen jenseits von EU-Missionen noch nicht zum Repertoire der EU-Außenpolitik und es gibt auch kein Gremium, das für entsprechende Absprachen und Beschlüsse zuständig wäre. Nun erfolgte aber die Lockerung von Sanktionen gegenüber Syrien mit dem expliziten Ziel, die ‚Nationale Koalition der Kräfte der syrischen Revolution und Opposition' u.a. mit gepanzerten Fahrzeugen auszustatten. Damit liegt letztlich ein EU-Beschluss zur Aufrüstung einer Bürgerkriegspartei vor, der am 28. Februar vom Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz verabschiedet wurde. Die Erklärung, ausschließlich nicht letales militärisches Gerät an die bewaffnete Opposition zu liefern, ist eine reine Schutzbehauptung für den Bruch des Waffenembargos durch die EU.

Die Europäische Union ist damit de facto zur Bürgerkriegspartei geworden und hat zudem ihr außenpolitisches Repertoire eigenmächtig in Hinterzimmergesprächen beträchtlich erweitert. Bezeichnender Weise wurde diese Aufrüstung der Rebellen ausgerechnet im Rahmen des Sanktionsregimes gegen Syrien beschlossen. Hiermit wird wieder einmal deutlich, dass Sanktionen ein Mittel der Kriegführung sind und deshalb abgelehnt werden müssen. DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, keine weitere Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für eine der syrischen Bürgerkriegsparteien zu leisten. Syrien braucht eine politische Lösung, nicht noch mehr Waffen."

04.03.2013




Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage