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Für und Wider eines Syrien-Aufrufs

Gewisse Einseitigkeiten in »Freiheit braucht Beistand« stoßen auf Kritik

Von Roland Etzel *

»Adopt a Revolution« bezeichnet sich als Initiative aus der Zivilgesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Machtverhältnisse in Syrien zu ändern. Ihr neuester Appell dazu heißt »Freiheit braucht Beistand«. Er hat viele namhafte Unterzeichner, doch es regt sich auch Widerspruch.

»Adopt a Revolution« schreibt auf seiner Homepage, das eigene Projekt sei im Herbst 2011 »angesichts der anhaltenden brutalen Verfolgung des friedlichen Aufstands gegen das Regime von Baschar al-Assad« von Syrern und Deutschen ins Leben gerufen worden. Man könne Revolutionspate werden und dafür auch spenden. Für Adopt, das wird deutlich, liegt die Haupt-, wenn nicht sogar die alleinige Schuld an den Gräueln des syrischen Bürgerkrieges bei der Regierung.

Auch der aktuelle Appell »Freiheit braucht Beistand«, initiiert mit der Ärzteorganisation medico international, gibt diese Tendenz wieder. Das Regime, so heißt es da, »setzte von Anbeginn auf unerbittliche Härte, verweigerte jeden ernsthaften Dialog, jede einvernehmliche politische Lösung«. Von Folterungen ist die Rede, der Erschießung Tausender friedlicher Demonstranten, der gezielten Ermordung von Journalisten und Künstlern.

Der Appell hat nach Angaben von Adopt zahlreiche prominente Unterstützer, so die Professoren Elmar Altvater und Micha Brumlik, Rupert Neudeck und Friedrich Schorlemmer. Auch Politiker fast aller Lager finden sich in der Liste, zum Beispiel Jan van Aken (LINKE), Andrea Nahles (SPD) oder Ruprecht Polenz (CDU). Allerdings erntet der Aufruf - gerade wegen des Anliegens, das ausdrücklich begrüßt wird - auch heftige Kritik. So schreibt der Friedens- und Konfliktforscher Mohssen Massarrat, er werde den Aufruf nicht unterschreiben. Dessen Stoßrichtung ziele ausschließlich auf die »Gräueltaten des Assad-Regimes und lässt damit einen regime change suggestiv als alternativlos erscheinen«. Dies werde mit der unrichtigen Behauptung untermauert, »das Assad-Regime hätte sämtliche Dialogmöglichkeiten mit der Opposition ignoriert. Immerhin gab es den russischen Vorschlag der Schaffung einer Übergangsregierung unter Mitwirkung des Assad-Lagers, der jedoch an der Ablehnung durch die syrischen Oppositionsgruppen« gescheitert sei. Mit keinem Wort würden im Übrigen die Einmischung durch arabische Monarchen und die NATO erwähnt. Auch über die »spürbare psychologische Kriegsvorbereitung und die einseitige Berichterstattung im Westen« hülle sich der Aufruf völlig in Schweigen.

Auf derlei Ungereimtheiten aufmerksam geworden, haben inzwischen einige Unterzeichner ihre Unterschrift wieder zurückgenommen, so der Liedermacher Konstantin Wecker. Der Physiker Hans-Peter Dürr erklärte sogar, er könne sich nicht erklären, wie sein Name unter diese Liste gekommen sei.

Diskussionen gibt es auch über einen anderen Appell: Der Publizist Alfred Grosser ließ mitteilen, er habe zunächst gemeinsam mit fünf weiteren Trägern des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels einen Offenen brief an Assad unterzeichnet, nun aber seine Unterschrift zurückgezogen. Grosser stört sich besonders an der Passage des Briefes, in der Assad ultimativ das Verlassen Syriens nahegelegt wird und es weiter heißt: »Abgesehen von dieser Lösung, gibt es nur eine andere für Sie, auch wenn das für Ihre Familie bedauerlich wäre: entweder getötet zu werden wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi, oder ein Leben im Gefängnis in einer sterilen Zelle in Den Haag.«

In einer früheren Version dieses Beitrags wird erwähnt, dass der französische Publizist Alfred Grosser seine Unterschrift unter einen Syrien-Aufruf von »Adopt an Revolution« zurückgezogen hat. Das ist nicht korrekt. Zurückgezogen hat er seine Unterschrift unter einem Offenen Brief von mehreren Friedenspreisträgern des Deutschen Buchhandels an den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Wir bitten um Entschuldigung.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Dezember 2012


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