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Machtkampf an Ostafrikas Piratenküste

Islamisten kontra Seeräuber kontra somalische Regierung - und dazwischen Handelsschiffe

Von Marc Engelhardt, Nairobi *

Mehr als eine Woche nach der Entführung des Supertankers »Sirius Star« vor Somalias Küste hat der polnische Kapitän erstmals ein Lebenszeichen gesendet. Der Besatzung gehe es gut, man habe mit den Familien zu Hause telefonieren können, sagte Kapitän Marek Nishky am Dienstag im britischen Rundfunksender BBC. Das Gespräch wurde von den Piraten überwacht.

Zu Hause genießen Somalias Piraten eigentlich einen Heldenstatus: Im nach fast 18 Jahren Bürgerkrieg zerfallenen Staat sind sie die Einzigen, die Tausenden Arbeit garantieren. Das von ihnen mit vollen Händen ausgegebene Lösegeld hat zudem weite Teile der öden und vergessenen Küstenregion nördlich der Hauptstadt Mogadischu erblühen lassen. Doch seit dem Wochenende haben die Seeräuber mächtige Gegner: Da fuhren schwer bewaffnete Kämpfer der Shabaab, Somalias radikalster Islamisten-Miliz, in Haradhere auf, wo der saudische Supertanker »Sirius Star« vor Anker lag.

»Ein Schiff muslimischer Herkunft zu überfallen ist ein großes Verbrechen, und wir werden die Piraten zur Rechenschaft ziehen«, kündigte ein Sprecher Shabaabs, Abdelghafar Musa, an. »Es tut uns wirklich leid, dass dieses Schiff gekapert wurde.«

In dem Piratennest gut 300 Kilometer nördlich von Mogadischu suchten die auf mehrere Fahrzeuge verteilten Milizen die ganze Stadt nach den Drahtziehern der Entführung ab, berichten Bewohner -- allerdings ohne Erfolg.

Die Shabaab behaupten zwar, Haradhere unter ihrer Kontrolle zu haben. Doch ein Sprecher der Piraten wies die Behauptung umgehend zurück: »Das stimmt nicht, und wenn uns jemand angreifen will, wäre das Selbstmord« -- und verließen den Hafen trotzdem.

Die Opposition Shabaabs gegen die Piraten kommt überraschend. Zwar hatte die »Union Islamischer Gerichtshöfe«, die Somalia 2006 ein halbes Jahr lang regierte, damals die Piraterie vor der Küste tatsächlich unterbunden. Doch zwei Jahre später zweifelt niemand daran, dass die Führung der im Untergrund kämpfenden Shabaab von den Piratenüberfällen profitiert; z. B mit der Lieferung von Waffen für den Kampf gegen die somalische Übergangsregierung und die mit ihr verbündete äthiopische Armee. Wahrscheinlicher ist, dass die Islamisten sich gegen die Piraten zur Wehr setzen, weil sie um ihre Vormachtstellung fürchten.

»Somalische Piraten haben allein in diesem Jahr 150 Millionen US-Dollar Lösegeld erwirtschaftet«, korrigierte Kenias Außenminister Moses Wetangula zum Abschluss eines Krisengipfels in Nairobi am Freitag bisherige Schätzungen nach oben. Erst am Samstag legte Rumäniens Regierung eine unbekannte Summe für die Freilassung des griechischen Tankers »Genious« mit 19 Rumänen an Bord auf den Tisch. Das Schiff hatte sich zwei Monate in den Händen von Piraten befunden. Für die »Sirius Star«, das größte jemals von Piraten entführte Schiff mit zwei Millionen Barrel Rohöl an Bord, verlangen die Piraten angeblich 25 Millionen US-Dollar.

Der Aufstieg der Piraten kommt für die Shabaab zur Unzeit: Die Islamisten stehen derzeit vor Mogadischu. Außer der zentralsomalischen Stadt Baidoa ist die Hauptstadt die letzte Hochburg der Regierung. Sollte Mogadischu fallen, wären die Islamisten die neuen Herrscher Somalias.

Somalias Präsident Abdullahi Yusuf kündigte unterdessen an, die äthiopische Armee werde sich vorläufig nicht wie angekündigt aus Somalia zurückziehen. Diese Ankündigung dürfte einen unter UN-Vermittlung geschlossenen Friedensvertrag mit einem moderaten Islamisten-Flügel belasten.

* Aus: Neues Deutschland, 26. November 2008


Piratenjagd an Land

Somalia: Neue UN-Sicherheitsratsresolution in Vorbereitung. Einsatz von Bundeswehrsoldaten als "Begleitschutz" von Frachtern im Gespräch

Von Knut Mellenthin ** Die Bundesregierung will, einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (25.11.) zufolge, bis zu 1400 Bundeswehrsoldaten zur Piratenbekämpfung nach Nordostafrika schicken. Zum Kontingent soll eine Fregatte gehören, deren Personalerfordernis in der FAZ mit 500 Mann angegeben wird. Bleibt die Frage nach den übrigen 900. Das Blatt will erfahren haben, daß Bundeswehrsoldaten auf deutschen Frachtern als »Sicherungskommandos« mitfahren sollen. Die Bundesregierung wollte den Bericht am Dienstag nicht bestätigen. Die Verhandlungen zwischen den Ressorts dauerten noch an, und im Parlament gebe es unterschiedliche Positionen, hieß es aus dem Verteidigungsministerium.

Die Beschlußvorlage für das Kabinett soll laut Spiegel online (24.11.) am 3. Dezember, spätestens eine Woche darauf vorliegen. Über den Regierungsbeschluß würde dann bis zum 19. Dezember im Bundestag abgestimmt werden. Allerdings will die Europäi­sche Union schon am 8. Dezember ihre längst gefallene Entscheidung für die Entsendung eines eigenen Flottenverbandes zum Horn von Afrika förmlich absegnen. Die Bundestagsmehrheit wird also die deutsche Beteiligung an diesem Unternehmen nur noch abnicken -- obwohl bisher nicht einmal bekannt ist, wie das Mandat aussehen wird. »Robust« soll es jedenfalls sein, weiß CDU-Politiker Karl Lamers, und es soll die Bundeswehr berechtigen, mutmaßliche Piratenschiffe zu beschießen und zu versenken.

Deutschland ist ohnehin schon mit einer Fregatte am Abschrecken und Abwehren von Piratenangriffen beteiligt. Derzeit ist das die »Mecklenburg-Vorpommern«, die über einen Bordhubschrauber verfügt und bereits mehrmals im direkten Einsatz war, zuletzt am Wochenende. Das Schiff gehört zu der internationalen Task Force 150, die als Teil der »Operation Enduring Freedom« in Dschibuti stationiert ist und seit einiger Zeit Frachterkonvoi im Golf von Aden begleitet. Die Obergrenze des deutschen Beitrags zur OEF liegt bei 800 Soldaten.

In den allernächsten Tagen wird das Thema auch den UN-Sicherheitsrat beschäftigen. Der hatte am 2. Juni mit der Resolution 1816 alle Staaten aufgerufen, sich an der Piratenbekämpfung rund um das Horn von Afrika zu beteiligen. Das beinhaltet für einen nun zu Ende gehenden Zeitraum von sechs Monaten auch das Recht, in den Territorialgewässern Somalias zu operieren und dort »alle erforderlichen Mittel anzuwenden, um Akte der Piraterie und des bewaffneten Raubes zu unterdrücken«. Die von äthiopischen Interventionstruppen gestützte, demokratisch nicht legitimierte somalische Übergangsregierung hatte dieser Beschränkung ihrer Souveränität nicht nur zugestimmt, sondern geradezu darum gebeten.

Möglicherweise werden die USA und Rußland nun gemeinsam die Initiative ergreifen, um im Sicherheitsrat eine neue Resolution verabschieden zu lassen, die auch Militäroperationen an Land erlaubt. Der russische Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogoschin, hatte schon vor einer Woche gefordert, daß NATO, EU und Rußland gemeinsam oder koordiniert »Küstenoperationen« durchführen sollten, »um die Stützpunkte der Piraten an Land auszulöschen«. Ähnlich argumentierte am Montag Charles Dragonette vom Geheimdienst der US-Marine auf einem Seminar der rechten Heritage Foundation: »Der Kampf wird nicht auf See entschieden. Der Kampf muß an Land geführt werden.«

Das setzt jedoch nachhaltige Militäraktionen im Hinterland der bekannten »Piratennester« und eine langzeitige Besetzung von Territorium voraus. Letztlich wäre es der Weg zu einer großangelegten Militärintervention in Somalia.

* Aus: junge Welt, 26. November 2008


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