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Piratenjagd total

Ausweitung der Kampfzone am Horn von Afrika: Washington will UN-Mandat für Militärschläge gegen Somalia. Sicherheitsrat soll in der kommenden Woche beraten

Von Knut Mellenthin *

Die USA streben einen Beschluß des UN-Sicherheitsrats an, der zum Zweck der Piratenbekämpfung Militäroperationen auch auf dem somalischen Festland und im darüber liegenden Luftraum erlauben soll. Nach Resolution 1816 vom 2. Juni, die am 2. Dezember durch Resolution 1846 um ein Jahr verlängert wurde, sind bereits Aktionen in den Territorialgewässern Somalias zulässig. Sprecher der US-Regierung haben mittlerweile bestätigt, daß ein entsprechender Entwurf vorliegt, verweigerten aber jede Auskunft über dessen Inhalt. Das Thema wird voraussichtlich am Dienstag nächster Woche auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates stehen. US-Außenministerin Condoleezza Rice will an der Sitzung teilnehmen, um die Dringlichkeit des Ansinnens zu betonen und nötigenfalls Druck auf Zögernde unter den 15 Ratsmitgliedern auszuüben. Es wird erwartet, daß dann auch die Außenminister Rußlands und Großbritanniens, Sergej Lawrow und David Miliband, anwesend sein werden. Beide halten sich aus anderen Gründen Anfang nächster Woche ohnehin am Sitz der UNO in New York auf.

Die Chancen für die Annahme des US-amerikanischen Entwurfes stehen grundsätzlich gut. Der russische Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogoschin, hatte schon im November gefordert, daß NATO, EU und Rußland gemeinsam oder koordiniert »Küstenoperationen« durchführen sollten, »um die Stützpunkte der Piraten an Land auszulöschen«. Die russische Regierung ist nach der durch den Kaukasuskrieg ausgelösten Abkühlung der Beziehungen eifrig bemüht, Kooperationsmöglichkeiten anzubieten. Auch China hat bisher nicht zu erkennen gegeben, daß es eine solche Resolution blockieren will.

Die Nachrichtenagentur AP zitierte am Donnerstag (11. Dez.), offenbar aufgrund einer internen Quelle, die entscheidende Passage des Entwurfs. Demnach will die US-Regierung nicht nur den geographischen Bereich, sondern auch die Aufgaben der Militäroperationen wesentlich erweitern. Bisher sollen sie nur der »Unterdrückung« konkreter Akte von Piraterie dienen. Künftig soll die vorbeugende Verhinderung solcher Akte hinzukommen, worunter alles mögliche verstanden werden kann. Darüber hinaus sollen Operationen auf dem Festland gegen Personen zulässig sein, die Piratenakte »planen« oder »begünstigen«.

Das läuft faktisch auf einen Blankoscheck des UN-Sicherheitsrats für Militärschläge und Kommandoaktionen gegen Somalia hinaus. Gleichzeitig will die US-Regierung in nächster Zeit auch ein Votum der UNO für eine umfassende Militärintervention in dem nordostafrikanischen Land durchsetzen, das zur Zeit überwiegend von verschiedenen Gruppierungen der islamistischen Opposition kontrolliert wird. Bisher war die Staatengemeinschaft, einschließlich der USA, vor einem direkten Eingreifen in den somalischen Bürgerkrieg zurückgeschreckt. Hauptgrund waren die verheerenden Ergebnisse der UN-Intervention in den Jahren 1992 bis 1995, an der auch die deutsche Bundeswehr mit 1700 Soldaten beteiligt war. Nun soll die Bekämpfung der Piraterie als zugkräftiges Argument für eine Wiederholung des Abenteuers dienen.

Erst am Mittwoch (10. Dezember) hat die von Angela Merkel geführte Bundesregierung für die Bereitstellung von 1400 deutschen Soldaten zur Piratenjagd votiert. Weitere Kriegsschiffe der Bundesmarine sind bereits unterwegs zum Horn von Afrika. Der Bundestag soll den Einsatz in der kommenden Woche formal lediglich noch abnicken.

* Aus: junge Welt, 12. Dezember 2008

Gefahrenzulage

110 Euro plus für die Seeräuberjagd

Der Bundeswehrverband fordert für die bis zu 1400 deutschen Soldaten, die vor Somalia Jagd auf Piraten machen sollen, den Höchstzuschlag von 110 Euro pro Tag. »Das ist ein Kampfeinsatz. Und dessen Risiken erfordern eine angemessene Besoldung», sagte der künftige Verbandschef Ulrich Kirsch der Neuen Osna­brücker Zeitung. Er verwies darauf, daß die im Golf von Aden und in somalischen Gewässern kreuzenden Seeräuber immer schwerer bewaffnet seien. Aufgrund dieser Gefahr sei – wie in Afghanistan – die Höchststufe6 des sogenannten Auslandsverwendungszuschlags fällig. Den Militäreinsatz an sich stellte der designierte Verbandschef nicht in Frage. Es seien allerdings noch rechtliche Fragen zu klären: Ungelöst sei zum Beispiel, wie gefangen genommene Piraten innerhalb von 48 Stunden der Justiz zuzuführen seien.

Der FDP-Wehrexperte Rainer Stinner fordert dagegen eine Ausweitung des Kampfauftrags am Horn von Afrika. »Die Soldaten dürfen keine zahnlosen Tiger sein«, sagte er der Passauer Neuen Presse. Es müsse härter gegen die Piraten vorgegangen werden. Ihre Mutterschiffe sollten beschlagnahmt oder zerstört werden. Es reiche nicht aus, Schnellboote zu verfolgen und zu bekämpfen. Für das zu Ende gehende Jahr sind für derartige Militäreinsätze im BRD-Haushalt bis zu 1,9 Millionen Euro an Kosten eingeplant. Im kommenden Jahr werden den Steuerzahlern dafür 43,1 Millionen Euro abverlangt.

An dem ersten Kriegsschiff-Einsatz der EU unter dem Codenamen »Atalanta« nehmen mindestens acht Länder teil, neben der BRD auch Frankreich, Belgien und Spanien. Propagandistisch wird er vorrangig mit dem Schutz von UN-Hilfslieferungen gerechtfertigt.

(jW)




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