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Bomben auf Mogadischu

Hungersnot in Somalia: Stimmungsmache für eine neue Militärintervention in Somalia. Gleichzeitig geizt die "internationale Gemeinschaft" mit Geldern für Hilfsgüter

Von Knut Mellenthin *

Droht in Somalia der als »humanitäre Intervention« verkleidete nächste NATO-Krieg? Wenn es nach Bild ginge, sollte es so schnell wie möglich losgehen. Mit der islamistischen Organisation Al-Schabab ist der Hauptschuldige für die Hungersnot in Nordostafrika schon ausgemacht: »Warum müssen diese Menschen so sehr leiden? (…) Die radikale Miliz mit besten Verbindungen zu Al-Qaida blockiert die so dringend benötigten Hilfslieferungen. (…) Während die Bundesregierung ihre Hilfen am Horn von Afrika aufstocken will, verbieten die unmenschlichen Rebellen den Rettern die Arbeit im Land«, schrieb das Boulevardblatt am 27. Juli. Tags darauf war zu lesen: »Die Rettungstransporte kommen nicht durch. (…) Islamische Milizen behindern die Verteilung der Nahrungsmittel! (…) Deshalb waren die Menschen in Somalia bis zum Beginn der Luftbrücke am Mittwoch der Hungerkatastrophe vollkommen schutzlos ausgeliefert.«

Am 31. Juli folgte schließlich, ausgestoßen vom CDU-Politiker und Exminister Klaus Töpfer, der Ruf nach einem von den Vereinten Nationen abgesegneten Militäreinsatz: »Auf dem Rücken verhungernder Menschen werden Stammesfehden ausgetragen, dazu kommt der islamische Fundamentalismus der Al-Schabab-Milizen. Dem darf die Weltgemeinschaft nicht länger zusehen. Wo bleibt die schnelle Einsatztruppe der UN? Die Souveränität der Staaten ist zu Recht völkerrechtlich ein hohes Gut. Aber: Wenn dadurch Menschen verhungern, muß eingegriffen werden. Dort endet die nationale Souveränität. (…) Schluß mit den sinnlosen Streitigkeiten in Kenia, in Äthiopien, vor allem in Somalia. Dafür muß die UN sorgen. Und die Bundesregierung muß dafür rücksichtslos eintreten.«

Pauschale Behauptungen

Die Behauptung, daß Al-Schabab Lebensmittellieferungen verhindere, ist in der Pauschalität nicht wahr. Einige ausländische Hilfsorganisationen dürfen in den von den Islamisten beherrschten Gebieten nicht arbeiten, andere jedoch sehr wohl. Daß die Unterstützung viel zu spät und viel zu unzureichend kommt, liegt hauptsächlich daran, daß die internationale Gemeinschaft immer noch bei weitem nicht genug Finanzmittel zur Verfügung stellt. Dabei ist die Hungerkatastrophe nicht unvorhersehbar über die Menschen in Äthiopien, Somalia, Kenia, Dschibuti und Uganda hereingebrochen, vielmehr baute sie sich schon seit mehreren Jahren auf. An Warnungen der UNO fehlte es nicht, wohl aber an rechtzeitigen Reaktionen. Deutschland zeichnete sich dabei durch überdurchschnittlichen Geiz aus.

Ein wesentlicher Grund für das Zögern internationaler Hilfsorganisationen, in den von den Islamisten beherrschten Gebieten tätig zu werden, liegt in den harten Strafandrohungen der US-Regierung. Seit die somalische Organisation im Jahre 2008 auf die Terrorliste gesetzt wurde, müssen auch Ausländer mit Sanktionen rechnen, falls sie in irgendeiner Form mit Al-Schabab »zusammenarbeiten«, was bei Hilfsaktionen natürlich unerläßlich ist. Die US-Regierung hat diese Bestimmung erst am Dienstag etwas gelockert. Bis dahin hatte sie ihre eigene humanitäre Hilfe für Somalia von 237,4 Millionen Dollar 2008 auf nur noch 28 Millionen im vorigen Jahr heruntergefahren.

Ob der Ruf nach einer Militärintervention nur der Aufgeregtheit einiger Mainstreamredakteure entspringt oder ob mehr dahinter steht, ist derzeit nicht auszumachen. Ein Rückblick auf das Eingreifen der UNO Anfang der 1990er Jahre sollte eigentlich gegen eine Wiederholung des damaligen Fiaskos sprechen.

Invasion 1992

Am 3. Dezember 1992 hatte der UN-Sicherheitsrat mit der einstimmig verabschiedeten Resolution 794 die USA – ohne sie namentlich zu nennen – autorisiert, »alle notwendigen Mittel einzusetzen, um so bald wie möglich ein sicheres Umfeld für humanitäre Rettungsaktionen in Somalia zu schaffen«. Angeblich waren bis dahin aufgrund einer Hungerkatastrophe schon eine halbe Million Menschen gestorben. In der Begründung des Beschlusses hieß es, daß wegen der Bürgerkriegskämpfe nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten Siad Barre im Januar 1991 Hilfsaktionen kaum noch durchführbar seien und daß internationale Organisationen einen stärkeren Schutz ihrer Tätigkeit durch die UNO verlangt hätten.

Es war kein Geheimnis, daß die Resolution 794 eine Reaktion auf ein zuvor mitgeteiltes Interventionsangebot von US-Präsident George H. W. Bush war, der sich in den allerletzten Wochen seiner Amtszeit befand. Am 9. Dezember 1992 begann die gewaltsame Invasion von 30000 Soldaten aus den USA, die von 10000 Militärangehörigen aus anderen Ländern unterstützt wurden. Am 26. März 1993 beschloß der Sicherheitsrat die Ablösung der US-geführten multinationalen Truppe durch eine UN-Mission. An den tatsächlichen Verhältnissen änderte das indessen wenig. Als die UN-Truppen versuchten, die Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien mit Gewalt durchzusetzen, stießen sie auf heftigen Widerstand. Die Konfrontation verschärfte sich, nachdem US-amerikanische Einheiten, gedeckt durch ein neues Mandat, seit Juni 1993 einseitig in den Bürgerkrieg eingriffen und bei Luftangriffen zahlreiche Zivilisten töteten.

Anfang Oktober 1993 kam es zu dem bekannten Zwischenfall, bei dem zwei Black-Hawk-Hubschrauber abgeschossen und zwölf US-Soldaten getötet wurden. Daraufhin kündigte Präsident William Clinton den Abzug aller Truppen des Landes aus Somalia bis Ende März 1994 an. Die anderen Teilnehmer der Intervention folgten. Anfang März 1995 räumten die letzten Blauhelmsoldaten das Feld.

* Aus: junge Welt, 6. August 2011

UNO: Hilfsbereitschaft unzureichend

Die Vereinten Nationen haben am Mittwoch (3. Aug.) für drei weitere Gebiete Somalias die höchste Alarmstufe »Famine«, Hungersnot, erklärt. Es handelt sich um zwei Bezirke der südsomalischen Region Mittel-Schabelle, Balcad und Cadale, sowie um Teile des Großraums Mogadischu, insbesondere die Lager im sogenannten Afgoje-Korridor. Ihre Bewohner sind großenteils Bürgerkriegsflüchtlinge aus der Hauptstadt.

Zuvor hatte die UNO schon am 20. Juli die südsomalischen Regionen Bakool und Unter-Schabelle als Hungersnotgebiet eingestuft. Somalia besteht aus 18 Regionen. Zieht man allerdings die de facto selbständigen Staaten Somaliland und Puntland im Nordwesten und Nordosten ab, bleiben noch elf Regionen übrig. Nach Angaben von Grainne Moloney, der technischen Chefberaterin der zuständigen UN-Analyseabteilung, leben in den fünf Famine-Zonen insgesamt rund 450000 Menschen.

Zur Bestimmung des Grades einer Ernährungskrise gibt es verschiedene Methoden. Die Vereinten Nationen verwenden seit 2008 eine fünfstufige Skala: 1. Gesicherte Ernährung; 2. mäßige/beginnende Ernährungssicherheit; 3. Akute Ernährungs- und Lebenshaltungskrise; 4. Humanitärer Notstand; 5. Hungersnot/Katastrophe.

Die Voraussetzungen für die Erklärung einer Hungersnot sind: Akute Unterernährung von mehr als 30 Prozent der Kinder; zwei Todesfälle auf 10000 Menschen am Tag; Zugang/Verfügbarkeit von weniger als vier Litern Wasser und 2100 Kilokalorien pro Person und Tag; völliger Verlust von Besitz oder Einkommen.

Die UNO verband die Bekanntgabe von drei neuen Hungerzonen mit einer deutlichen Warnung, daß die bisherige »internationale humanitäre Antwort« auf die Krise – sprich: die Hilfsbereitschaft von Staaten, Organisationen und Unternehmen – unzureichend sei. Sollte diese Situation anhalten, sei zu befürchten, daß sich die Hungersnot in den nächsten vier bis sechs Wochen auf ganz Südsomalia ausdehnen und mindestens bis zum Dezember andauern werde. (km)

(junge Welt, 6. August 2011)




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