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Luftbrücke kommt langsam in Gang

Erste Hilfsflüge nach Somalia / UN-Generalsekretär Ban bittet Golfstaaten um Hilfe für Hungernde *

Die UNO hat am Mittwochnachmittag (27. Juli) ihre Luftbrücke zur Lieferung von Nahrungsmitteln in das dürregeplagte Somalia gestartet. Die Geberkonferenz in Nairobi fand dagegen nicht statt – sie beruhte auf einer breit gestreuten Falschmeldung.

Die Luftbrücke für die Hungernden am Horn von Afrika kam nur mit Verzögerungen in Gang. Der für Dienstag geplante Start eines ersten Flugzeugs mit energiereicher Nahrung musste in der kenianischen Hauptstadt Nairobi wegen Zollproblemen auf Mittwoch verschoben werden. Zunächst sei ein Flugzeug mit zehn Tonnen Nothilfegütern an Bord auf den Weg in das am schlimmsten von der Hungerkrise am Horn von Afrika bedrohte Land gebracht worden, erklärte das Welternährungsprogramm (WFP) am Mittwoch. Die Hilfen sind vor allem für Hunger leidende Kinder gedacht. Über die Luftbrücke will die UN-Behörde auch Gebiete in Äthiopien und im kenianischen Grenzgebiet versorgen. Insgesamt sollen so in den kommenden Tagen rund hundert Tonnen Nahrungsmittel in die Region gebracht werden.

Die Hungerkrise am Horn von Afrika bedroht allein in Somalia rund 3,7 Millionen Menschen. Die UNO hatte vor einer Woche für Teile des Landes offiziell eine Hungersnot erklärt. In Dschibuti, Äthiopien, Kenia und Uganda leiden Millionen weitere Menschen unter der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren. UN-Vertreter bezifferten den Hilfsbedarf bis Jahresende auf rund zwei Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro).

In Somalia fliehen nach UN-Angaben Tausende Menschen vor Hunger, Dürre und Krieg in die Hauptstadt Mogadischu. Allein im Juni und Juli seien rund 100 000 erschöpfte und verzweifelte Männer, Frauen und Kinder aus dem Süden im Raum Mogadischu angekommen, teilte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Dienstag in Genf mit.

Der UN-Sicherheitsrat, der im Juli unter deutschem Vorsitz tagt, appellierte an die Konfliktparteien in Somalia, Hilfsorganisationen uneingeschränkt Zugang zu den Hungernden zu gewähren. Die Sicherheit der Helfer müsse garantiert werden, heißt es in einem Statement, das der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig in New York verlas.

Unterdessen hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Golfstaaten zu massiven Hilfen für die Hungernden am Horn von Afrika aufgerufen. Ban habe am Dienstag mit dem saudi-arabischen König Abdullah, dem kuwaitischen Emir Scheich Sabah el Ahmed el Sabah und dem katarischen Regierungschef Scheich Hamad bin Jassem bin Dschaber al Thani telefoniert, teilten die Vereinten Nationen in New York mit. In einem weiteren Telefonat habe er auch den Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate Scheich Abdullah bin Sajed al Nahjan um Hilfsgelder gebeten.

In Nairobi fand am Mittwoch (27. Juli) ein Koordinierungstreffen des UN-Koordinierungsbüros für humanitäre Hilfe (OCHA) statt, jedoch keine offizielle Geberkonferenz wie in Medien vorab fälschlich kursierte.

Angesichts der Hungersnot am Horn von Afrika fordert die EU-Kommission ein Umdenken in der weltweiten Entwicklungshilfe. »Im Moment fließt weniger als ein Prozent aller Hilfsgelder in die Vorbeugung von Katastrophen«, sagte EU-Nothilfekommissarin Kristalina Georgiewa am Mittwoch in Brüssel. Als Beispiele für sinnvolle Initiativen in Afrika nannte sie Projekte zur Speicherung von Wasser und zur besseren Bewirtschaftung von Agrar- und Weideflächen sowie Frühwarnsysteme für Unterernährung.

Georgiewa hatte in den vergangenen Tagen mehrere Flüchtlingslager in Kenia und Somalia besucht. Dabei hatte sie angekündigt, dass die Kommission ihre Hilfszahlungen mehr als verdoppeln werde. Insgesamt beträgt die Hilfe aus Brüssel nach ihren Angaben damit fast 160 Millionen Euro. Dazu kommen rund 50 Millionen Euro aus den EU-Mitgliedsländern.

Ein besserer vorbeugender Katastrophenschutz helfe der Bevölkerung sichtlich, sagte Georgiewa.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2011


EU übt sich in Selbstkritik

Von Martin Ling **

Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Die Hungersnot am Horn von Afrika ist so dramatisch, dass sich die EU-Kommission in Gestalt ihrer Nothilfekommissarin Kristalina Georgiewa Asche aufs Haupt streut: »Im Moment fließt weniger als ein Prozent aller Hilfsgelder in die Vorbeugung von Katastrophen. Ich sage kategorisch: Wir tun nicht genug.« Diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf und das nicht erst seit der jüngsten Krise am Horn von Afrika.

Auch wenn die EU für die Zunahme der Wetterkatastrophen nur mittelbar über die hohen Treibhausgasemissionen in der Vergangenheit und Gegenwart mitverantwortlich ist, so trägt sie mit ihrer ausschließlich auf Eigeninteressen orientierten Handelspolitik maßgeblich zum Elend im Süden und zu einer höheren Verwundbarkeit gegenüber Wetterextremen bei: »Wir haben Erdnüsse exportiert, das wurde uns kaputtgemacht. Wir exportierten Fisch, der wurde uns weggefangen. Nun exportieren wir eben Menschen.« Die Aussage des senegalesischen Bauernpräsidenten Samba Gueye bringt diesen Zusammenhang zwischen Handelsliberalisierung und Unterentwicklung treffend auf den Punkt.

Wenn aus Einsicht Besserung werden soll, führt kein Weg an einer Neuen Weltwirtschaftsordnung vorbei, die Norden und Süden gleichermaßen Perspektiven verschafft. Das wäre die beste Vorbeugung gegen jede Art von Krisen. Frühwarnsysteme für Unterernährung reichen nicht.

** Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2011 (Kommentar)


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