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Schon Zehntausende Hungertote am Horn

Somalias Al-Shabaab-Miliz verbietet Hilfe *

Der Hungerkatastrophe am Horn von Afrika sind nach Einschätzung der Hilfsorganisation Diakonie Katastrophenhilfe bereits mehrere zehntausend Menschen zum Opfer gefallen.

»Viele der Flüchtlinge sind nahe des Zusammenbruchs«, erklärte Diakonie-Direktorin Cornelia Füllkrug-Weitzel. »Es ist die schwerste Nahrungsmittelkrise des 21. Jahrhunderts.« Insgesamt seien von der Trockenheit in Somalia, Kenia und Äthiopien zehn bis zwölf Millionen Menschen betroffen. Besonders schlimm sei die Situation in Somalia. Jeden Tag flüchteten Tausende Menschen aus dem Bürgerkriegsland in die Lager in Äthiopien und Kenia, um Hilfe vor der Dürre zu suchen. In Somalia selbst erreiche die Menschen kaum Hilfe. »Es helfen nur wenige Organisationen. Die Sicherheitslage ist immer noch schwierig.«

Allein in Somalia leiden etwa 3,7 Millionen Menschen – fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung – unter der verheerenden Dürre. Dennoch erklärte jetzt die somalische Al-Shabaab-Miliz, sie wolle doch keine Hilfslieferungen an die Hungernden in den von ihnen kontrollierten Gebieten zulassen. Der britische Sender BBC zitierte am Freitag Al-Shabaab-Sprecher Ali Mohamud Rage mit den Worten, die Berichte der Vereinten Nationen über die Hungersnot seien »kompletter Nonsens, 100 Prozent ohne Grundlage und pure Propaganda«. Es gebe zwar eine Dürre und der Regen sei ausgeblieben, aber die Situation sei lange nicht so schlimm wie von der UNO beschrieben. »Die Organisationen, denen wir die Arbeit verboten haben, dürfen auch weiterhin nicht hier arbeiten. Sie sind in politische Aktivitäten involviert«, so Rage.

In dem von Al-Shabaab kontrollierten Gebiet, in dem 2,8 Millionen Menschen unter der Dürre leiden, liegen auch die beiden Regionen, in denen die Vereinten Nationen vor wenigen Tagen offiziell eine Hungersnot ausgerufen hatten.

Unterdessen machen sich in dem Bürgerkriegsland immer mehr verzweifelte Menschen aus dem Süden auf in die Hauptstadt Mogadischu. Nur wenige Kilometer außerhalb der somalischen Metropole lägen Camps mit unzähligen Zelten und Notunterkünften, in denen die hungernden Menschen Zuflucht suchten, berichtete BBC.

Ärzte hätten in den somalischen Lagern allein in den vergangenen neun Tagen mehr als 1000 schwer unterernährte Kinder behandelt. Mütter mit ihren vom Hunger gezeichneten Kindern stünden stundenlang Schlange, um eine Erstversorgung für ihre Babys zu bekommen, hieß es in dem BBC-Report vom Freitag (22. Juli).

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2011


Ein tödliches Kontinuum

Von Benjamin Luig **

Die Hilfsmaschinerie muss endlich anspringen: Am kommenden Montag wird in Rom ein UN-Sondertreffen der Agrarminister zur Hungersnot in Ostafrika stattfinden. Es geht um Finanzzusagen, die Tag für Tag über Tausende von Menschenleben entscheiden werden. Das Treffen kommt viel zu spät, denn eine Dürre ist weder mit einem Erdbeben zu vergleichen noch mit einem Tsunami. Was wir in diesen Tagen durch knapp gehaltene Medienberichte mitbekommen, ist die Zuspitzung einer seit Jahren anhaltenden Katastrophe. Und auch diese Zuspitzung war absehbar. Im Gegensatz zu früheren Hungerkrisen am Horn von Afrika gibt es heute detaillierte Frühwarnsysteme, die bereits Ende 2010 und in diesem Frühjahr auf ausbleibende und verminderte Regenzeiten in Ostafrika hinwiesen. Zum Jahreswechsel gab es in der Folge substanzielle Ernteausfälle. In dem Wajir-Distrikt (Kenia) dezimierten sich die Rinder- und Schafsherden zwischen März und Juni 2011 um 40 bis 60 Prozent.

Eine wichtige Ursache für die enorme Verwundbarkeit der Region ist der seit 20 Jahren andauernde Bürgerkrieg in Somalia. Doch es gibt weitere Gründe. Die Mehrheit der Menschen, die in Ostafrika hungern, sind Hirtenvölker und Kleinbauern, die in trockenen Gebieten überwiegend von der Haltung von Rindern, Ziegen und Schafen leben. Zwar sind sie fragile Ökosysteme und zyklisch wiederkehrende Dürren gewohnt. Doch vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten verschlimmert. In Kenia wurden seit den 1980er Jahren ein funktionierendes Veterinärdienstleistungssystem, Viehvermarktungshilfen und eine staatlich subventionierte Getreidepreispolitik im Zuge von Strukturanpassungsmaßnahmen zurückgefahren. In Äthiopien sind es nicht zuletzt Landkonflikte, die beispielsweise in der Afar-Region den Hunger verschärfen und bei denen auch ausländische Investoren eine Rolle spielen. In den letzten Jahren kommt hinzu, dass Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais und Weizen, befeuert durch die Spekulation mit Warenterminkontrakten, auf dem Weltmarkt deutlich gestiegen sind und die Niederschläge aufgrund des Klimawandels immer unbeständiger werden.

Der Historiker Mike Davis beschreibt tödliche Hungersnöte als Teil eines Kontinuums, das mit der stummen Gewalt der Mangelernährung beginnt und mit dem tödlichen Schatten körperlicher Schwächung und Krankheit endet. Es muss am Montag in Rom darum gehen, Menschen durch Nahrungsmittel, medizinische Hilfe und Trinkwasser unmittelbar vor dem Hungertod zu retten. Ebenso wichtig aber ist es, Tierfutter und Veterinärdienste in die betroffenen Regionen zu bringen. Bauern werden bis mindestens März 2012 direkte Unterstützung brauchen.

Darüber hinaus gilt es, erste Schritte der Risikominderung zu gehen, um das tödliche Kontinuum des Hungers zu durchbrechen. Dazu zählen produktionssichernde Strategien wie wasserrückhaltende Maßnahmen, Kleinbewässerung und ein gesicherter Zugang der Hirtenvölker und Kleinbauern zu Land, Wasser und Vermarktungsstrukturen. Auch die deutsche Regierung muss einen deutlich größeren Beitrag leisten als bislang vorgesehen. Der scheidende FAO-Präsident Jacques Diouf hebt hervor, dass die unmittelbar notwendigen Maßnahmen ausgearbeitet worden seien: »Wir kennen die Rezepte.« Aber wollen die Staats- und Regierungschefs sie auch anwenden?

** Benjamin Luig ist Referent für Agrar- und Landpolitik beim Katholischen Hilfswerk Misereor.

Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2011 (Gastkolumne)



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