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Bühler droht

Deutscher KFOR-General warnt vor "Blutbad" im Norden des Kosovo. Sondersitzung im serbischen Parlament

Von Zoran Sergievski *

Das serbische Parlament hat Kosovo vorgeworfen, die Lage in der Region gewaltsam verändern zu wollen. Bei einer Sondersitzung verabschiedeten die Abgeordneten in Belgrad am Sonntag (31. Juli) eine Erklärung, in der die Regierung mit Blick auf die Krise an der Grenze zum Kosovo, dessen einseitig erklärte Unabhängigkeit von Belgrad nicht anerkannt wird, aufgefordert wird, »die Interessen der Republik Serbien und der Menschen im Kosovo« zu verteidigen. Durch einen Dialog zwischen Belgrad und Pristina solle eine Kompromißlösung gefunden werden, heißt es in der Resolution, der 181 der 250 Parlamentarier zustimmten. Serbiens Präsident Boris Tadic warf Pristina vor, es wolle auf lange Sicht die ethnischen Strukturen im Nordkosovo verändern, wo derzeit mehrheitlich ethnische Serben leben.

Am späten Freitag abend (29. Juli) hatte sich die von der NATO geführte Besatzungstruppe KFOR aus dem nordkosovarischen Ort Rudare zurückgezogen, in dem Serben Straßenbarrikaden errichtet hatten, um gegen das von Pristina verhängte Handelsembargo gegen serbische Waren zu protestieren. Der deutsche KFOR-Chef General Erhard Bühler sagte, er habe sich »zum letzten Mal« entschieden, seine Soldaten zurückzuziehen, »um ein Blutbad zu verhindern«. Sollten die Blockaden jedoch nicht bald aufgelöst werden, drohte er mit einem gewaltsamen Eingreifen. Seit Donnerstag halten zudem US-amerikanische und französische Soldaten die Grenzübergänge in Jarinje und Brnjak besetzt. Sie wurden zu militärischen Sperrzonen erklärt. Bis auf weiteres dürfen deshalb nur Fahrzeuge der KFOR die Grenze passieren. LKW und Krankenwagen aus und nach Serbien wurde die Durchfahrt verboten, so daß sich am Wochenende in Kosovska Mitrovica erste Lieferengpässe zeigten. In den Läden fehlt es an Brot, Milch und Milchprodukten, auf den lokalen Märkten stiegen die Preise rasant an. Milan Jakovljevic, der Direktor des städtischen Gesundheitszentrums, beklagte fehlende Infusionsbeutel und den Mangel an bestimmten Medikamenten.

Der Vorsitzende der Gemeinde Zubin Potok, Slavisa Ristic, warf KFOR-Chef Bühler vor, die Anweisungen des kosovarischen Regierungschefs Hashim Thaçi zu befolgen. Dadurch werde eine humanitäre Katastrophe provoziert. »Aber das Volk ist entschlossen, die Barrikaden so lange zu halten, bis der albanische Zoll am Grenzübergang aufgelöst wird.« Auch Belgrads Chefunterhändler für das Kosovo, Borislav Stefanovic, erklärte, die KFOR werde von Pristina instrumentalisiert. Er rief die Serben im Kosovo zu Ruhe und Einigkeit auf. Angesichts von Bühlers Drohgebärden und der Ankündigung Pristinas, am heutigen Montag erneut seine Spezialpolizei an die Grenze zu schicken, rief er die Bevölkerung auf, nicht auf Provokationen zu reagieren.

Hintergrund der Auseinandersetzungen ist ein Streit um Zollstempel. Da Belgrad die Sezession des Kosovo nicht anerkennt, sind auch Zollbescheinigungen aus Pristina in Serbien ungültig, so deklarierten Waren wird die Einfuhr untersagt. Im Gegenzug verhängte Pristina ein Importverbot für serbische Waren. Das wurde jedoch von den im Norden des Kosovo lebenden Serben ignoriert, der Handel lief weiter. Am vergangenen Montag entsandte die kosovarische Regierung daraufhin Spezialeinheiten an die Grenze, um die Kontrolle an den Übergängen zu übernehmen und das Handelsembargo durchzusetzen. Dadurch eskalierte die Situation. Bei gewalttätigen Protesten wurde ein kosovarischer Polizist getötet, mehrere Demonstranten wurden verletzt.

* Aus: junge Welt, 1. August 2011


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