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Westlicher Kampagnenjournalismus

Kai Ehlers über Entschädigungszahlungen an ehemalige Eigentümer des Ölkonzerns Jukos und russische Staatsbürger, die nach dem Zerfall der Sowjetunion zu Milliardären wurde *

Wer dieser Tage die Presse verfolgt, bei dem bleibt vor allem die Schlagzeile hängen, die der »Spiegel« auf seinen aktuellen Titel setzte: »Stoppt Putin jetzt!« Der russische Präsident hat die Krim annektiert, heizt den Bürgerkrieg in der Ukraine an und hat dort die Boeing abschießen lassen. Jedenfalls, wenn es nach Auffassung der hiesigen »Qualitätsmedien« geht.

Mit den Urteilen des Ständigen Schiedsgerichts in Den Haag und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, die in dieser Woche den ehemaligen Aktionären des Ölkonzerns Jukos Milliarden Euro zu sprachen, wird nun bestätigt, was westliche Politiker seit Jahren behaupten: Wladimir Putin hat mit dem damaligen Jukos-Eigner Michail Chodorkowski den einzigen Mann, der Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung im nach-jelzinschen Russland verkörperte, durch autoritäre Rechtsbeugung kalt gestellt.

Der Milliardär hat sogleich verlauten lassen, er stelle keine Ansprüche auf die Auszahlung des Geldes. Ob seine Nachfolger und die übrigen früheren Miteigentümer jemals an die Entschädigung für die Enteignung des Unternehmens herankommen, ist schon deshalb zweifelhaft, weil die heutigen Eigentumsverhältnisse der aus der Jukos-Masse hervorgegangenen Einzelvermögen keine eindeutige Zuweisung an den russischen Staat möglich machen. Anders ausgedrückt: Teile davon sind Privateigentum und langwierige Verfahren sind nötig, um private und staatliche Eigentumsanteile so zu unterscheiden, dass Schadenersatzzahlungen durch den russischen Staat möglich werden könnten.

Dabei ist nicht die Anklage gegen Chodorkowski der russischen Justiz anzulasten, sondern die Tatsache, dass nur er und nicht auch alle anderen Privatisierungsräuber vor Gericht gebracht wurden. Man versicherte ihnen lediglich, dass gegen sie nicht vorgegangen werde, wenn sie zukünftig Steuern zahlten und sich aus der Politik raushielten. Aus heutiger Sicht ein Fehler.

Worum geht es in der Berichterstattung über den Fall Chodorkowski eigentlich? Es geht um eine Uminterpretation der Geschichte. Der Ex-Jukos-Chef soll als jemand dargestellt werden, der zu Unrecht vor mehr als zehn Jahren wegen Steuerhinterziehung in Russland verurteilt wurde – obwohl er selbst schon lange öffentlich erklärt hat, sich schuldig gemacht zu haben, und auf Wiedergutmachung und Rückzahlung an Staat und Aktionäre drängte.

Erinnern wir uns: Jukos entstand wie viele andere große Privatunternehmen in Russland Mitte der 1990er Jahre zum einen aus den Zwängen der schnellen Privatisierung. Zum anderen waren Ungeduld und Not der politischen Reformer verantwortlich, die erstens den Systemwandel unumgänglich machen wollten, zweitens die leere Staatskasse auffüllen mussten und drittens ihre Betriebe lieber an russische Käufer als an Ausländer abgeben wollten. Auf diese Weise kamen die späteren Oligarchen zu Dumpingpreisen und unter undurchsichtigen bis kriminellen Umständen an das frühere Volksvermögen und an Nutzungsrechte für Öl-, Gas- und sonstigen Ressourcen – ohne dafür eine Kopeke Steuern zahlen zu müssen. Jukos wurde so zum größten russischen Monopolisten, der Staat und Regierung seine Bedingungen diktieren konnte.

Dabei blieb es aber nicht: Chodorkowski setzte dazu an, große Teile des Konzerns an den westlichen Ölmulti Exxon zu veräußern – von bis zu 40 Prozent war damals die Rede. Auch ein zweiter Ölriese, die Chevron Texaco Corporation, war im Gespräch. Der Verkauf hätte bedeutet, dass russisches Öl und Gas nicht nur in privaten Händen gelegen hätten, sondern auf dem Umweg über Jukos tendenziell unter den Zugriff von US-amerikanischen Firmen zu kommen drohte.

Dies alles spielt in der Presse ebenso wenig eine Rolle wie die tatsächlichen Vorgänge auf der Krim und in der Ukraine. Entscheidend ist die medial machbare Stimmung. Und so bildet die Berichterstattung über die Urteile nur ein weiteres Element in der gegen Russland aufgebauten westlichen Kampagne, an deren Ende unübersehbar das Ziel steht, nach dem Regimewechsel in Kiew zu einem solchen in Moskau voranzuschreiten. Chodorkowski wäre dafür der Wunschkandidat.

Doch ob er das will? Und ob er das kann? Russland ist nicht die Ukraine, das weiß auch Chodorkowski. Als Geschäftsmann ist er nämlich Realist.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 2. August 2014


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