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Moskaus Kreative

Viel Lärm, wenig Substanz: Neue Sanktionsdrohungen kontert Rußland mit Angeboten zur Zusammenarbeit. EU-Unternehmen und Regierungen mit eigenen Prioritäten

Von Klaus Fischer *

Die EU hat Rußland erneut Sanktionen angedroht. Sollte die russische Regierung den »neuen Friedensplan« Kiews nicht unterstützen, könnten nach den bereits verhängten Maßnahmen »weitere Schritte« folgen. Dies verkündeten am Montag die EU-Außenminister in Luxemburg. Zugleich meldete sich Brüssels wichtigster Stichwortgeber zu Wort: US-Präsident Barack Obama habe seinen russischen Konterpart Wladimir Putin per Telefon davor gewarnt, die »Separatisten« im Osten der Ukraine weiter mit Waffen zu versorgen, verlautete aus Washington. Sonst kämen auf Rußland »weitere Kosten« zu. Auch hierbei war russischen Angaben zufolge der Plan des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko Anlaß der wenig diplomatischen Anweisung.

In Moskau hat man sich auf die verbale Kraftmeierei eingestellt. Die Verantwortlichen dort haben eine durchaus kreative Strategie gewählt, den Strafandrohungen zu begegnen: Sie werben intensiv für weitere – und vertiefte – Zusammenarbeit, vor allem mit den Staaten der EU. Und sie verweisen darauf, daß Sanktionen ein zweischneidiges Schwert sind, das vor allem für die Westeuropäer erhebliche Verletzungsrisiken birgt.

Einer der »Kreativen« Moskaus ist Igor Setschin. Der einflußreiche Putin-Vertraute und Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft verwies am Dienstag im Handelsblatt auf mögliche Folgen von Wirtschaftssanktionen, vor allem solchen gegen die Energiebranche. Diese könnten »immense Auswirkungen etwa auf das Raffineriegeschäft« haben. Gut ein Fünftel der deutschen Raffineriekapazitäten betreibe Rosneft. Rund 40 Prozent des von den EU-Staaten importierten Erdöls stammten aus der Russischen Föderation. »Sanktionen helfen niemandem«, schlußfolgert Setschin, gegen den US-Behörden bereits Kontensperrungen und ein Einreiseverbot verhängt haben. »Es entstehen nur zusätzliche Risiken, und der Kreis der Betroffenen wird größer, es werden Menschen in die politische Auseinandersetzung hineingezogen, die nichts mit dem Thema zu tun haben.«

Rußland stehe vor gigantischen Investitionen zum Beispiel in die Energiewirtschaft, wo neue Kraftwerke und Stromnetze errichtet würden, warb der Manager und Politiker. Besonders für die deutsche Industrie bestünden da exzellente Geschäftsaussichten. Übersetzt hieß das: Wollt ihr Profite machen oder Fahnen schwenken? Lieferanten aus den USA und dem asiatisch-pazifischen Raum seien im übrigen schnell zur Stelle, um als Kooperationspartner einzuspringen, deutete Setschin an.

In Moskau bereitet man sich dennoch auch auf eine Verschärfung der Lage vor. So sollen russische Staatsunternehmen und wichtige Privatfirmen künftig keine Konten bei ausländischen Banken mehr unterhalten dürfen. Das Finanzministerium bereite eine entsprechende Gesetzesänderung vor, berichtete das Wirtschaftsblatt Kommersant am Dienstag unter Berufung auf eine mit der Angelegenheit vertraute Person. Demnach sollen Staatsfirmen nur noch Konten bei einheimischen Kreditinstituten in Staatsbesitz halten dürfen. Auch bei ausgewählten privaten russischen Geldhäusern solle dies möglich sein. Die Vorschriften gälten vor allem für private Unternehmen aus dem Rüstungs- und Sicherheitsbereich, so die Zeitung.

Wirtschaftssanktionen stehen für die karge Seite des Kapitalismus. Besonders unter dem Blickwinkel gegenseitiger Abhängigkeiten sind sie wenig hilfreich. Derartige Maßnahmen verhageln nicht nur die Profitaussichten, sondern wirken sich auch negativ auf Konjunktur und Arbeitsplätze aus. Für die Unternehmen der wirtschaftlich stagnierenden EU ist das kaum eine verlockende Option.

Eine gewisse Freiheit haben sich Politiker und Konzerne »Europas« allerdings bewahrt. So verweigerte die Regierung Bulgariens zunächst Brüssel die Gefolgschaft, als man dort einen Baustopp der Southstream-Pipeline forderte. Diese Schikane sollte aus Sicht der EU-Strategen Rußlands Gasprom-Konzern zum Einlenken bei den Preisverhandlungen mit der Ukraine nötigen. Erst nach massivem Druck knickte Sofia ein – vorübergehend. Auch in Österreich setzt man eher auf vertiefte Kooperation statt Abgrenzung, und das nicht etwa aus Dankbarkeit für die Befreiung 1945.

So verkündete der Ausrüster C.A.T. Oil am Dienstag in Wien, daß er sich von Gasprom langfristige Aufträge bei der Öl- und Gasförderung gesichert habe. Am selben Tag besiegelten Gasprom und der Versorger OMV in der Donaustadt die Einigung zum Bau des österreichischen Teilstücks von South Stream. Die Pipeline soll ab 2017 Gas aus Rußland nach Westeuropa liefern – unter Umgehung der Ukraine.Am Dienstag nachmittag traf Rußlands Staatspräsident zu einem Besuch in Wien ein. Das hat durchaus mit der Sache zu tun.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 25. Juni 2014


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