Harte Abwehrkämpfe
Pfründe gesichert: Von der Öffentlichkeit unbemerkt kämpfen interessierte Teile des deutschen Kapitals gegen die Rußland-Sanktionen
Von Jörg Kronauer *
Natürlich ist es auch um Sanktionen gegen Rußland gegangen, als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sich vorigen Dienstag auf Schloß Meseberg mit Spitzenvertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften trafen. Nicht nur der NATO-Gipfel, auch die EU-Entscheidung über verschärfte Sanktionen stand kurz bevor – Anlaß genug also, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Und natürlich beschwerte sich die Wirtschaft bitter über die Maßnahmen. Die Konjunktur trübe sich ohnehin schon ein, ließ sich »Arbeitgeber«-Präsident Ingo Kramer verärgert zitieren; nun nähmen auch noch »die Risiken im außenwirtschaftlichen Bereich infolge geopolitischer Krisen zu« – fatal. »Die Industrie reagiert auf die geopolitischen Risiken und bestellt weniger Chemikalien«, konstatierte ebenso säuerlich der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Das Geschäftsklima verschlechtere sich, ließ sich auch der Osteuropa-Experte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Tobias Baumann, vernehmen: »Die Sanktionen sorgen zusätzlich für Verunsicherung.« Und nun? Am heutigen Montag wird die EU voraussichtlich die Verschärfung der Strafmaßnahmen beschließen.
Was ist da los? Hat die am Rußland-Geschäft interessierte Fraktion der deutschen Wirtschaft ihren Einfluß auf die Politik verloren und kann Sanktionen nicht verhindern? Nun, sicherlich ist sie in die Defensive geraten. Der Konflikt um die Ukraine ist zum globalen Machtkampf zwischen EU und USA auf der einen, Rußland auf der anderen Seite eskaliert; derzeit steht das dominante Bestreben des Westens im Vordergrund, seine Hegemonie zu demonstrieren. Dagegen können sich andere Interessen nur mit Mühe behaupten. In der Bundesrepublik kommen besondere Bedingungen hinzu: Die transatlantischen Netzwerke sind hier über Jahrzehnte gewachsen und entsprechend verankert; sie stützen nun den westlichen Hegemonialanspruch. Besonders deutlich zeigt sich das in den Medien. Bei Springer ist »die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses« offiziell in den »Unternehmensgrundsätzen« festgeschrieben. Daß die Chefs der Außenpolitik-Redaktionen etwa der FAZ, der Süddeutschen und der Zeit eng in transatlantische Elitennetzwerke eingebunden sind, hat der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger in seiner 2013 publizierten Dissertation (»Meinungsmacht«) detailliert gezeigt. Man sieht’s der aktuellen Rußland-Berichterstattung in der Tat überdeutlich an.
Von der Öffentlichkeit unbemerkt aber kämpfen diejenigen Kreise der deutschen Eliten, die an einer Kooperation mit Rußland interessiert sind, nicht ganz so erfolglos um Einfluß. Die Auseinandersetzung führen sie derzeit vorrangig als Abwehrkampf gegen Sanktionen. »Es muß (…) alles dafür getan werden, daß sich die Sanktionsspirale nicht weiter dreht, und wir durch konstruktive Gespräche wieder aus dem Sanktionsmodus herauskommen«, forderte Ende August der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft und drohte, es stünden immerhin 50000 Arbeitsplätze in der Bundesrepublik auf dem Spiel. Blickt man auf die Rußland-Sanktionen der EU, die bereits in Kraft sind, und auf die Pläne für die Verschärfung, die am heutigen Montag beschlossen werden sollen, dann zeigt sich: Die Bereiche, an denen die deutsche Wirtschaft ein ganz zentrales Interesse hat, sind entweder komplett ausgespart (Erdgas) oder nur indirekt und nur teilweise (Maschinenbau) betroffen. Die Lobbyarbeit von Ost-Ausschuß und Co. zahlt sich also offenbar aus.
Jenseits der konkreten Sanktionsabwehr setzt das Rußland-interessierte Spektrum des deutschen Establishments gegenwärtig auch auf langfristig wirksame Aktivitäten, die auf die Grundlagen der Kooperation abzielen. Für die zweite Oktoberwoche etwa kündigt der Ost-Ausschuß die »7. Deutsch-Russischen Gespräche Baden-Baden« an, die er gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung und der BMW Stiftung abhält. Sie dienen der Netzwerkbildung in den Eliten beider Länder, und sie werden ungeachtet des aktuellen Konflikts fortgeführt. Der Ost-Ausschuß-Vorsitzende Eckhard Cordes gehört darüber hinaus – gemeinsam mit Vorstandsmitgliedern bedeutender Konzerne wie E.on oder der Deutschen Bahn – dem Kuratorium des Deutsch-Russischen Forums an, das allgemein »den Dialog und die Begegnung zwischen den Gesellschaften Deutschlands und Rußlands« fördern will. Es sei »die Mission unseres Forums (…), am Ende erleb- und erfahrbar zu machen, daß wir zu einem großen Europa gehören und nur im guten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinander aller Europäer unsere gemeinsame Zukunft liegen kann«, schreibt der Vorsitzende des Forums, Matthias Platzeck, im jüngsten »Info-Bulletin« der Organisation. Deren Vorstand gehören neben Wirtschaftsvertretern auch der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder und – als Ehrenmitglieder – Andreas Meyer-Landrut und Ernst-Jörg von Studnitz an, zwei ehemalige deutsche Botschafter in Moskau. Vor allem von Studnitz hat sich stets für eine engere Kooperation zwischen Deutschland und Rußland stark gemacht.
Auch wenn die Rußland-Fraktion im deutschen Establishment zur Zeit nicht viel erreichen kann: Ihre grundlegenden Interessen werden von der offiziellen Berliner Politik durchaus gewahrt. »Es darf nicht sein, daß unsere Rußland-Politik vom amerikanischen Kongreß oder von Entscheidungsträgern in europäischen Parlamenten in Geiselhaft genommen werden kann!« ließ sich kürzlich Wolfgang Ischinger, der einflußreiche Leiter der »Münchner Sicherheitskonferenz«, vernehmen: »Alle Entscheidungen über Sanktionen« müßten »politisch auch wieder rückgängig gemacht werden können«. Dazu muß vermieden werden, daß irreparable Schäden entstehen, so etwa, daß die NATO-Rußland-Grundakte aufgekündigt oder gar die Ukraine in die NATO aufgenommen würde. Beides konnte die Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel trotz starken Drucks verhindern. Daß die NATO »das Tischtuch mit Rußland nicht auf Dauer und für lange Zeit« zerschnitten habe, das zeuge immerhin von einer gewissen »Umsicht«, äußerte am Samstag Gernot Erler, Rußland-Koordinator der Bundesregierung und Mitglied im Kuratorium des Deutsch-Russischen Forums, mit einer gewissen Erleichterung. Viel mehr ist für die Rußland-Fraktion der deutschen Eliten zur Zeit nicht drin.
* Aus: junge Welt, Montag 8. September 2014
Streit um »Rußland-Tag« in Mecklenburg-Vorpommern
Von Jörg Kronauer **
Jüngster Gegenstand der Abwehrkämpfe, die der Rußland-orientierte Teil der deutschen Eliten führt, ist der »Rußland-Tag«, den die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern für den 30. September und den 1. Oktober in Rostock und Wismar plant. Er soll »die guten Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Rußland und Mecklenburg-Vorpommern weiter (…) stärken«, heißt es in der Ankündigung. Als Ehrengäste sind Gerhard Schröder und der Gouverneur der Oblast Leningrad, Alexander Drosdenko, geladen. Die Beziehungspflege ist für das Bundesland von erheblicher Bedeutung: Rußland ist mit einem Volumen von fast 1,3 Milliarden Euro sein wichtigster Handelspartner; russische Unternehmer sind durchaus präsent. Im Mai etwa hat Witali Jussufow mit der Volkswerft Stralsund seine dritte Werft an der deutschen Ostseeküste gekauft. Der Mann, der bis 2009 Leiter des Moskauer Büros von Nord Stream war, hatte zuvor Wadan Yards mit Werften in Rostock-Warnemünde und in Wismar übernommen. Die Lokalpresse zählt ihn zu den »Mächtigsten« im Bundesland.
Weil der »Rußland-Tag« recht hoch angesiedelt wird, hat Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) persönlich die Schirmherrschaft übernommen. Nun aber machen transatlantische Kreise Druck. Ob die Ursache darin liegt, daß – wie Andrej Zwerew, der russische Handelsgesandte in Berlin, berichtet – die russische Botschaft in Deutschland zur Zeit versucht, die auf Regierungsebene schlechten Beziehungen durch eine engere Zusammenarbeit mit den Bundesländern zu stärken? Zwerew zufolge sind jedenfalls auch »Rußland-Tage« in Thüringen und in Baden-Württemberg geplant. Wie auch immer: CDU und Grüne machen gegen die mecklenburgische Veranstaltung mobil. »Es wäre absurd, daß Mecklenburg-Vorpommern die Wirtschaftskontakte intensivieren will, während die Europäische Union mit Sanktionen versucht, Putin Einhalt zu gebieten«, äußerte Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen Anfang September.
Sollte der »Rußland-Tag« stattfinden, wird auch das Wismarer »Ostinstitut« teilnehmen, das 2009 gegründet wurde – in Anwesenheit des Handelsgesandten Andrej Zwerew –, um »die Wirtschaft im Hinblick auf ihr Engagement in Rußland und den weiteren Staaten zu unterstützen und damit langfristig die Partnerschaft mit diesen Ländern zu fördern«. Das Institut wird von fünf Vorständen geleitet, darunter der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD).
** Aus: junge Welt, Montag 8. September 2014
Deutsche Wirtschaft: Kerninteressen gewahrt
Nein, Schwierigkeiten wegen der EU-Sanktionen gegen Rußland hat E.on nicht. Man sei mit dem Bau des neuen Großkraftwerks Beresowskaja durchaus im Plan, bekräftigte Konzernchef Johannes Teyssen Mitte August. Solange die russische Wirtschaft nicht wanke und keine Zahlungsprobleme entstünden, sei alles in Ordnung. Auch bei der Kasseler BASF-Tochter Wintershall ist man vollauf zufrieden. Rußlands Kartellamt hat soeben den Antrag der Firma genehmigt, einen 25-Prozent-Anteil an dem Gasprom-Projekt zu übernehmen, das einen Teil der Atschimowski-Lagerstätten im Urengoi-Erdgasfeld erschließt. Zudem wird, wie Rosneft-Chef Igor Setschin bestätigt, russisches Erdöl und Erdgas auch im kommenden Winter zuverlässig geliefert. »Rosneft und andere russische Unternehmen werden sich streng an ihre Lieferverträge halten«, erklärte Setschin vorige Woche. Das ist umso hilfreicher, als Rußland im ersten Quartal 2014 seine Erdöllieferungen nach Deutschland um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesteigert hat, um ausfallende Einfuhren aus Libyen zu ersetzen; dort hatten Aufständische die Verladestationen lahmgelegt. Man sieht: Die EU-Sanktionen greifen Kernbereiche der deutschen Interessen in Rußland nicht an.
Freilich sind dafür Gegenleistungen nötig. Gasprom hat als Ausgleich für die Gasfeldanteile im sibirischen Urengoi-Feld das Gashandels- und Gasspeichergeschäft von Wintershall in Deutschland übernommen; Wintershall-Vorstandsmitglied Gerhard König wechselt im Zuge dieses Tauschs im Herbst zu Gasprom. Einwände hat die Bundesregierung nicht, auch nicht dagegen, daß der russische Oligarch Michail Fridman, mit einem Vermögen von angeblich 17,4 Milliarden US-Dollar übrigens die Nummer 48 auf der Milliardärsliste von Forbes, die traditionsreiche RWE Dea für 5,1 Milliarden Euro übernimmt. Das sind Zugeständnisse, die man – Sanktionen hin, Sanktionen her – der Rußland-orientierten Fraktion der deutschen Wirtschaft gerne macht. Deren grundlegende Interessen bleiben bislang zuverlässig gewahrt.
(jk)
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