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Moskau will "nüchtern bleiben", aber nicht untätig

Russlands Verbraucherschutzbehörde revanchiert sich für Sanktionen der USA / Auch Ukraine schwingt die Embargokeule

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte bereits am Montag angesichts der drohenden neuen EU-Sanktionen versichert: »Wir wollen in dieser Situation nüchtern bleiben.«

Moskau werde keine Gegenmaßnahmen ergreifen, falls Brüssel weitere Sanktionen verhängt, betonte der russische Chefdiplomat Sergej Lawrow. »Wir sind alles andere als erfreut, aber die Schwierigkeiten, die in manchen unserer Wirtschaftsbranchen entstehen können, werden wir in den Griff bekommen und werden danach noch selbstständiger und selbstbewusster«, erklärte der Außenminister.

Für die Sanktionen der USA gilt das allerdings offenbar nicht. Vorerst übernimmt jedoch nicht der russische Geheimdienst die Rolle des Racheengels für die Sanktionen, mit denen Washington Moskau wegen dessen Ukrainepolitik belegt, sondern die Verbraucherschutzbehörde Ros-potrebnadsor. Seit Montag fahnden Kontrolleure landesweit in russischen Filialen der weltweit größten Fast-Food-Kette nach Darmbakterien in Macs und Milchshakes. Den Stein ins Rollen gebracht hatte eine Anzeige gegen zwei Restaurants im nordwestrussischen Nowgorod. Verbraucherschützer hatten dort in Hackfleischsemmeln und Salaten Mikroben gefunden und außerdem gravierende Verstöße gegen das Reinheitsgebot in Küche und Keller festgestellt. Zwar verwahrte sich eine Unternehmenssprecherin mit Verve gegen die Vorwürfe: Was über den Tresen geht, sei unbedenklich für den Verbraucher. Russlands oberste Hygieneärztin Anna Popowa ist da aber anderer Meinung. Die Zustände, so wurde sie von der Nachrichtenagentur ITAR Tass zitiert, seien in allen Filialen der Kette kritikwürdig, auch in der Hauptstadt.

Popowas Amtsvorgänger würde das Wildwest-Fast-Food am liebsten ganz verbieten: Gennadi Onnischtschenko ist seit dem Einfuhrstopp für moldauische und georgische Weine in Russland fast so bekannt wie Präsident Wladimir Putin. Auch er hatte das inzwischen teilweise wieder aufgehobene Embargo 2006 mit Qualitätsmängeln begründet. Kritische Beobachter im In- und Ausland vermuteten indes Bestrafung für die prowestliche Außenpolitik der beiden ehemaligen Sowjetrepubliken. Deren wichtigste Devisenbringer sind Weine und Weinbrände.

Auch das Hickhack um das Hackfleisch hat einen politischen Hintergrund. Vor Gott und der Verbraucherschutzbehörde, sagte der Vizevorsitzende des Gesundheitsausschusses der Duma, Oleg Kulikow, bei Radio »Echo Moskwy«, seien alle gleich. Die Zeiten, da Russland bei Verstößen gegen Hygienevorschriften »aus diplomatischen Gründen« alle Augen und Hühneraugen zugedrückt habe, seien vorbei.

Der Abgeordnete spielte damit auf die Tatsache an, dass die Fast-Food-Kette das erste Unternehmen aus den USA war, das schon während der Perestroika flächendeckend ins Russlandgeschäft einstieg. Die Ära Gorbatschow gilt auch als Wonnemonat der russisch-amerikanischen Beziehungen, die seit der Ukrainekrise wieder so schlecht sind wie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Und schon damals setzte der Westen auch auf die Macht wirtschaftlicher Sanktionen. Eine Keule, die inzwischen auch die UdSSR-Spaltprodukte gegeneinander schwingen.

So untersagte die Ukraine Mitte vergangener Woche die Einfuhr von russischem Schweinefleisch. Mit hochnotpeinlichen Kontrollen und der Beschlagnahme von Speck und Schinken, an denen sich die darbenden ostslawischen Brüder laben sollen, müssen sogar Reisende in Fernzügen an der Grenze zur Ukraine rechnen. Moskau revanchierte sich dafür am vergangenen Freitag mit einem Importstopp für ukrainische Molkereiprodukte, und seit Montag stehen auch Obst-, Gemüse- und Fischkonserven auf dem russischen Index.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. Juli 2014


»Politische Entscheidung«

Die deutsche Wirtschaft trägt Sanktionen mit – ohne Begeisterung **

Russland wird im »Westen« vorgeworfen, die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine zu unterstützen. Schon seit Monaten debattiert Europa in diesem Zusammenhang über Sanktionen. Die Bereitschaft dafür wächst in der demgegenüber bislang skeptischen deutschen Wirtschaft nach dem Abschuss des Passagierflugs mit der Kennung MH17. Ralf Streck sprach mit Tobias Baumann, Leiter des Referats Ost- und Südosteuropa beim Deutschen Industrie und Handelskammertags (DIHK).

Unterstützt der DIHK nun schärfere Sanktionen gegen Moskau?

Wir haben stets deutlich gemacht, dass wir keine Freunde von Sanktionen sind, aber die Entscheidungen der Politik nachvollziehen werden. Sie muss entscheiden, welche Mittel angemessen sind, um die Krise einzudämmen oder um Russland gegenüber Position zu beziehen. Da wir militärische Mittel ausschließen, müssen wir sehen, was die Entwicklung wirksam beeinflussen könnte.

Welche Auswirkungen hatten die bisherigen Sanktionen für die deutsche Wirtschaft?

Die ausgesprochenen EU-Sanktionen sind bisher begrenzt. In Erwartung schärferer Sanktionen hat sich aber das allgemeine Umfeld sehr verschlechtert. Aufträge wurden storniert, Neuaufträge nicht vergeben, der Export nach Russland brach in den ersten vier Monaten um 14 Prozent ein, weil der Rubel abwertet, die Kaufkraft sinkt, Kapital abfließt und die Wirtschaft in die Rezession rutscht.

De Bundesbank warnt, die Wirtschaft verliere an Schwung – und führt als Grund dafür auch geopolitische Spannungen wie in der Ukraine an. Der DIHK-Vize Volker Treier verwies darauf, jeder dritte Arbeitsplatz hänge vom Export ab. Werden neue Sanktionen die Lage verschärfen?

Davon kann man ausgehen. Wir rechnen 2014 mit einem Exportrückgang von etwa zehn Prozent. Das ist zwar viel, aber letztlich auch verkraftbar, da der Anteil Russlands an deutschen Exporten nur etwas über drei Prozent ausmacht. Man kann zwar formulieren, dass 300 000 Arbeitsplätze vom Export nach Russland abhängen, doch die sind ja nicht komplett gefährdet, weil wir zehn Prozent Exportrückgang haben.

Drängen Sie wie der Bundesaußenminister auf eine gleichmäßige Lastenverteilung? Er forderte ein ausgewogenes Sanktionspaket.

Es ist selbstverständlich, zu versuchen, die Last auf allen Schultern zu verteilen. Allerdings sind die Wirtschaftsbeziehungen sehr unterschiedlich, von daher kann man da keine Gerechtigkeit bei der Belastung herstellen.

Der Fraktionsvize von CDU/CSU, Michael Fuchs, regt an, weniger Gas aus Russland zu beziehen. Hätte das stärkere Folgen?

Auch das muss man in der Relation betrachten. Wir haben zwar eine Abhängigkeit von russischem Gas zu 35 Prozent, doch wir haben einen Gasanteil am Primärenergieverbrauch von nur 22 Prozent. Ein Drittel davon wären sieben bis acht Prozent. Doch denke ich nicht, dass Lieferungen ausfallen, weil Russland auf die Einnahmen angewiesen ist. Aber die Diskussion wird in Europa nicht mehr zu stoppen sein, wie schnell und bis zu welchem Grade man sich von Russland unabhängiger macht.

Woher sollte Ersatz für dieses Gas kommen? Aus Algerien?

Neben Algerien können es auch andere Länder sein – und der Flüssiggassektor kann ausgebaut werden. Das ist kein kompletter Ersatz. Es ist aber eine Entwicklung, die ich wegen dieser schweren Krise und fehlende Anstrengungen von Russland zur Konfliktbeilegung erwarte.

Droht ein Handelskrieg mit Folgen nahe der Stagnation? Volker Treier warnt vor »extremen Vergeltungsmaßnahmen« und einer »Sanktionsspirale«.

Darüber kann man nur spekulieren. Es ist nachvollziehbar, dass die Vorgänge eine positive Entwicklung nicht fördern. Inwiefern sich die Lage in der Eurozone und in den Krisenländern verschlechtert, kann niemand sicher sagen. Russland ist zwar ein wichtiger Partner, aber er kann uns im Hinblick auf die Gesamtexportstruktur nicht ins Unglück stürzen.

Sind Sanktionen gegen einen Partner wie Russland nicht verfrüht? Es ist unklar, wer die Maschine abgeschossen hat.

Es gibt keine letztgültigen Beweise, aber eine überzeugende Reihe von Indikatoren, die nahelegen, dass Russland für den Abschuss mitverantwortlich ist. Es ist eine politische Entscheidung und da können wir als Wirtschaft im Endeffekt nur das nachvollziehen, was die Politik vorgibt.

Auch wenn es deutsche Firmen hart trifft?

Ja. Wir befinden uns natürlich im Dialog mit der Politik, die die Entscheidungen treffen muss. Wir können auf Folgen hinweisen und versuchen zu antizipieren, welcher Schaden entstehen könnte. Das kann Arbeitsplätze kosten und diese Sorgen müssen wir ernst nehmen.

Glauben Sie an erfolgreiche Sanktionen?

Angesichts der Entwicklungen in der Ostukraine und des monströsen Abschusses geht es jetzt darum, Position zu beziehen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. Juli 2014


Westen beschließt Wirtschaftssanktionen

USA und EU als "Herz der Koalition" verschärfen "eng koordiniert" Strafmaßnahmen gegen Rußland

Von Klaus Fischer ***


Rußland soll zu Wohlverhalten gezwungen werden. Nach den EU-Staaten haben auch die USA am Dienstag schärfere Wirtschaftssanktionen gegen den auserwählten neuen Hauptfeind verhängt. Es sei eine »eng koordinierte Aktion« gewesen, sagte US-Präsident Barack Obama am selben Tag.

»Dies ist kein Kalter Krieg«, definiert Obama die ökonomische Aggression. Präsident Putin müsse entscheiden und seine Unterstützung für die Separatisten in der Ostukraine aufgeben. Zugleich bemühte er sich einmal mehr, so zu tun, als stünde alle Welt gegen Moskau: »Rußland isoliert sich heute erneut selbst von der internationalen Gemeinschaft«, sagte der Friedensnobelpreisträger.

Washington setzte nach eigenen Angaben weitere Banken auf die Liste, um deren Zugang zu mittel- und langfristiger Dollarfinanzierung zu erschweren. Betroffen seien auch russische Schiffsbauer, Technologiefirmen im Militärbereich sowie Unternehmen aus der Ölbranche.

Stunden zuvor hatte die EU erstmals Wirtschaftsstrafmaßnahmen gegen den früheren Partner – und Hauptlieferanten fossiler Energieträger – beschlossen. Auch Brüssel will russischen Unternehmen den Zugang zu EU-Finanzmärkten erschweren. Rüstungslieferungen sollen künftig nicht mehr möglich sein. Auch ein Exportverbot für bestimmte Hochtechnologiegüter an das russische Militär und die dortige Ölindustrie wurde erlassen. Dies alles muß bis Donnerstag noch formell von den EU-Regierungen gebilligt werden.

Große Freude löste der EU-Schritt in den Redaktionsstuben der deutschen Konzernmedien aus. FAZ-Außenpolitikchef Klaus-Dieter Frankenberger kommentierte am Mittwoch: »Das ist ein Konflikt, den die Europäer weder gewollt noch vom Zaun gebrochen haben.« Und er warnte: »Auch da sollte sich niemand von der russischen Propaganda und deren Sekundanten im Westen irre machen lassen.« Der Traktat ist überschrieben mit: »Der Westen wollte friedliche Kooperation – bekommen hat er einen Massenmord«.

Nun sitzen »EU und USA« (laut Obama »das Herz der Koalition«) nebst ihren Kiewer Schützlingen nicht im Buddelkasten und zanken sich mit einem renitenten Kind. Die wirtschaftliche Aggression gegen Rußland wird Reaktionen zeigen. Das dämmert sogar Medienvertretern in Polen. Nach einer Aufzählung diverser schlimmer Eigenschaften Putins kommt die Gazeta Wyborcza zu dem Schluß: »Niemand im Westen will dauerhaft die Beziehungen zu Rußland verderben. Im Gegenteil, man muß sich bemühen, damit sie möglichst gut sind.«

Soweit will man in Deutschland nicht gehe: Die Strafen seien »unumgänglich«. Nun müsse die russische Führung entscheiden, ob sie den Weg der Deeskalation und der Zusammenarbeit einschlagen wolle, ließ sich Kanzlerin Angela Merkel zitieren.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 31. Juli 2014


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