Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

EU verstärkt Sanktionsdruck auf Moskau

Russland sieht Zusammenarbeit bei Terrorbekämpfung gefährdet / Brüssel plant weiteres Paket

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Wegen der Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt hat die EU ranghohe Vertreter der Moskauer Sicherheitsbehörden auf die Sanktionsliste gesetzt.

Das globale Terrorismus-Netzwerk werde jauchzen. Die Sanktionen, die Europa gegen hochrangige russische Geheimdienstler beschloss, würden die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Extremismus und grenzüberschreitender organisierter Kriminalität akut gefährden. Brüssel trage dafür die volle Verantwortung. So reagiert das Moskauer Außenamt und wirft der Europäischen Union Selbstkasteiung vor. Gemeint sind die Sanktionen, die Brüssel am Freitag beschloss. Damit werden Einreisesperren und das Einfrieren von Vermögenswerten in Europa auf weitere 15 Einzelpersonen und 18 Unternehmen in Russland und in dem von prorussischen Separatisten kontrollierten Südosten der Ukraine ausgedehnt.

Schon am Dienstag könnte ein weiteres Paket greifen und ganze Branchen treffen. So will die EU den Handel mit Rüstungsgütern und solchen, die neben zivilem auch militärischen Nutzen haben, sowie den Export von Hochtechnologien drastisch einschränken. Vor allem für den Energiesektor. Ambitionierte Pläne für die Erschließung und Ausbeute von Lagerstätten in der russischen Arktis müssten dann vertagt, womöglich sogar ganz aufgegeben werden. Zumal russische Unternehmen sich auf dem europäischen Finanzmarkt künftig kein Geld mehr leihen können sollen.

Europa ist neben China Russlands größter Handelspartner. Brüssels Sanktionen, warnen Experten wie Ex-Zentralbankchef Sergej Alexaschenko, werden Russland daher sehr viel mehr weh tun als die der USA.

Vor allem das erklärt auch die ungewöhnlich schrillen Töne, die das sonst in der Wortwahl eher maßvolle russische Außenministerium in seiner Erklärung vom Wochenende anschlug. Mit der Verschärfung der Sanktionen habe Europa sich definitiv an Washingtons Tropf gehängt, das in seiner Außenpolitik zunehmend auf unverhüllte Lügen setze, um Russland zu diskreditieren. Jüngstes Beispiel seien Äußerungen von Präsident Barack Obamas Pressesprecher Josh Earnest. Er habe Moskau direkt die Schuld für den Absturz der malaysischen Boeing angelastet, sich bei der Begründung jedoch statt auf Fakten auf Informationen aus sozialen Netzwerken berufen.

Fast zeitgleich hatte Milizenchef Alexander Chodakowski, den die Nachrichtenagentur Reuters mit Auslassungen zitierte, wonach die Separatisten entgegen Moskaus Darstellung doch über Buk-Raketen verfügen, mit denen die Boeing vermutlich abgeschossen wurde, gegenüber der Agentur RIA Novosti dementiert. Bei dem Interview sei es um mögliche Versionen gegangen, der Reuters-Korrespondent habe gefragt, ob man annehmen könne, dass die Rebellen auf ein Militärflugzeug geschossen, aber die Passagiermaschine getroffen hätten. Er, Chodakowski, habe geantwortet, »wenn diese (die Rebellen) Buk gehabt hätten, könnte man das annehmen«. Der Reuters-Mann habe aus dem Konditional jedoch einen Indikativ – die Wirklichkeitsform – gemacht.

* Aus: neues deutschland. Montag, 28. Juli 2014


Neue Sanktionen

Europäische Staaten wollen Maßnahmen gegen mehrere russische Wirtschaftszweige verhängen

Von Knut Mellenthin **


Die EU verschärft ihre Sanktionen gegen Rußland. Am Freitag wurden neue Strafmaßnahmen gegen russische Staatsbürger und Unternehmen sowie gegen Organisationen in der Ostukraine beschlossen. Über sehr viel weiter gehende Restriktionen, die sich gegen ganze Zweige der russischen Wirtschaft richten sollen, werden die Gremien der Europäischen Union in dieser Woche beraten.

Die am Freitag vereinbarten Strafmaßnahmen treffen 15 Personen, neun Firmen und neun Vereinigungen. Sie beinhalten Einreiseverbote und das »Einfrieren« eventuell vorhandener Konten und anderer Vermögenswerte in den 28 Mitgliedstaaten der Union. Damit erhöht sich die Gesamtzahl der von solchen Maßnahmen der EU betroffenen Russen und Ukrainer auf 87 Personen und 20 Körperschaften.Unter den neu auf die schwarze Liste Gesetzten sind Alexander Bortnikow, Chef des russischen Geheimdienstes FSB, Michail Fradkow, Leiter des Auslandsgeheimdienstes, und Nikolai Patruschew, Sekretär des Sicherheitsrats der Russischen Förderation. Ihnen wird in der offiziellen Mitteilung der EU vorgeworfen, daß sie »an der Gestaltung der russischen Regierungspolitik beteiligt« seien, »die die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine bedroht«. Ebenfalls auf der Liste steht jetzt der Präsident der Tschetschenischen Republik innerhalb der Russischen Föderation, Ramsan Kadirow. Er habe Stellungnahmen zur »Unterstützung der illegalen Annexion der Krim und des bewaffneten Aufstands in der Ukraine« abgegeben und die Entsendung von Freiwilligen angeboten, heißt es in der Begründung der EU. Zu den neu auf die Strafliste gesetzten Körperschaften gehören die Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine sowie deren Sicherheitskräfte, und einige Unternehmen auf der Krim.

Am Dienstag hatten die EU-Außenminister außerdem die Europäi­sche Kommission, eines der nicht demokratisch legitimierten, aber dafür umso einflußreicheren EU-Gremien, beauftragt, »im Licht der russische Rolle bei der Destabilisierung und Eskalation der Lage in der Ukraine« ein »Paket restriktiver Maßnahmen« gegen die russische Wirtschaft auszuarbeiten. Soweit bisher bekannt wurde, soll es sich hauptsächlich um Sanktionen in vier Bereichen handeln: Beim Zugang russischer Unternehmen zu den Finanzmärkten der EU, hauptsächlich bei der Aufnahme von Krediten; beim Export von Rüstungsgütern; bei der Ausfuhr sogenannter »sensibler Technologien« beispielsweise für die russische Erdölindustrie; beim Export von »Dual-Use«-Gütern, also von Geräten und Technologien für die zivile Wirtschaft, die aber theoretisch auch militärisch genutzt werden könnten.

Die Diskussion über diesen Paketvorschlag, an dem während des Wochenende noch weiter gebastelt wurde, soll am Dienstag fortgesetzt werden. Dann wird voraussichtlich auch entschieden, ob die EU-Mitglieder für die Verabschiedung dieser Maßnahmen, die einen qualitativen Einschnitt bedeuten würden, einen Sondergipfel für erforderlich halten. Gegenwärtig bestehen offenbar noch gewichtige Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Staaten. Beispielsweise möchte Frankreich erreichen, daß das angestrebte Verbot von Rüstungsexporten nicht rückwirkend für längst geschlossene und weitgehend schon abgewickelte Verträge gilt.

Deutsche Medien veröffentlichten am Wochenende unter Berufung auf angebliche Einschätzungen des Auslandsgeheimdienstes BND wilde Spekulationen über »Brüche im Machtblock Putins«. »Hardliner und Oligarchen« kämpften um Einfluß auf die russische Regierungspolitik, hieß es dort. Spiegel online schrieb am Sonntag: »Aus Sicht des BND ist es durchaus möglich, daß einige der wegen der EU-Sanktionen besorgten Oligarchen bald schon wirtschaftliche über politische Interessen stellen und Putin zu bremsen versuchen.« In der Hoffnung, die vermuteten Widersprüche weiter anheizen zu können, fordert Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gezielte Strafmaßnahmen der EU, die die »Oligarchen«, also die russischen Wirtschaftsmilliardäre, treffen müßten.

** Aus: junge Welt. Montag, 28. Juli 2014


Zurück zur Russland-Seite

Zur Russland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur EU-Europa-Seite

Zur EU-Europa-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Seite "Sanktionen, Embargo"

Zur Seite "Sanktionen, Embargo" (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage