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Rohstoffe und mehr

Gemeinsamer Markt, Interessenausgleich und "Freundschaftsbund": Rußland, Belarus und Kasachstan einigen sich auf Eurasische Wirtschaftsunion

Von Rainer Rupp *

Belarus, Kasachstan und die Russische Föderation bilden die Eurasische Wirtschaftsunion. In der kasachischen Hauptstadt Astana unterzeichneten am Donnerstag die Präsidenten der drei Staaten die Gründungsdokumente. Am 1. Januar 2015 soll die neue Union ihre Arbeit aufnehmen, bis 2025 soll sie vollendet sein. Bei der Zeremonie fehlte der demokratisch gewählte Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch. Als der sich Ende 2013 gegen eine weitere Annäherung an die EU und für den Beitritt zur geplanten Wirtschaftsunion entschieden hatte, machten USA und EU dagegen mobil. Sie finanzierten die zunächst friedliche Maidan-Protestbewegung in Kiew – die dann von faschistischen Sturmtruppen übernommen wurde. Mit offener Unterstützung des Westens wurde der Präsident nach einem blutigen Putsch davongejagt. Nun wüten diese Sturmtrupps der Reaktion in der Ostukraine.

In Astana unterschrieben Wladimir Putin, Nursultan Nasarbajew und Alexander Lukaschenko nicht nur Papiere. Mit ihrem Bekenntnis zur Bildung eines einheitlichen Marktes für Waren und Dienstleistungen setzten sie auch ein politisches Zeichen gegen westliche Boykottbestrebungen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens endet eine fast fünf Jahre dauernde Vorbereitungszeit, die 2009 mit der Schaffung einer Zollunion begonnen hatte. Dafür müssen insbesondere noch einheitliche Gas- und Ölmärkte geschaffen werden, während die Handelspolitik der Wirtschaftsunion unverändert bleibt. Putin betonte bei der Feierstunde, daß die Union etwa ein Fünftel der weltweiten Gasreserven sowie 15 Prozent der Öllagerstätten kontrolliere.

Doch das Bündnis will mehr sein als ein globales Rohstoffoligopol. Ähnlich wie früher bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird es nach außen einheitliche Zollregulierung und -tarife sowie freie Warenbewegungen im Inneren der Union geben. Gleiches gilt auf dem Markt für Dienstleistungen, auf den etwa die Hälfte der Wirtschaftsleistungen in der neuen Union entfällt. Auch das Prinzip bei der Verteilung der Einnahmen aus den Einfuhrzöllen bleibt gleich: Rußland würde 87,97 Prozent, Kasachstan 7,33 Prozent und Belarus 4,7 Prozent erhalten. Laut Erklärung der russischen Präsidialverwaltung werde die neue Union ein selbständiges Subjekt des Völkerrechts sein.

Die Regeln sind überschaubar: Jedes Mitgliedsland kann seine eigene Industriepolitik betreiben und auch Unternehmen subventionieren. Letzteres darf jedoch nicht zu Dumping führen, also zwecks Exporteinnahmen oder der Verdrängung von Wettbewerbern eigene Produkte unter den Herstellungskosten im anderen Land zu verkaufen. Innerhalb der Union können auf bestimmte Produkte Zölle für bis zu sechs Monate erhoben werden. Angeglichen werden sollen die Investitionsrichtlinien. Zugleich wollen sich Rußland, Belarus und Kasachstan in einem nächsten Schritt auf eine einheitliche makroökonomische, Kartell-, Währungs- und Finanzpolitik einigen. Von einem Übergang zu einer Währungsunion ist in dem Dokument keine Rede.

Es handele sich um ein neues Modell der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im postsowjetischen Raum, so der kasachische Staatspräsident Nasarbajew. Zugleich lasse die Organisation die staatliche Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten unberührt, betonte er. Auch Lukaschenko wies westliche Unterstellungen zurück, daß es hier um die Wiederauferstehung der Sowjetunion gehe. Es sei ein »Freundschaftsbund« zwischen gleichberechtigten Staaten, sagte er. Die inzwischen auf antirussische Demagogie eingeschworenen deutschen Konzern- und Staatsmedien sehen das anders. Unter der Überschrift: »Zum Unterschreiben verdammt« berichtet beispielsweise die FAZ vom angeblich »unklaren wirtschaftlichen Erfolg« der neuen Wirtschaftsunion, in der sich »die kleinen Partner Moskaus übervorteilt« sähen.

Auch andere »Qualitätsmedien« hetzen eifrig gegen Moskau. Dem werfen sie vor, die ehemaligen Sowjetrepubliken wieder unter die Vormacht Rußlands zwingen zu wollen, um seine »neoimperialen Ambitionen« voranzutreiben. Daher könne die Tatsache, daß auch die früheren Sowjetrepubliken Armenien und Kirgisien in nächster Zeit als Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion aufgenommen werden wollen, nur mit russischen Erpressungsversuchen »erklärt« werden. Daß dieses Staaten nach dem Ende der Sowjetunion nicht nur in der seinerzeit gebildeten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), sondern auch in anderen politischen und sicherheitspolitischen Organisationen erfolgreich und zum gegenseitigen Vorteil zusammenarbeiten, paßt ganz offensichtlich nicht ins gegenwärtige Grundmuster westlicher »Berichterstattung« aus dem Raum: Der umfaßt fast 200 Millionen Einwohner (170 Millionen in den drei Gründerstaaten) und ist mit rund 20 Millionen Quadratkilometern annähernd so groß wie Nord- und Zentralamerika zusammen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 31. Mai 2014


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