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Putin findet Augenhöhe

Russlands Interessen reichen auch nach der Sowjetära weit über Syriens Grenzen hinaus

Von Klaus Joachim Herrmann *

Glaubte man einer weit verbreiteten These zum Syrien-Konflikt, dann wäre Russlands Präsident Putin nichts weiter als ein um seinen Absatz besorgter Waffenhändler. Doch geht es um weit mehr.

Lange Zeit als sture Stütze eines blutigen Diktators beschimpft, steht Russlands Präsident im Streit um Syrien plötzlich erfolgreich da. Wladimir Putin verzögerte und verhinderte vielleicht mit seiner Initiative für den Beitritt Syriens zur Chemiewaffenkonvention von 1993 einen blutigen Waffengang. Wie man auch den syrischen Präsidenten be- und verurteilen mag, es wurde Bedenk-, Verhandlungs- und damit Friedenszeit gewonnen.

Damit sie nicht ohne Moskauer Einflussnahme verstreichen möge, ließ Putin der Diplomatie einen Meinungsbeitrag in der »New York Times« folgen. Darin bescheinigte er den USA zum Morgenkaffee in ihrer eigenen Küche, sie würden zunehmend als Staat wahrgenommen, der sich »allein auf brutale Gewalt« verlasse. Ein Militärschlag würde in Syrien nur zu weiteren Opfern und Eskalation führen.

Die vermeintlichen russischen Interessen in Syrien waren bislang vom Westen im anklagenden und bittersten Ton rasch aufgezählt: die Pflege einer langjährigen Freundschaft mit dem Assad-Clan und des Absatzes von Waffen, der Erhalt des einzigen russischen Mittelmeer-Militärstützpunktes in der Hafenstadt Tartus und vielleicht noch die Verhinderung einer für Russland geschäftsschädigenden Gasleitung vom Golf über Syrien bis in die Türkei.

Das ist etwas schlicht und agitatorisch, aber wirksam. Doch gibt es sachdienliche Hinweise auf andere ernsthafte Handlungsantriebe jenseits der gern bemühten präsidialen Unverträglichkeit des Kremlchefs mit dem Amtskollegen im Weißen Haus.

So sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow zu den militärischen Bestrebungen der USA einfach: »Das haben wir alles schon mal in Irak und in Libyen erlebt.« Das ist das Wissen um Vorwände für den Krieg, die von den Geheimdiensten schamlos fabriziert wurden. Das ist die Erfahrung, dass versprochene Sicherheit und Demokratie nach gewaltsamen Eingriffen ausblieben und bis heute Chaos herrscht. Es kam zur beispiellosen Destabilisierung einer ganzen Region.

Die NATO hatte in der Libyen-Krise eine Enthaltung Russlands im UN-Sicherheitsrat in einen Marschbefehl umgedeutet und den militärischen Sturz Muammar al-Gaddafis in Tripolis vorangetrieben. Dieses Vorgehen sah Moskau durch die UNO niemals gedeckt und sich betrogen. Angesichts der US-Pläne zur Stationierung von Flugabwehrraketen in Jordanien zur Durchsetzung einer möglichen Flugverbotszone über Syrien warnte Lawrow diesmal vorsorglich: »Man braucht kein großer Experte zu sein, um zu begreifen, dass dies gegen das Völkerrecht verstoßen würde.« Dabei räumte der Chef des russischen Außenamtes ein: »Wenn jemand um jeden Preis Gewalt anwenden will, werden wir dies kaum verhindern können.« Den Segen des UN-Sicherheitsrates werde es aber nicht geben. Da ist dann das von der Sowjetunion geerbte russische Veto vor. Dieses würde Moskau sicher auch in der Sorge einlegen, die Notwendigkeit militärischer Schläge könnte eines Tages vor der eigenen Haustür geltend gemacht werden und Kriege dorthin tragen.

Ohnehin betont Russland immer wieder das völkerrechtliche Grundprinzip der Souveränität. Es wendet sich gegen Interventionen aus sogenannten humanitären und allen möglichen anderen Gründen. Würde das Völkerrecht nicht mehr die eigene Sicherheit gewährleisten, suchten auch die kleineren Staaten nach Schutz – nicht zuletzt mit Hilfe eigener Massenvernichtungswaffen. Da wirke, so Putin in der »New York Times«, die einfache Logik: »Wenn du die Bombe hast, wird man dir nichts antun.«

Auf Syrien, so sieht man es nicht nur in Moskau, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit Iran folgen. Mag der russische Einfluss auf seine Nachbarregion auch begrenzt sein, so ist der US-amerikanische hier noch geringer. So soll es nach dem Willen des Kreml bleiben. Dies um so mehr, da Russland bei früheren sowjetischen und nun selbstständigen zentralasiatischen Staaten ein eigenes Interesse an Stabilität hat. Vom islamisch geprägten Kaukasus – hier ganz besonders von Tschetschenien – fühlt sich Russland traditionell schon übergenug bedroht.

Wenn Putin auch längst das Ende der Sowjetära ausrief, so dürfte es damit mehr Weile als Eile haben. Lange nach der Auflösung der Union dauern die schmerzlichen Abschiede fort. Der Drang des Baltikums in die EU war am ehesten zu erwarten. Doch nun strebt mit der Ukraine ein einstiges Kernland der slawischen Gemeinschaft in die Europäische Union. Mit dem EU-Programm »Östliche Partnerschaft« sollen zudem die Ex-Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien und Belarus »herangeführt« werden. All das betrachtet Moskau als Wilderei in seinem ureigensten Einflussgebiet. Der Raketenschirm, den die USA in Osteuropa aufspannt, passt dazu. Er ist das Zeichen historischen Verlustes von Verbündeten und kann von Moskau nur als gegen Russland gerichtete Abschreckung verstanden werden – gegen wen denn sonst?

Auf die territorialen »Verkleinerungen« und solche als Herabsetzung empfundene Behandlung hat der Kreml wiederholt mit Zarenprunk und der Wiederbelebung von Sowjetsymbolik geantwortet. Vor einem Minderwertigkeitskomplex und Sehnsucht nach der Sowjet-Supermacht warnt denn auch der Publizist Fjodor Lukjanow. Russland würde sich damit nicht als selbstständige Größe, sondern als »ein Splitter der einstigen Großmacht« präsentieren. Es habe nicht die außenpolitischen Ressourcen der Sowjetunion, und die Welt habe sich verändert.

Mit Diplomatie, die verbreiteter Unlust zu Blutvergießen Ausdruck und Lösung bietet, könnte Russland allerdings wieder Augenhöhe mit der verbliebenen Supermacht USA finden, erreichen und halten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. September 2013


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