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Russlands Achillesferse: Tschetschenien, Ingutschetien, Dagestan

Mordanschläge auf Politiker und Menschenrechtler/innen häufen sich

In den südlichen Republiken Russlands steht es längst nicht so gut, wie die Moskauer Staatsführung vorgibt. Selbst in Tschetschenien, wo der Bürgerkrieg als längst abgeschlossen gilt, sind Entführungen, Morde und Attentate wieder oder immer noch auf der Tagesordnung. Und die angrenzenden Republiken Inguschetien und Dagestan machen ebenfalls negative Schlagzeilen.
Im Folgenden dokumentieren wir zu den jüngsten Ereignissen einen Kommentar sowie eine Reihe von Meldungen der Nachrichtenagentur RIA Novosit - Meldungen also aus russischer Sicht.



Minister im Kaukasus ermordet

In der russischen Kaukasus-Republik Inguschetien ist am Mittwoch (12. August) der Bauminister in seinem Büro erschossen worden. Nach Angaben einer Sprecherin des Innenministeriums hätten zwei Männer am Vormittag das Büro von Ruslan Amerchanow in Magas in der Nähe von Nasran betreten und ihn ermordet. Die Täter flüchteten in einem wartenden Auto. Die Ermittler vermuteten, daß das Attentat auf Amerchanow mit seiner Arbeit zusammenhängen könnte. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel die Prüfung von Bauprojekten, bei denen Sicherheitsvorschriften verletzt oder Gelder veruntreut wurden.
(AP/jW, 13. August 2009)


Der Finger auf Moskau

Von Detlef D. Pries *

Am Mittwoch (12. August) wurde Inguschetiens Bauminister Ruslan Amerchanow an seinem Schreibtisch von Unbekannten erschossen. Der Präsident der Republik, Junus-Bek Jewkurow, war am 22. Juni selbst Opfer eines Anschlags geworden, überlebte jedoch schwer verletzt. Kurz zuvor war Dagestans Innenminister Adilgerei Magomedtagirow ermordet worden.

Erschossen wurde auch die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa am 15. Juli. Sarema Sadulajewa, die Leiterin einer tschetschenischen Kinderhilfsorganisation, und deren Mann wurden am Dienstag (11. Aug.) ermordet aufgefunden. Sie alle, und viele Menschen mehr im russischen Nordkaukasus, sind Opfer abscheulicher Verbrechen geworden, die strenge Verurteilung verdienen. Doch nur in bestimmten Fällen zeigt man hierzulande mit dem Finger auf Moskau, fordert »schonungslose« Aufklärung und rasche Festnahme von Tätern und Drahtziehern, beklagt unzureichenden Schutz der Opfer, unterstellt »dem Kreml« Mangel an Mitgefühl, wenn nicht gar Begünstigung von Morden oder heimliche Mittäterschaft.

Tatsächlich zeigen die Ereignisse, dass Russland im Nordkaukasus ein Problem hat. Zwar wurde die »antiterroristische Operation« in Tschetschenien offiziell für beendet erklärt, doch »im Griff« hat Moskau die Lage in der Region ganz und gar nicht. Grund zum Nachdenken über die Nordkaukasus-Politik gibt es im Kreml und Moskaus Weißem Haus also sehr wohl. Unterstellungen sind aber keine Denkhilfe.

* Aus: Neues Deutschland, 13. August 2009 (Kommentar)


Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti: Meldungen aus Tschetschenien und Inguschetien

Inguschetiens Bauminister in eigenem Arbeitszimmer erschossen

ROSTOW AM DON, 12. August (RIA Novosti). Der Bauminister der russischen Teilrepublik Inguschetien, Ruslan Amerchanow, ist am Mittwoch (12. Aug.) von Unbekannten in seinem Arbeitszimmer erschossen worden.

Das erfuhr RIA Novosti telefonisch bei einem Sprecher des Innenministeriums Inguschetiens. "Die Umstände des Vorfalls werden untersucht", fügte der Sprecher hinzu.

Nach Angaben des Sprechers des Innenministeriums "drangen zwei maskierte Männer in paramilitärischer Uniform mit einer MPi und einer Pistole bewaffnet ins Arbeitszimmer des Ministers ein und erschossen ihn. "Zunächst schossen sie auf seinen Assistenten Magomed Amerhanow, der später mit einer Schusswunde ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Er ist außer Lebensgefahr", hieß es.

Anschließend verließen die Täter das Gebäude und verschwanden mit einem Lada mit nordossetischem Kennzeichen.

Amerchanow war im Herbst vergangenen Jahres von Inguschetiens Präsident Junus-Bek Jewkurow zum Minister ernannt worden. Jewkurow selbst überlebte am 22. Juni einen Anschlag nur knapp.


Dramatisch mehr Morde und Entführungen in Tschetschenien

GROSNY, 12. August (RIA Novosti). In Tschetschenien nehmen Morde und Entführungen dramatisch zu: Im ersten Halbjahr wurden in der russischen Kaukaus-Republik 23 Menschen gekidnappt, fast sechsmal so viel wie im Vorjahreszeitraum.

Das teilte das Ermittlungskomitee der russischen Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit. Die Zahl der Morde sei dabei um die Hälfte auf 78 gewachsen.

Der Behörde zufolge gab es in den ersten sechs Monaten zudem einen Zuwachs um 40 Prozent beim Waffendiebstahl, während der Autodiebstahl sich beinahe verdreifachte. Zugleich seien terroristische Verbrechen um knapp fünf und die organisierte Kriminalität um die Hälfte zurückgegangen.


Kadyrow-Gesandter und Sakajew wollen Weltkongress der Tschetschenen

LONDON, 12. August (RIA Novosti). Der tschetschenische Parlamentschef Dukwachi Abdurachmanow und der im Londoner Asyl lebende Separatistenchef Ahmed Sakajew haben sich auf die Einberufung eines Weltkongresses des tschetschenischen Volkes geeinigt.

Das teilte Sakajew am Mittwoch (12. Aug.) auf einer Pressekonferenz in London mit. Ihm zufolge soll der Kongress, der tschetschenische Delegierte aus aller Welt vereinigt und zuletzt 2002 in Kopenhagen tagte, bei der Lösung der für das tschetschenische Volk relevanten Probleme helfen und ein Fundament für die Zukunft legen.

Man wolle den Kongress nicht in eine Versammlung der Anhänger von Sakajew und Kadyrow verwandeln und damit in Misskredit bringen. Deshalb werde der Vorschlag zur Einberufung des Kongresses dem Hauptquartier des Kongresses in Brüssel vorgelegt werden, der die Vorbereitungen treffen solle, sagte Sakajew. "Alle, die sich um die Zukunft des tschetschenischen Volkes kümmern, müssen am Kongress teilnehmen, um eine gemeinsame politische Plattform auszuarbeiten."

Abdurachmanow äußerte seinerseits, "Wir werden den Organisatoren vorschlagen, dass der Kongress noch in diesem Jahr zustande kommt."

Der tschetschenische Menschenrechtsbeauftragte Nurdi Nuchadschijew würdigte die Entscheidung zur Durchführung des Kongresses als eine gute Nachricht. Der Kongress sei das beste Instrument zur Konsolidierung der tschetschenischen Gesellschaft und zur Bewältigung der noch offenen Probleme, sagte Nuchadschijew in einem Gespräch mit RIA Novosti.


Berufung abgelehnt: Tschetschenischer Extremist bleibt lebenslang in Haft

MOSKAU, 12. August (RIA Novosti). Russlands Oberstes Gericht hat am Mittwoch (12. Aug.) die lebenslange Freiheitsstrafe gegen den tschetschenischen Extremisten Anri Dandajew wegen der Teilnahme an der Hinrichtung von sechs russischen Soldaten in Kraft gelassen.

Wie RIA Novosti von einem Mitarbeiter des Gerichts erfuhr, wurde die Berufung für eine Verkürzung der Strafzeit abgewiesen.

Dandajew war der Zugehörigkeit zu einer Verbrechergruppe, der Teilnahme an einem bewaffneten Aufstand und an einem Attentat auf Sicherheitskräfte sowie illegalen Waffenhandels für schuldig gesprochen worden.

Nach Angaben der Ermittler waren sechs Angehörige der Bereitschaftstruppen des russischen Innenministeriums im September 1999 im Dorf Tuchtschar (Republik Dagestan) von tschetschenischen Extremisten hingerichtet worden. Fünf Opfern wurde der Hals abgeschnitten und der sechste wurde nach versuchter Flucht erschossen.

Dandajew, der sich mehr als acht Jahre lang in Tschetschenien versteckt hatte, wurde im vergangenen Jahr verhaftet und vor Gericht gestellt.


Morde an Bürgerrechtlern: Sakajew sieht Kadyrow nicht als Drahtzieher

LONDON, 12. August (RIA Novosti). Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow hat mit den jüngsten Morden an Bürgerrechtlern nichts zu tun, sagte Achmed Sakajew, der im Westen als Chef der tschetschenischen Exil-Regierung gilt.

"Nein, ich denke nicht, dass Ramsan Kadyrow hinter diesen Morden steckt. Das liegt nicht in seinem Interesse, da bin ich absolut sicher", betonte der als Asylant in London lebende Sakajew am Mittwoch (12. Aug.).

Was aber mit regierungskritischen Menschen in Tschetschenien geschehe, sei ein "Indikator" für den Zustand der Gesellschaft: Die tschetschenische Führung sei für solche Morde zwar nicht strafrechtlich, aber politisch verantwortlich, betonte Sakajew, gegen den in Russland wegen der "Organisierung illegaler bewaffneter Formationen" ermittelt wird.

Bürgerrechtlerin Sarema Sadulajewa von der Nichtregierungsorganisation "Let's Save the Generation" und ihr Ehemann Alik Dschabrailow waren am Montag (10. Aug.) entführt und ermordet worden. Die Bluttat geschah weniger als einen Monat nach dem Mord an Natalia Estemirowa von der Menschenrechtsorganisation Memorial.


Blutrache? Ermordete Menschenrechtlerin in Tschetschenien womöglich Zufallsopfer

MOSKAU, 12. August (RIA Novosti). Die tschetschenische Menschenrechtlerin Sarema Sadulajewa, die in dieser Woche in Grosny getötet wurde, war womöglich ein Zufallsopfer eines Attentats auf ihren Ehemann Alik Dschabrailow.

Das teilte das Ermittlungskomitee der russischen Staatsanwaltschaft am Mittwoch (12. Aug.) mit. Die Ermittler nähmen mehrere Motive unter die Lupe, schließen aber nicht aus, dass die Tötung Dschabrailows das primäre Ziel des Attentats gewesen sei.

Zuvor hatte der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow mitgeteilt, dass Sadulajewas Ehemann früher Mitglied einer bewaffneten Bande in Tschetschenien und möglicherweise in Ermordungen von Tschetschenen verwickelt gewesen sei. Er und seine Frau könnten deshalb aus Blutrache getötet worden sein, mutmaßte Kadyrow. Dschabrailow sei wegen Mitgliedschaft in Banden zu vier Jahren Haft verurteilt, jedoch vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden.

Sarema Sadulajewa, Leiterin der Nichtregierungsorganisation "Generation retten", und ihr Ehemann Alik Dschabrailow waren am Montag (10. Aug.) in Tschetschenien entführt und am Dienstag (11. Aug.) in der Hauptstadt Grosny tot aufgefunden worden. Knapp einen Monat davor war in der Kaukasus-Republik die Bürgerrechtlerin Natalia Estemirowa gekidnappt und getötet worden. Die Morde erregten weltweit großes Aufsehen. Der russische Präsident Dmitri Medwedew forderte von den Behörden eine intensive Aufklärung der tragischen Ereignisse. Die Generalstaatsanwaltschaft entsandte am Dienstag ein Ermittlerteam nach Tschetschenien.


Russlands Bürgerrechtler wollen mit Medwedew über Mordserie in Tschetschenien sprechen

MOSKAU, 12. August (RIA Novosti). Russlands Menschenrechtsbeauftragter Wladimir Lukin wird einen Brief an Präsident Dmitri Medwedew mit der Bitte um ein Treffen mit führenden russischen Menschenrechtlern richten. Der aktuelle Anlass ist die letzten Morde an ihren Kollegen im Nordkaukasus.

Das teilte Nikolai Swanidse, Mitglied der Gesellschaftskammer Russlands, am Mittwoch (12. Aug.) RIA Novosti mit.

"Für uns Menschenrechtler wäre es überaus zweckmäßig, mit dem Präsidenten zusammenzutreffen", fügte er hinzu.

Wie Swanidse weiter ausführte, war dieser Beschluss in einer Sitzung der Arbeitsgruppe für Vorbeugung von schweren Verbrechen gegen Leben, Würde und Freiheiten der Bürger im Nordkaukasus getroffen worden.

Dieser Gruppe gehören neben Lukin und Swanidse auch die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ludmila Alexejewa und die Vorsitzende des Rates für Förderung der Institute der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim Präsidenten Russlands, Ella Pamfilowa, an.

An der Sitzung nahmen auch Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums Memorial teil, fügte Swanidse hinzu.

Die 32jährige Sarema Sadulajewa und der 33jährige Alik Dschabrailow, Mitglieder der nichtstaatlichen Organisation "Die Generation retten", die Anfang dieser Woche in Tschetschenien getötet wurden, "waren keine Bürgerrechtler, sie haben sich mit Wohltätigkeit beschäftigt, dennoch handelt es sich um einen Doppelmord an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens", so Swanidse.

Nach seinen Worten hat sich bei den Ermittlungen des Mitte Juli begangenen Mordes an der Memorial-Aktivistin Natalia Estemirowa "bisher noch nichts getan", stellte er fest.


Inguschetiens Präsident stellt Extremisten vor Wahl: Gericht oder Tod

MOSKAU, 10. August (RIA Novosti). Der bei einem Anschlag verletzte Präsident der russischen Teilrepublik Inguschetien, Junus-Bek Jewkurow, hat das Krankenhaus verlassen und hartes Durchgreifen gegen bewaffnete Extremisten angekündigt.

"Diejenigen, die sich ergeben und vor Gericht erscheinen, werde ich persönlich kontrollieren. Wer sich nicht ergibt, soll vernichtet werden. Das ist nicht mein Gutdünken, das ist Gesetz", sagte Jewkurow am Montag (10. Aug.) auf seiner ersten Pressekonferenz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus.

Er wolle gemeinsame Anti-Terror-Einsätze mit tschetschenischen Sicherheitsbehörden fortsetzen: "Die gemeinsamen Einsätze bringen gute Ergebnisse".

Es bestehe aber "keine Notwendigkeit", eine umfassende Anti-Terror-Operation in ganz Inguschetien zu führen.

Jewkurow war am 22. Juni bei einem Anschlag auf einer Straße nahe Nasran schwer verletzt worden.




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