Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Kanal macht den Staat

Ohne die Wasserstraße wäre Panama nicht entstanden und ökonomisch unbedeutend

Von Martin Ling *

Erst die von den USA forcierte Abspaltung Panamas von Kolumbien machte den Weg für den Panama-Kanal frei.

Aller guten Dinge sind drei: Aus den Bauplänen für eine Wasserstraße zwischen Atlantik und Pazifik des im 16. Jahrhundert regierenden spanischen Kaisers Karl V. wurde nichts, der 1880 von den Franzosen begonnene Kanalbau endete im Desaster, als nach neun Jahren schätzungsweise 20 000 Arbeiter Malaria und Gelbfieber zum Opfer gefallen waren und die aufwendigen Arbeiten die Kanalgesellschaft in den Konkurs getrieben hatten. Erst die USA waren in der Lage, den langgehegten Traum technisch und finanziell in die Tat umzusetzen und damit ihren Status als kommende Weltmacht anzudeuten.

Wer nicht will, der wird schon. Das außenpolitische Motto der USA, das im selbst ernannten Hinterhof seit der Monroe-Doktrin (Amerika den Amerikanern) 1823 von Washington gepflegt wird, fand auch rund um den Panamakanal Anwendung. 1902 stimmte der US-Senat dem Bau eines Kanals durch die schmale Landbrücke von Panama zu. Das Baugebiet gehörte zu Kolumbien, und auch wenn die dortige Regierung Interesse am Kanalbau hatte, führten die Verhandlungen mit den USA doch zu keinem für beide Seiten zufriedenstellenden Ergebnis. Der einvernehmliche Weg zur Konzession war verbaut. Da war es praktisch, dass die USA eine unbedeutende Unabhängigkeitsbewegung in der Provinz Panama entdeckten. Washington ließ seine Kriegsflotte vor der panamaischen Küste auffahren und ermunterte die Bewegung, die Unabhängigkeit auszurufen. Die Revolte glückte, die Abspaltung Panamas von Kolumbien war perfekt. Am 3. November 1903 wurde so der Staat Panama mit militärischer Hilfe Washingtons geboren. Kolumbien wollte das Risiko eines Krieges mit der angehenden Weltmacht nicht eingehen, und schon zehn Tage später hatten die USA die gewünschten Souveränitätsrechte über die Kanalzone vertraglich gesichert.

1904 begannen die US-Amerikaner mit den Bauarbeiten. Die Baustelle zog Menschen aus der ganzen Welt an. Mindestens 35 000 Arbeiter aus der Karibik und 6000 US-Amerikaner waren zwischenzeitlich am Kanal beschäftigt, hinzu kamen Kontraktarbeiter aus Spanien und Nordeuropa. Dabei herrschte strikte Trennung zwischen den Beschäftigten. Die Weißen wurden in Gold bezahlt, erhielten eine gute Gesundheitsversorgung und durften kostenlos mit Dampfschiffen in den Heimaturlaub fahren. Die schwarzen Arbeiter wurden in Silber entlohnt, lebten in Baracken und litten häufig an Tropenkrankheiten. 5000 Arbeiter starben an Unfällen, Gelbfieber und Malaria.

Die Arbeiter hoben rund 180 Millionen Kubikmeter Erdreich aus, errichteten drei Schleusen und stauten den Gatún-See auf. Der Bau kostete 375 Millionen Dollar und war bis dato das teuerste Bauprojekt der USA. 1995 nahm der US-Ingenieursverband den Kanal in seine Liste der Weltwunder der Moderne auf.

Offiziell für den Schiffsverkehr freigegeben wurde der Kanal am 15. August 1914. Hauptprofiteur sind die USA, die einen Großteil des Güterverkehrs von ihrer Ost- zur Westküste über den Kanal abwickeln. Seit einigen Jahren wird er auch mehr und mehr von China genutzt.

Für Panama ist die Kanalzone das Rückgrat der Volkswirtschaft. General Omar Torrijos, ein panamaischer Linksnationalist, der sich 1968 an die Macht geputscht hatte, machte aus der Zone ein Steuerparadies. Dabei baute er auf das Vertrauen, das die US-Präsenz in der Kanalzone Anlegern einflößte. In Panama-Stadt siedelten sich bis zu 250 Finanzinstitute an und hüteten legales wie illegales Geld. Es war auch Torrijos, der den damaligen demokratischen US-Präsidenten Jimmy Carter 1978 dazu bewegte, der Rückgabe der Kanalzone an Panama zum 31. Dezember 1999 zuzustimmen.

In Torrijos' Fußstapfen trat Manuel Noriega, der ab 1983 zum mächtigsten Mann Panamas aufstieg und bestens mit der CIA kooperierte. Nachdem er bei der US-Administration in Ungnade gefallen war – wegen mutmaßlicher Verwicklung in den Drogenhandel und der Weigerung, den Aufenthaltsvertrag mit der berüchtigten militärischen Kaderschmiede »School of the Americas« zu verlängern –, bereitete eine US-Invasion Noriegas Regentschaft im Dezember 1989 ein Ende. Wegen der Turbulenzen gingen auch viele Finanzinstitute. Heute sind nur noch rund 90 Banken mit einer Niederlassung vor Ort. Dafür werden täglich an die 100 neue Briefkastenfirmen zur Steuerersparnis im Mutterland gegründet.

Seit die Wasserstraße 2000 an Panama übergeben wurde, legte die Wirtschaft des kleinen zentralamerikanischen Landes kräftig zu. Der Kanal bescherte ihm einen Wirtschaftsboom mit Wachstumsraten von rund neun Prozent in den vergangenen vier Jahren. Dass 40 Prozent der Menschen in Armut leben, fällt meist unter den Tisch. Rund zwei Milliarden Dollar nimmt die Verwaltung jährlich ein, die Betriebskosten belaufen sich auf etwa 600 Millionen. Vom Gewinn werden jedes Jahr 760 Millionen an den Staatshaushalt überwiesen. Das Land hängt am Tropf seines Kanals.

Für die Containerschiffe der neuesten Generation ist der Panamakanal allerdings zu klein. Per Volksabstimmung bei geringer Beteiligung wurde eine Erweiterung gebilligt. Bis zum 100. Geburtstag des Panamakanals sollte sie in trockenen Tüchern sein. Das hat nicht geklappt – 2016 gilt nun als Zielmarke. Das Jubiläum wird deswegen zwischen schweren Lastwagen, hohen Kränen und ohrenbetäubendem Baggerlärm stattfinden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014


Mehr als ein Luftschloss?

Nicaraguas Kanalpläne nehmen Gestalt an

Von Markus Plate, Managua **


Während Panama den 100. Geburtstag seines Kanals feiert, nehmen in Nicaragua die Planungen für eine Konkurrenzverbindung zwischen Karibik und Pazifik Gestalt an. Der Baubeginn ist für den Jahreswechsel vorgesehen.

Schon vor 400 Jahren dachten die Spanier über eine solche Verbindung nach, später unterschrieben Nicaragua und die USA mehrere Vereinbarungen. In die Nähe einer Realisierung kamen all diese Pläne nie. Doch mit der Konzession, die die sandinistische Regierung von Daniel Ortega Mitte 2013 an das chinesische Konsortium HKND vergab, scheint das Jahrtausendprojekt, dessen Kosten auf 40 Milliarden Dollar veranschlagt sind, greifbar.

Anfang Juli stellte HKND-Chefingenieur Dong Yunsong den genauen Kanalverlauf über 300 Kilometer vor und warb zugleich, dass der Wasserweg Entwicklungschancen bringe. Fünf Prozent des Welthandels würden den Kanal nach der Fertigstellung 2019 passieren, das Bruttoinlandsprodukt werde sich verdoppeln und Nicaragua zum reichsten Land Zentralamerikas aufsteigen.

Die Pläne beinhalten Subprojekte. Im Städtchen Rivas zwischen Nicaragua-See und Pazifikküste sollen ein Öl- und Containerhafen, Freihandelszonen, ein Großflughafen und ein Tourismuskomplex entstehen. Hinzu kämen im ganzen Land Straßenverbindungen, riesige Brücken, die den Kanal überqueren, und ein dringend benötigter Karibikhafen.

Der regierungsnahe Gewerkschaftsbund CST unterstützt das Projekt – in der Hoffnung auf eine Million Arbeitsplätze und dauerhaftes Wachstum: »Die Arbeiterklasse Nicaraguas wird einer der größten Nutznießer sein«, erklärte CST-Vorstand Roberto González. Nach anfänglicher Ablehnung preist nun auch der Unternehmerverband COSEP das Projekt, »sofern nicaraguanisches Kapital und nationale Unternehmen bevorzugt eingebunden werden«.

Doch es gibt auch andere Stimmen. Victor Hugo Tinoco, Abgeordneter der Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus, zweifelt daran, dass der Kanal überhaupt gebaut wird. Es gehe um die anderen Infrastrukturprojekte, denn diese seien extrem lukrativ für HKND, nicaraguanische Unternehmer und für das Firmenimperium der Familie Ortega.

Kritiker bemängeln, die Kanalkonzession hebelte staatliche Kontrolle und Mitspracherechte der Bevölkerung aus, Grundstücke könnten unter Marktwert enteignet werden. Und für Aktivitäten im Konzessionsgebiet müssten keinerlei Steuern bezahlt werden.

Umweltschützer warnen davor, dass der Nicaragua-See – Zentralamerikas größtes Binnengewässer – durch Ausbaggerung und Schiffsverkehr kippen könnte. HKND hält dagegen, der Kanal werde Mittel für Umweltschutzmaßnahmen generieren. Die Umweltverträglichkeitsprüfung soll bis Jahresende abgeschlossen sein. Durchgeführt wird sie von HKND.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014


Ägypten stellt sich der Konkurrenz

Zweiter Suezkanal soll die Wettbewerbsfähigkeit mit der Wasserstraße in Mittelamerika sichern

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv ***


In Ägypten wird ein zweiter Suezkanal gebaut. Das Projekt soll umgerechnet rund drei Milliarden Euro kosten – und bereits in einem Jahr fertig sind. Kritiker sind skeptisch.

Auf einmal ist alles anders. Über den Bau eines zweiten Suezkanals wurde bereits seit Jahren gesprochen. Und nie wurde etwas draus: aus Kostengründen. Aber auch, weil sowohl die Regierungen von Präsident Hosni Mubarak, seinem Nachfolger Mohammad Mursi als auch der derzeitige Präsident Abdelfattah al-Sisi befürchteten, Ägyptens größte Devisenquelle könnte in ausländische Hand geraten.

Doch nun scheint es so weit zu sein: Der Suezkanal wird erweitert; 37 Kilometer des 168 Kilometer langen Kanals werden verbreitert; auf einer Länge von 35 Kilometern soll parallel zum Kanal eine zweite Fahrrinne ausgehoben werden. Damit soll der Kanal fit für die Zukunft gemacht werden. Denn der bestehende Kanal kann derzeit nur in jeweils einer Richtung befahren werden; die Folge sind lange Wartezeiten.

Der Suezkanal steht dabei auf der Route von Südostasien nach Europa in direkter Konkurrenz zum Panama-Kanal. Die Kanalbehörde befürchtet, dass nach der Fertigstellung der Ausbauarbeiten dort viele Schiffe lieber diesen Weg wählen werden – und damit Ägypten Deviseneinnahmen wegbrechen. Gut fünf Milliarden Euro jährlich sind es aktuell. Nach dem Ausbau sollen die Einnahmen auf bis zu zehn Milliarden Euro steigen.

Umgerechnet rund drei Milliarden Euro soll der zweite Kanal kosten. Darüber hinaus sollen auch Tourismus- und Industriezonen, Tunnel und Brücken entlang des neuen Kanals gebaut werden, für die etwa 3,5 Milliarden Euro veranschlagt werden.

Aber nicht nur die Summen sind ambitiös. Die Art der Finanzierung und der gesetzte Zeitrahmen sind es ebenfalls. In nur einem Jahr solle das Vorhaben fertig sein, kündigte Sisi beim ersten Spatenstich Anfang August an. Die Kanalbehörde selbst spricht von drei Jahren. Gebaut wird ausschließlich von Unternehmen, die unter Kontrolle des Militärs stehen. Das benötigte Geld will man allein aus dem Verkauf von Anleihen an ägyptische Staatsbürger im In- und Ausland einsammeln. Damit wolle man, so das Präsidialamt, sicher stellen, dass das Projekt ausschließlich in ägyptischer Hand bleibt.

Denn der Suezkanal ist nicht nur Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein nationales Symbol. Dass Sisi den Ausbau nun vorantreibt, dürfte nicht allein wirtschaftliche Gründe haben. In Presserklärungen wird stets eine direkte Verbindung zu den Infrastrukturprojekten unter Gamal Abdel Nasser in den 60er Jahren gezogen. In seiner Rede zum ersten Spatenstich grenzte sich Sisi zudem deutlich vor allem von Hosni Mubarak ab, dem er direkt die Schuld an der wirtschaftlichen Krise Ägyptens vorwarf: »Die Versäumnisse der Vergangenheit haben dazu geführt, dass wir uns jetzt beeilen müssen. Wir haben große Verspätung.«

Doch in einem Bericht der Weltbank wird bezweifelt, dass das Projekt wirklich den Erfolg bringen wird, den sich Ägyptens Regierung erhofft. Es sei nicht gesagt, dass es tatsächlich zu einer Verdoppelung des Schiffsverkehrs kommen wird. Denn für voll beladene Supertanker wird der Kanal auch künftig nicht befahrbar sein. Und darüber hinaus wird zur Zeit in der Region massiv in den Ausbau der Bahninfrastruktur investiert. Welche Auswirkungen dies auf den Güterverkehr haben wird, sei noch nicht absehbar.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 15. August 2014


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