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Pakistan im Würgegriff

Kein Geld trotz Notlage: Regierung in Islamabad soll erst Auflagen des Internationalen Währungsfonds erfüllen, ehe zugesagte Kredite fließen

Von Rainer Rupp *

Eiskalt nutzt der von westlichen Industrienationen angeführte Internationale Währungsfonds (IWF) die durch mehr als sechs Wochen andauernde Überschwemmungen in Pakistan verursachte humanitäre Katastrophe für seine neoliberalen Ziele aus. Ungeachtet der akuten Notlage der Überschwemmungsopfer in 79 von 124 Provinzen des Landes weigert sich der Fonds, die beiden letzten Tranchen des im Rahmen des 2008 mit Islamabad ausgehandelten finanziellen Hilfspaketes (Standby Agreement) auszuzahlen, solange die Regierung nicht die geforderten, antisozialen Sparmaßnahmen und Preiserhöhungen zum Nachteil der ohnehin bereits verarmten Masse der Werktätigen durchgeführt hat. Das Standby Agreement von 2008, das Kredite in Höhe von 11,3 Milliarden US-Dollar an Pakistan vorsieht, sollte seinerzeit das Land retten. Inmitten der weltweiten Finanzkrise war Pakistan total überschuldet, stand vor dem Staatsbankrott. Zudem herrschten bürgerkriegsartige Zustände. Im Gegenzug mußte sich die Regierung in Islamabad verpflichten, weitreichende, neoliberale Wirtschafts-»Reformen« einzuleiten.

Zu den Kernpunkten der IWF-Forderungen gehörte u.a. die Umwandlung der allgemeinen Verkaufssteuer in eine höhere Mehrwertsteuer von 15 Prozent. Das bedeutete, die Steuer sollte nun nicht mehr zu Lasten der Produzenten, sondern der Masse der mehrheitlich armen Verbraucher gehen. Zugleich forderte der IWF die komplette Abschaffung aller Preissubventionen für Energieträger. Für Elektrizität hätte das beispielsweise eine Preiserhöhung von 49 Prozent bedeutet. Zugleich sollte die Regierung die Privatisierung staatlicher Betriebe beschleunigen, wodurch hauptsächlich westliche Konzerne begünstigt würden. Außerdem wollte der IWF der pakistanischen Zentralbank verbieten, weiterhin Schatzbriefe des einheimischen Finanzministeriums zu kaufen. Dabei ist inzwischen sogar die US-Notenbank im Rahmen ihres Konzepts »Quantitative Easing« dazu übergegangen, die Staatsschulden wenigstens teilweise mit der Notenpresse zu bedienen.

Da die pakistanische Regierung wegen der labilen sicherheitspolitischen Lage die IWF-Forderungen nicht zügig genug umgesetzt hatte, zahlte der IWF bereits die im Juli fällige vorletzte Tranche des zugesagten Kredits in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar nicht aus. Seitdem ist mit den Überschwemmungen im Einzugsbereich des Indus eine der größten humanitären Tragödien in der Geschichte der Menschheit über Pakistan hereingebrochen. 20 Millionen Pakistani hungern, haben kaum Trinkwasser. Die meisten dieser Betroffenen sind obdachlos, die Infrastruktur um sie ausreichend zu versorgen, wurde von den Wassermassen verwüstet – oder war nie vorhanden. 1000 größere Brücken sind zerstört, 4000 Kilometer Straßen unterspült oder anderweitig unbenutzbar. Mindestens 23 Prozent der Ernte des Landes wurden vernichtet. Insgesamt wird der durch die Überschwemmung entstandene Schaden von der Regierung auf 43 Milliarden Dollar geschätzt, etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts eines Jahres.

Vor diesem Hintergrund hatte Islamabad gehofft, daß der Währungsfonds sich großzügig zeigen und die beiden noch ausstehenden Tranchen von insgesamt 2,6 Milliarden Dollar auszahlen würde. Doch bei den Gesprächen Anfang September demonstrierte der IWF seine gewohnte Unerbittlichkeit. In den Gesprächen mit der pakistanischen Delegation in Washington, die von Finanzminister Abdul Hafeez Shaikh angeführt wurde, machte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn deutlich, daß Islamabad keinen Cent bekommt, solange es nicht das Diktat der Organisation erfüllt hat. Statt dessen multiplizierten sich die Finanzprobleme Pakistans, nicht nur wegen der Naturkatastrophe. So setzte die US-Ratingagentur Moody’s Anfang September auch die Aussichten der fünf größten Banken des Landes von »stabil« auf »negativ« herab.

Allerdings versprach Strauss-Kahn, womöglich demnächst Präsidentschaftskandidat der Sozialisten in Frankreich, den Pakistanis auch Hilfe. Er werde dem IWF-Vorstand empfehlen, 450 Millionen Dollar für Lebensmittel aus dem Hilfsprogramm für Naturkatastrophen für das Land lockerzumachen, sagte er. Angesichts des gigantischen Bedarfs der bettelarmen Bevölkerung des Landes ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Hinzu kommt, daß die bilaterale Hilfe aus den westlichen Ländern, die beim Tsunami im Indischen Ozean und beim Erdbeben auf Haiti sehr großzügig geflossen war, im Fall Pakistans nur tröpfchenweise ankommt.

Großzügiger erscheint da die Schwesterorganisation des Währungsfonds, die Weltbank. Doch dieser Eindruck verfliegt schnell. Deren Chef, der neoliberale Robert B. Zoellick, ehemaliges Regierungsmitglied der Administration von George W. Bush, stellte Islamabad eine Milliarde Dollar als Sofort- und Wiederaufbauhilfe in Aussicht. Doch diese Milliarde der Weltbank ist keine zusätzliche Hilfe. Zoellicks Organisation hatte lediglich umgeschichtet und die Gelder, die für andere Projekte in Pakistan ohnehin bereits vorgesehen waren, in die Wiederaufbauhilfe gesteckt.

Zugleich versuchte Zoellick die pakistanische Delegation zu erpressen. Auf keinen Fall dürfe das Land zögern, das Diktat des Währungsfonds zu erfüllen. Denn »die Antwort der Geberländer und Organisationen auf die Überschwemmung wird auch von der Fähigkeit der (pakistanischen) Regierung abhängen, die Marktreformen umzusetzen«. So nutzen IWF und Weltbank selbst Naturkatastrophen aus, um Länder der sogenannten Dritten Welt unter das Wirtschaftsjoch des imperialistischen Westens zu zwingen. Und scheinbar ganz nebenbei wird so der Boden dafür bereitet, daß sich die westlichen Konzerne an den zu privatisierenden Filetstückchen der nationalen Industrie und an den Bodenschätze delektieren können.

* Aus: junge Welt, 15. September 2010

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