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Sinn Féin in Nordirland stimmenstark

Erstmals auf Platz 1

Von Florian Osuch *

Eine kleine Sensation bei den Wahlen zum britischen Parlament gab es in Nordirland. Die Linkspartei Sinn Féin wurde erstmals stärkste Kraft.

Sinn Féin schob sich mit 25,5 Prozent der Stimmen (plus 1,2) knapp vor die britisch-konservative Democratic Unionist Party (DUP), die 25 Prozent erreichte (minus 8,7). Aufgrund des Mehrheitswahlrechts gewann die DUP jedoch acht, Sinn Fein nur fünf Mandate. Die weiteren Sitze entfielen auf die irischen Sozialdemokraten der SDLP (3), die liberale Alliance Party (1) und eine unabhängige konservative Kandidatin. Ohne Sitz bleibt die ehemals größte nordirische Partei, die Ulster Unionist Party (UUP).

Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams und die vier anderen Abgeordneten seiner Partei werden ihre Sitze im Londoner Parlament allerdings nicht einnehmen. Wie in den vergangenen Jahren verweigern sie als Republikaner den für Abgeordnete obligatorischen Eid auf das britische Könighaus.

Für Aufsehen sorgte, dass Peter Robinson, Vorsitzender der DUP und Erster Minister Nordirlands, sein Direktmandat verlor. Robinson saß bereits seit 1979 für den Distrikt Ost-Belfast im britischen Parlament.

Die neueren Wahlergebnisse belegen, dass Nordirland weiter streng geteilt ist. Während Sinn Féin etwa in der irisch-republikanischen Hochburg West-Belfast 71,1 Prozent der Stimmen gewann, kam die Linkspartei im traditionell von Briten bewohnten Ost-Belfast gerade mal auf 2,4 Prozent der Stimmen.


Anmerkungen zu den Wahlergebnissen der britischen Unterhauswahlen in Nordirland

Von Uschi Grandel **

Nordirland und der nordirische Konfliktlösungsprozess sind weitgehend aus unseren Medien verschwunden und tauchen nur noch sporadisch auf. Durch Berichte über vereinzelte Anschlägen republikanischer Dissidenten, die den Friedensprozess ablehnen, oder durch die jüngsten Skandale im privaten Umfeld des Peter Robinson, des First Minister der Regionalregierung. Auch die Versuche einiger Medien, den Missbrauchsverdacht gegen den Bruder des Sinn Fein Präsidenten Gerry Adams zu benutzen, um Gerry Adams politisch demontieren zu wollen, wurden hier berichtet.

Die Wahlen zum britischen Unterhaus vom 6. Mai 2010 sind die ersten Wahlen seit der Bildung der nordirischen Regionalregierung im Mai 2007. Diese Regierung, die gemeinsam von der pro-britischen DUP und der irisch-republikanischen Partei Sinn Fein geführt wird, spielt eine wichtige Rolle im Friedensprozess:

"In Nordirland steht jedoch nicht eine x-beliebige Regierungsbildung an. Nordirland befindet sich in einem Prozess der Konfliktlösung, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Die gemeinsame Regionalregierung ist ein gewichtiger Schritt in Richtung nationale Versöhnung mit der pro-britischen Bevölkerungsgruppe, die über Jahrhunderte von den herrschenden Parteien, britischen Regierungsvertretern, Unionisten und Oranierorden gegen alles Irische und Katholische aufgehetzt wurde."
(Aus der Stellungnahme der deutschen Irlandsolidarität, Mai 2007, http://www.info-nordirland.de/comment_assembly_may2007_d.htm )

Die Wahlen vom letzten Donnerstag waren deshalb ein Seismograph, wie die Menschen diesen Prozess sehen und für ihr Vertrauen in die ihn tragenden Parteien. Ihr Ergebnis reflektiert die Stabilität des Konfliktlösungsprozesses.

Sinn Fein wurde mit 25,5% der Stimmen zur stärksten Partei in Nordirland, ein unglaublicher Erfolg für die irisch-republikanische Partei, die der Motor des Konfliktlösungsprozesses ist. Sie stellt fünf Abgeordnete, die ihre Plätze im britischen Unterhaus allerdings nicht einnehmen. Als irische Republikaner streben sie ein wiedervereintes Irland an und lehnen jede Einflussnahme der britischen Regierung auf irische Angelegenheiten ab. Als Republikaner lehnen sie es ausserdem ab, Loyalität zur britischen Krone zu geloben, ein Schwur, den jeder Abgeordnete ablegen muss.

Die nordirische sozialdemokratische Partei SDLP musste leichte Verluste hinnehmen, konnte ihre drei Abgeordneten jedoch halten. In Süd Belfast wurde dies dadurch abgesichert, dass Alex Maskey von Sinn Fein auf seine Kandidatur verzichtete.

Fermanagh & South Tyrone ist einer der am stärksten umkämpften Bezirke. Sinn Feins Michelle Gildernew hat zum dritten Mal in Folge den Sitz gewonnen, diesmal allerdings unter widrigsten Umständen. Die beiden grösseren unionistischen Parteien DUP und UCUNF (früher UUP) hatten sich auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt, um einem pro-britischen Abgeordneten den Sieg zu ermöglichen. Die SDLP weigerte sich, Michelle Gildernew zu unterstützen und trat mit einem eigenen aussichtslosen Kandidaten an. Drei Zählungen brauchte es, bis endlich der Sieg von Michelle Gildernew trotzdem feststand. Vier Stimmen Vorsprung trennte sie vom pro-britischen Kandidiaten.

Für Republikaner hat der Sieg in diesem Bezirk noch eine ganz eigene historische Bedeutung. Im Jahre 1981 gewann Bobby Sands sensationell , während er den Hungerstreik für die Anerkennung republikanischer Häftlinge als politische Gefangene anführte. Zehn Männer starben in diesem Hungerstreik, unter ihnen auch der Abgeordnete Bobby Sands. Sein Wahlsieg war der Auftakt für die Wandlung der irisch-republikanischen Bewegung in eine Massenbewegung. Als ob es dieser besonderen Betonung bedürfe fand die diesjährige Wahl nur einen Tag nach Bobby Sands Todestag statt.

Im unionistischen Lager zeigte die Wahl, dass Probleme und Verschiebungen bei den unionistischen Parteien nicht mehr automatisch deren radikale Aussenposten stärkt. Die Wähler in Ostbelfast straften beispielsweise den First Minister Peter Robinson für die Skandale der jüngsten Vergangenheit ab, die Wähler wanderten aber nicht in ein protestantisches Hardliner-Lager, sondern gaben ihre Stimme der gemässigt-unionistischen Alliance Partei und ihrer Vertreterin Naomi Long. So war "die eigentliche Sensation der Wahl die Niederlage zweier unionistischer Projekte", wie Brian Feeny in seiner Wahlanalyse für die Irish News am 10. Mai schreibt. Die Traditional Unionist Voice (TUV) , eine Abspaltung der DUP, bleibt unter 4% und damit bedeutungslos. Die Ulster Conservative and Unionist - New Force (UCUNF), die Verbindung der ehemals allmächtigen UUP mit den britischen Konservativen, kam nicht einmal auf einen Sitz. "New Farce" ist ihr neuer Spitzname. Die einzige verbleibende Abgeordnete der UUP, Sivia Hernon, war aus Protest gegen die Verbindung mit den britischen Konservativen als Unabhängige angetreten.

** Dieser Kommentar zur Wahl in Nordirland ist auch auf der Webseite von "Info Nordirland" zu finden: www.info-nordirland.de


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