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Londoner Hardliner

Britischer Nordirlandminister behindert im Karfreitagsabkommen geregelten Friedensprozeß

Von Uschi Grandel *

In einem offenen Brief forderte die Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan Maguire den britischen Nordirlandminister Owen Paterson am Wochenende auf, die vor allem aus den siebziger Jahren bekannte ehemalige IRA-Aktivistin Marian Price aus der Haft zu entlassen. »Die illegale Inhaftierung von Marian Price für Taten von vor 40 Jahren, für die sie bereits begnadigt wurde, stellt eine ernste Verletzung ihrer Menschenrechte, eine Mißachtung eines ordentlichen Verfahrens und eine Verletzung des Karfreitagsabkommens dar«, erklärte die aus Belfast stammende Maguire.

Über ein Jahr ist Marian Price, die politisch dem Spektrum der Dissidenten, also den Gegnern des irischen Friedensprozesses, zuzuordnen ist, nun wegen »Unterstützung einer verbotenen Organisation« in Haft, obwohl ein Belfaster Gericht bereits ihre Freilassung angeordnet hat.

Doch Owen Paterson weigert sich, die inzwischen 60jährige kranke Frau auf freien Fuß zu setzen. Der Nordirlandminister beruft sich auf geheime Informationen, die er jedoch nicht preisgeben will. Menschenrechtsorganisationen, die irische Linkspartei Sinn Féin, die sozialdemokratische SDLP und kleinere linke Gruppen laufen gegen diese Internierung Sturm.

In der Vergangenheit hatte sich das Nordirlandministerium (NIO) mit seinem nicht in Nordirland demokratisch legitimierten, sondern vom britischen Premierminister ernannten Chef schon oft als Bastion der Hardliner in Fragen Sicherheitspolitik erwiesen. Einer solchen Agenda kommt der Medienrummel um den angeblichen Zusammenschluß der zwei größten bewaffneten Dissidentenorganisationen, der Real IRA und der ONH, zu einer »neuen IRA« mit Spekulationen über ein mögliches Aufflammen einer bewaffneten Auseinandersetzung nicht ungelegen. Vor Ort in Belfast entpuppte sich Anfang August diese Meldung jedoch als Medienente. Die beiden Splittergruppen hatten zwar in der Tat über eine Vereinigung nachgedacht, konnten sich aber wie schon oft zuvor nicht einigen. Vermeldet wurde von lokalen Medien, daß die Gruppen sich gegenseitig vorgeworfen hatten, von Agenten des britischen Geheimdienstes durchsetzt zu sein.

Eigentlicher Gegner dieser Gruppen sei sowieso die irische Linkspartei Sinn Féin, bewertete der nordirische Kommentator Brian Feeney in der Irish News das Thema. Sinn Féin sieht eine Demokratisierung des einst bis an die Zähne militarisierten nordirischen Staates und die Verständigung mit progressiven Teilen des probritischen Unionismus als notwendige Voraussetzung für gesellschaftliche Veränderungen und für ein vereinigtes Irland. Seit Mai 2007 führt Sinn Féin gemeinsam mit der probritischen konservativen DUP die im Friedensabkommen von 1998 festgelegte Allparteienregierung an. Die Dynamik, die sich daraus entwickelt, ist in Belfast deutlich zu spüren. Erst jüngst erschienen zu einem Treffen lokaler Gruppen in West-Belfast, einem Viertel, in dem Sinn Féin im letzten Jahr 66 Prozent der Stimmen erhielt, erstmalig auch Anwohner eines kleinen, nicht weit entfernten unionistischen Bezirks. Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche gemeinsame Diskussion undenkbar gewesen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. August 2012


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