Einmischung ausländischer Mächte
Karin Leukefeld schreibt über die Ursachen des Flächenbrands im Nahen Osten
Von Gerd Bedszent *
Der nun schon vier Jahre andauernde Bürgerkrieg in Syrien und »die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg« werden von Karin Leukefeld in ihrem neuesten Buch »Flächenbrand. Syrien, Irak, die arabische Welt und der Islamische Staat« analysiert.
Leukefeld berichtet als Korrespondentin der jungen Welt schon seit Jahren aus dem Nahen Osten. Als Hauptursache für das derzeitige Bürgerkriegschaos in Syrien sieht sie die Einmischung ausländischer Mächte. Syrien sei dadurch Austragungsort eines vielschichtigen Stellvertreterkrieges geworden. Die sozialen Verwerfungen innerhalb der syrischen Gesellschaft werden von der Autorin nicht verschwiegen. Doch Zahlen zur sozialen und wirtschaftlichen Situation in Syrien vor Ausbruch des Bürgerkrieges finden sich im Buch nur wenige. Immerhin beschreibt die Autorin ausführlich das von der syrischen Regierung nie überwundene Stadt-Land-Gefälle. Vom seit der Unabhängigkeit angeschobenen Modernisierungsprogramm habe im wesentlichen die urbane Oberschicht profitiert. Der Abbau von Subventionen im Agrarbereich sowie mehrere Dürrekatastrophen hätten zur massenhaften Abwanderung von Dorfbewohnern in die Städte geführt, wo diese dann aber oft keine Arbeit fanden. Neoliberale Reformen sowie wirtschaftliche Kooperation mit der benachbarten Türkei ließen den kleingewerblichen Sektor der Volkswirtschaft auch noch drastisch schrumpfen. Allerdings gab es in Syrien bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges keine Hungersnot. Die Gesundheitsversorgung war kostenlos, die Mehrheit der Bevölkerung alphabetisiert.
Die schwelende Unzufriedenheit mit der Willkür von Regierungsbeamten und der herrschenden Baath-Partei, mit Korruption und Vetternwirtschaft eskalierte hauptsächlich infolge der finanziellen Unterstützung militanter Gruppierungen durch die reaktionären Golfmonarchien. Unter den verarmten Schichten der Bevölkerung in den Städten fanden radikalislamische Prediger zunehmend Gehör. Hinzu kam eine kaum verbrämte Unterstützung bewaffneter Aufständischer durch die Nachbarstaaten Türkei und Israel sowie eine massive Rückendeckung des Westens für den gewaltbereiten Flügel der syrischen Opposition.
Was danach passierte, war allerdings nicht der vom Westen propagierte »demokratische Aufbruch«. Die Auseinandersetzungen gipfelten häufig in ethnischen Säuberungen eroberter Gebiete von unerwünschten Bevölkerungsgruppen, gepaart mit Plünderung und nacktem Terror. Die in verschiedene Fraktionen zerfallenen Oppositionsgruppen führten bald mehr untereinander Krieg, als dass sie gemeinsam gegen Regierungstruppen und die mit ihr verbündeten Milizen kämpften. Mehrheitlich stehen in ihren Reihen gar keine syrischen Staatsbürger, sondern aus dem Ausland eingesickerte Gotteskrieger.
Karin Leukefeld zitiert Strategiepapiere westlicher Militärs und Geheimdienste, in denen von einer Aufteilung derzeit bestehender arabischer Staaten in einen Flickenteppich kleinerer territorialer Einheiten die Rede ist. Der Staatszerfall wurde dabei von verschiedenen Regierungen bewusst in Kauf genommen. Natürlich wird im Buch auch die zum Teil haarstäubende Berichterstattung westlicher Medien thematisiert, zahlreiche Fälle werden genannt, in denen Nachrichtenredaktionen auf Falschmeldungen hereingefallen sind. Während Berichte von dem, was sich tatsächlich vor Ort abspielte, häufig der Selbstzensur zum Opfer fielen.
Die Autorin schildert nicht nur das Bürgerkriegschaos in Syrien – die Kämpfe sind längst schon auf das Territorium der Nachbarstaaten Irak und Libanon übergeschwappt. Die Türkei entwickelt Großmachtgelüste und propagiert kaum verhohlen die »Rückgewinnung« von Gebieten, die bis zum Ersten Weltkrieg zum Osmanischen Reich gehörten. Die verschiedenen palästinensischen Organisationen sind mehrheitlich auf der einen oder anderen Seite in die Auseinandersetzungen verwickelt. Und seit das jordanische Militär sich auf Druck der USA an den Einsätzen gegen die Terrormilizen des »Islamischen Staates« (ISIL) beteiligt, ist das haschemitische Königreich ein Pulverfass geworden, bei dem nur noch ein Funke bis zur Explosion fehlt.
Karin Leukefeld weist nach, dass der Aufstieg der ISIL-Milizen zu einer nennenswerten militärischen Kraft nur durch ihren Handel mit gestohlenem Erdöl möglich wurde – die Geschäftspartner der Gotteskrieger würden von westlicher Seite allerdings nicht belangt. Sie schreibt weiter, dass diese obskure Gruppierung zumindest in ihrer Anfangsphase von westlichen Geheimdienstlern klammheimlich hochgepäppelt wurde. Beim Vormarsch der barbarischen Gotteskrieger handele es sich wohl wieder um eine aus dem Ruder gelaufene Geheimdienstoperation.
Das Buch liest sich stellenweise wie eine Reportage aus einer Alptraumwelt – und es ist auch eine solche. Und es ist gleichzeitig Journalismus von der besten Sorte, so wie er sein sollte und wie es ihn kaum noch gibt.
Karin Leukefeld: Flächenbrand. Syrien, Irak, die arabische Welt und der Islamische Staat, Papyrossa-Verlag, Köln 2015, 230 Seiten, 14,90 Euro
* Aus: junge Welt, Montag, 4. Mai 2016
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